Kapitel 2

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Songempfehlung: Say my Name - Matvey Emerson, NEVRMIND

»Antonia«, die schrille Stimme meiner Grandma drang entfernt an mein Ohr und riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken sah ich von dem Gemüse auf meinem Teller hoch und blickte geradewegs in Grandma Dorothys grünen Augen, die sie sowohl meiner Mom als auch mir vererbt hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mit mir sprach.

»Wie bitte?«, erwiderte ich, da ich ihre Frage überhört hatte.

»Wie dein Studium läuft, habe ich gefragt?«, Grandma hob missbilligend eine Braue. Mit ihrem grau melierten Haar und ihren strengen Gesichtszügen machte Grandma einen einschüchternden Eindruck. Grandma war, wie auch meine Mom, die geborene Geschäftsfrau.

»Oh«, entgegnete ich und spürte, wie mir mit einem Mal ganz unwohl zumute wurde. »Nun, es läuft super.«

»Hast du schon deine Prüfungsergebnisse?«

Mein Kopf fuhr ruckartig hoch.

»Prüfungsergebnisse?«, wiederholte ich.

»Na die Prüfungsergebnisse des ersten Semesters«, sie tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab.

»Ach diese Prüfungsergebnisse...«, ich räusperte mich verlegen und spießte eine Erbse mit der Gabel auf. »Die hab' ich noch nicht.«

Lüge.

Ich spürte Milos bohrende Blicke von der Seite.

»Noch immer nicht?«, Grandma hielt inne.

»Nein, seltsam oder?«, ich versuchte betont beiläufig zu klingen.

»Mein Liebes«, mischte sich nun auch noch mein Großvater ein, der am Kopfende des Tisches saß. Er sah mich über die Ränder seiner Brille hinweg an. »Du weißt doch, ein Anruf bei dem Dekan und du wüsstest deine Noten...«

»Nein!«, platzte es aus mir heraus, womöglich etwas zu eilig. »Ich meine... Ich möchte mich überraschen lassen. Es wird sicher nicht mehr lange dauern«, ich rang mir ein Lächeln ab und versuchte ihren Blicken auszuweichen. Stattdessen begegnete ich den scharfsinnigen Augen meines Bruders Aiden.

Er verstand sofort.

Tja, richtig Bruderherz, ich hab meine Prüfungen vermasselt und drücke mich mit allen Mitteln davor, es unserer Familie zu beichten.

Der Blick, den Aiden mir zuwarf, sprach Bände.

Du bist am Arsch.

Als ob ich das nicht schon wusste...

»Überraschungen sind Zeugen dessen, dass man sein Leben nicht unter Kontrolle hat«, gab Grandma mal wieder eine ihrer miserablen Weisheiten zum Besten.

»Genau deshalb ist euer Leben so langweilig«, grummelte ich, leider etwas zu laut. Milo neben mir verschluckte sich beinahe an seinem Wasser und hüstelte leicht.

Ich spürte Grandmas empörten Blick auf mir ruhen und rutschte instinktiv etwas tiefer in den Stuhl. Auch meine Mom sah mich an, als wäre ich ein Schwerverbrecher und setzte bereits zum Reden an. Als ich jedoch zu meinem Dad schaute, konnte ich die Andeutung eines Schmunzelns auf seinen Lippen erkennen und seine blauen Augen blitzten amüsiert.

Dad war schon immer der Sanftmütigere der beiden gewesen. Er war der genaue Gegenpol zu meiner Mom. Obwohl man ihm seinen Platz in der Welt der versnobten Superreichen niemals anzweifeln würde, so nahm er meine frechen Sprüche oftmals mit Humor.

»Antonia! Ich verbiete mir einen solchen Tonfall«, die schneidende Stimme meiner Mom hallte durch den Speiseraum. Ihr Blick huschte zu meinem Dad.

Love me tomorrowWhere stories live. Discover now