Kapitel 32

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Melodie

„Mama? Warum stehen da Wachen vor der Tür?"

Ich war gerade dabei, Luiz in der Küche etwas zu Essen zuzubereiten. Natürlich hatte er die Männer entdeckt, die unsere Sicherheit gewährten. Als wir noch bei Tony waren, hielt es mein Vater nicht länger für nötig, Wachen aufzustellen. Natürlich waren wir nie vollkommen schutzlos. Im Verborgenen gab es viele Sicherheitseinrichtungen, die mein Sohn jedoch nie zu Gesicht bekam. Es war wahrlich ein Wunder, dass unsere Flucht so einfach vonstattenging.

„Sie sorgen für unsere Sicherheit, mein Schatz."

Matheus trat gerade hinein. Er war den ganzen Morgen damit beschäftigt sich zu erkundigen, ob mein Vater sich schon in Bewegung gesetzt hatte.

„Wovor müssen wir denn beschützt werden?"

Luiz war ein kluger Junge, der alles Mögliche hinterfragte.

„Weißt du ..." Matheus trat an ihn heran.

Ich sah die Nervosität, die ihn kaum merklich verschluckte. Ihm war es wichtig, dass unser Sohn ihn mochte und ihn eines Tages als Vater ansah.

„... deine Mutter ist eine schöne Frau und die sollte man nicht unbewacht lassen."

Auch wenn es seine amüsierte Stimme war, die die Worte hervorbrachte, so warf es mich in die Vergangenheit. Eine Zeit in der es mir nicht mal gelang Matheus Haus zu verlassen. Luiz hingegen musste darüber grinsen, worüber sich sein Vater herzlich freute. Dementsprechend wagte er einen weiteren Schritt. Er trat an ihn heran und lugte über das Essen vor seiner Nase.

„Was isst du denn da?"

Gerade wollte er Matheus die Äpfel präsentieren, da wurde seine Aufmerksamkeit von dem Fernseher im Hintergrund verschlungen.

„Schaut mal, Mama ist im Fernsehen."

Mit aufgerissenen Augen drehten wir uns um und entdeckten die Eilmeldung. Dabei war ein Bild von mir, das Wort Entführung und eine stattliche Summe Geld abgebildet. Man würde mich überall wiedererkennen. Eilig trat ich an Luiz heran.

„Was hältst du davon, wenn du im Haus etwas spielst? Mama muss mit ihrem Freund etwas bereden."

Der Junge nickte etwas widerwillig.

„Spielen wir dann noch zusammen?"

Ich bejahte nur eilig und so rannte er davon. Keine Sekunde später spürte ich, wie Matheus seinen Arm um mich legte.

„Dein Vater hat wahrlich keine Zeit verschwendet."

Noch immer starrte ich meinem Ebenbild entgegen. Irgendwie hatte ich angenommen, sobald ich erst einmal geflohen wäre, so würden sie auch aus meinem Gedanken verschwinden. Doch dem war nicht so. Ich hatte furchtbare Angst, sogleich das zu verlieren, was ich gerade wiedergefunden habe.

„Keiner von uns sollte das Haus verlassen, bis sich die Sache beruhigt hat."

Ich konnte nicht anders, als mich in Matheus Arme zu schmeißen, wo er mich behutsam aufnahm. Die Tränen, ich konnte sie nicht mehr aufhalten. All das, was ich die letzten drei Jahre zurückhielt, brach jetzt aus mir heraus.

„Mama?"

Schnell löste ich mich von dem Dunkelhaarigen, wischte die Tränen von dannen, die sich niedergelassen hatten.

„Mama?"

Der kleine Junge nahm auf, wie ich mich bemühte, ein Lächeln aufzusetzen. Jetzt rannte Luiz auf mich zu, schloss seine Hände um meine Beine.

„Vermisst du Papa? Ich vermisse Papa auch."

Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er das dachte, doch gerade war es das Salz in der Wunde. Scharf zog Matheus die Luft ein, doch er beherrschte sich und beugte sich hinab zu dem kleinen Jungen. Er legte seine große Hand auf seinen Rücken.

„Hey kleiner Mann, wie wäre es, wenn wir deine Mama kurz in Ruhe lassen und stattdessen etwas gemeinsam spielen?"

Mein Sohn schaute wieder hoch zu mir und so gab ich ihm mit einem Nicken zu verstehen, dem nachzugehen, was der Dunkelhaarige anbot. Erst als sie vollkommen verschwunden waren, ließ ich alles heraus. Ich war es endgültig leid, immerzu eine Gefangene zu sein. Ich wollte doch nur ein Leben mit Matheus und meiner Familie führen. Nichts weiter. Ich werde nicht an diesen dunklen Ort zurückkehren. Das schwöre ich mir. Ich werde frei sein.

Tony

„Sie können Italien noch nicht verlassen haben", schnurrte der älter Herr, der gleich nach meinem Anruf hierhergekommen war. Ich presste die Lippen aufeinander in der Hoffnung, dass er Recht behielt. Keinen Augenblick später spürte ich seine Hand auf meiner Schulter.

„Wir werden sie finden."

Meine Sicht war in dem Garten gefangen, wo ich vor einigen Tagen noch mit Luiz spielte und hier an dieser Stelle hielt ich Melodie in meinen Armen.

„Sie ist freiwillig gegangen, vielleicht sollten wir ..."

Womöglich tat ich ja allen nur Unrecht und es wäre an der Zeit, sie gehen zu lassen. Doch wie sollte ich sie gehen lassen, wenn sie unser Kind mit sich nahm?

„Denk gar nicht erst daran, jetzt aufzugeben."

Die Stimme meines Schwiegervaters war so entschlossen, dass ich mich beinahe fürchtete, auch den zweiten Zweifel hervorzubringen.

„Machst du dir nie darüber Gedanken, dass es vielleicht falsch wäre, ihre Wünsche zu übergehen?"

Jetzt packte ihr Vater meine beiden Oberarme.

„Tony, denk daran, wie es war, als Matheus über ihr Leben entschied."

Jetzt biss ich mir auf die Wange. Ich dachte an die Tränen, die sie hervorbrachte, nur weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, sie solle seine Frau werden.

„Und wer sagt uns, dass sie freiwillig ging? Womöglich wurden die beiden von ihm einfach mit sich genommen oder Matheus hat beschlossen sie zu erpressen."

Ich nickte ganz verdrossen, denn daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Statt dies anzunehmen, war ich ganz versessen darauf, meine Frau zu beschuldigen.

„Ihr seid verheiratet, Tony. Es ist deine Aufgabe dafür zu sorgen, dass sie an deiner Seite steht."

Jetzt nickte ich entschieden, ein Blick immer auf die Wiese unter uns gerichtet.

„Wie sieht der nächste Schritt aus?"

Mein Gegenüber begann zu lächeln, als wäre es sein alt verwahrter Traum, diesen Plan in die Tat umzusetzen.

„Wir werden sie einkreisen. Erst werden wir es ihnen unmöglich machen, das Land zu verlassen. Dann werde ich dafür sorgen, dass sie das Haus hüten müssen, in dem sie sich verstecken."

„Und wenn sie selbst das überstehen?"

Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie dieser Zermürbungstaktik standhalten würden, doch es war Matheus gegen den wir antraten und dieser war mit Sicherheit nicht allein gekommen.

„Dann werde ich dafür sorgen, dass sie ihr kleines Nest freiwillig verlassen."

MatheusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt