Kapitel 19

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Übelkeit überkam mich und mir drehte sich der Magen um, während ich befangen auf den Bildschirm meines Handys starrte. Ich schämte mich zutiefst und mit zitterndem Finger betätigte ich den Button, der mir anzeigte, wer sich das Video bereits angeschaut hatte.

Bitte nicht. Bitte nicht. Bitte nicht.

Hektisch scrollte ich durch die Namen, die mir angezeigt wurden - und dann stoppte ich.

Aiden_Carp

Und direkt unter Aiden stand der Benutzername, der mir sogleich das Herz in die Hose rutschten ließ.

Jo.Ro95

Verdammte Scheiße!

Wie groß war die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass beide das Video sahen? Auch noch innerhalb dieser kurzen Zeit. Wie lange war es nun schon online? Zehn Minuten? Fünfzehn? Waren die beiden denn nicht unterwegs und hatten Besseres zu tun, als mir in den Sozialen Medien hinterherzuschnüffeln?

Seufzend ließ ich mich gegen die Badezimmertür sinken. Ich war mir absolut sicher, dass ich eine Moralpredigt von meinem Bruder erhalten würde. Aiden neigte dazu, insbesondere wenn es um Jungs ging, den großen Bruder raushängen zu lassen. Er war schon immer gut darin gewesen, sich in mein Liebesleben einzumischen, woran ich womöglich aber nicht ganz unschuldig war. Schließlich hatte ich bisher nur einen Typen gedatet - und bei diesem hatte es sich um einen seiner Freunde gehandelt. Ach, und rein zufällig hatte ich nun auch noch etwas mit seinem besten Freund gehabt! Der Preis für die beste Schwester der Welt würde sicherlich nicht an mich gehen...

Doch im Augenblick war Aiden nicht mein Problem. Nein, mein eigentliches Problem war Jona. Ich hatte viel mehr Angst davor, wie Jonas Reaktion ausfiel. Ob er wohl sauer war? Oder war es ihm gleichgültig, mich mit einem anderen zusammen zu sehen? Himmel Herrgott! Ich hatte erst kürzlich noch mit Jona rumgemacht und plötzlich tauchte ein Video im Internet auf, das mich knutschend mit einem anderen Typen zeigte! Wäre die Situation umgekehrt, würde ich mir wohl auch ziemlich blöd vorkommen. Andererseits... von Jona war ebenfalls ein Bild aufgetaucht. Ein Bild, auf dem er mit einer seiner Liebschaften zu sehen war. Welches Recht besaß er also, wütend auf mich zu sein, nur weil ich mein Leben lebte? Ich war weder sein Besitz noch befanden wir uns in einer ernsthaften Beziehung, das hatte er mehr als deutlich gemacht. Demnach konnte ich also tun und lassen, was mir beliebte. Zumindest versuchte ich mir das einzureden, denn noch immer plagten mich Gewissensbisse. Nicht nur wegen Jona, sondern auch weil ein solches Verhalten ganz und gar nicht zu mir passte. Zwar hatte es sich in diesem Moment gut angefühlt, doch nun wurde mir klar, dass es lediglich ein Produkt aus Alkohol, Novas Überredungskunst und meiner rebellischen Ader war. Und vielleicht auch ein trauriger Versuch, mich über Jonas Bild mit Valentina hinwegzutrösten... Die Erkenntnis meines Handelns traf mich wie ein Blitz und mit einem Mal kam ich mir schrecklich erbärmlich vor. Seufzend raufte ich mir das Haar. Ich konnte es nun nicht mehr rückgängig machen, aber künftig würde ich meine Rebellion lieber wieder nur mit Pinsel und Farbe ausleben.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit zurück auf mein Handy und löschte das Video schnellstmöglich aus meinem Profil. Unglücklicherweise hatten es bereits einige Leute gesehen, dennoch konnte ich verhindern, dass daraus noch mehr wurden oder gar - Gott stehe mir bei - meine Eltern dieses Video zu Gesicht bekämen. Ich würde nämlich mein letztes Hemd darauf verwetten, dass meine Mutter heimlich Spionage auf meinen Social Media Kanälen betrieb. Allerdings musste ich fairerweise zugeben, dass mich die Vorstellung, wie sie dieses Video sah und vor Zorn puterrot anlief, ein wenig mit Schadenfreude erfüllte.

Ich vertrieb die grauen Gedanken an meine Mutter und beschloss nun zu retten, was noch zu retten war - ich würde Ollie mitteilen, dass er wirklich ein netter Kerl zu sein schien, aber dieser Kuss sich nicht noch einmal wiederholen durfte. Ja. Es war das Beste mich nun zu verhalten wie eine Erwachsene - oder zumindest einen Versuch zu wagen. Einen letzten tiefen Atemzug nehmend verließ ich mein vorübergehendes Versteck und trat aus dem Badezimmer. Die Party war noch immer in vollem Gange. Der Alkohol floss, lautes Gelächter drang an meine Ohren und einige Leute tanzten anregend zur Musik. Kaum hatte ich auch nur einen Schritt in Ollies Richtung gewagt, erschien Milo in meinem Blickfeld. Er durchlöcherte mich regelrecht mit Fragen, da er allem Anschein nach von meiner kurzen Liebelei mit dem Surferboy Notiz genommen hatte. Selbst nach meinem gefühlt hundertsten Versuch ihm zu erklären, dass es nichts zu bedeuten hatte, hörte er nicht damit auf, verschwörerisch mit seinen Augenbrauen zu wackeln. Irgendwann ließ er mich gehen, nicht jedoch ohne mir das Versprechen abzunehmen, ihm später noch einmal alles bis ins kleinste Detail zu erklären.

Love me tomorrowWhere stories live. Discover now