Kapitel 19

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Die Wochen vergingen und von Tag zu Tag fiel ich Matheus selbst immer mehr zum Opfer. Er bemühte sich mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und so ließ er mich oftmals bei meiner Familie. Das ein oder andere Mal leistete er uns sogar Gesellschaft. Oftmals war Matheus jedoch sehr beschäftigt. An solchen Tagen war Tony an meiner Seite. Ich nahm an, der Dunkelhaarige wollte mich in Sicherheit wissen, auch wenn die Souza Familie sich seit besagten Tag ruhig verhielt. Manchmal holte mich der Ausdruck des Mannes in so manchen Nächten ein. Ich hatte wieder vor Augen, wie ich den Abzug betätigte und kurz darauf der dumpfe Ton seines Körpers erklang. Matheus half mir sooft da heraus, dass ich es an einer Hand nicht abzählen könnte.  Es lief so gut, dass ich sogar meiner Mutter und meiner Schwester von der nahestehenden Hochzeit erzählte. Natürlich waren beide sehr überrascht, wie eilig wir es doch hatten. Doch was sollte ich sagen, ich war eine Idiotin, die sich in ihren Entführer verliebte und nun wie wild Hochzeitskleider sichtete. Es waren einfach zu viele.

„Oh, ich sehe, du bist beschäftigt. Ich komme später wieder.“

Tony, der gerade im Türrahmen Platz genommen hatte, wollte kehrt machen.

„Warte Tony!“

Ich trat aus der Kabine heraus und präsentierte ihm eines meiner Favoriten. Meine Euphorie war mir selbst ein Rätsel. Vor Wochen wäre ich lieber gestorben, als diesen Weg zu gehen und jetzt … Jetzt trug ich ein weißes Kleid an meinem Leibe. Ich sollte womöglich meinen Verstand untersuchen lassen.

„Lieber das oder doch das mit Spitze.“

Bei meinem Anblick verschlug dem Dunkelhaarigen den Atem. Er trat ein paar Schritte in meine Richtung, konnte noch immer seine Augen nicht von mir nehmen. Mein Gegenüber schüttelte leicht den Kopf und lenkte seine Aufmerksamkeit zu meinem Gesicht, dass vor Röte nur so schimmerte.

„Entschuldige bitte, doch du siehst umwerfend aus.“

Ich war so perplex, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ein simples 'Danke' hervorzubringen. Etwas verlegen begann Tony seinen Kopf zu tätscheln, während ich eilig in das nächste Kleid schlüpfte. Den Traum einer Prinzessin und mein Traum eine zu sein. Doch war es den Preis wert?

„Aber bist du dir sicher, dass du das auch willst? Ich erinnere dich nur ungern, doch sobald du Matheus heiratest, wirst du für immer Teil dieser Welt sein.“

Wie von allein ließ ich mich auf den kleinen Hocker fallen. An seiner Stimme erkannte ich, dass mein neugewonnener Freund an der Wand der Kabine lehnte. In den vergangenen Wochen wurde er zu meinem einzigen Vertrauten, den ich hier besaß. Unabhängig davon, dass mich Matheus außer zu meiner Familie nirgendwo hinließ. Ich hoffte, diese Angewohnheit war etwas Vorübergehendes.

„Was soll ich den tun, Tony? Meiner Familie geht es fantastisch, das kann ich nicht aufs Spiel setzen. Außerdem wäre es mir unmöglich zu fliehen, ohne dass er mich daraufhin finden würde.“

Das waren zwei der Gründe. Der Dritte war, dass ich nicht wusste, ob ich Matheus überhaupt verlassen konnte. Er war mir so unter die Haut gefahren, dass es mir unmöglich vorkam, ihn wieder abzuschütteln. Ich hörte, wie Tony langsam in die Kabine trat. Er hockte sich vor mich hin und legte seine Hände behutsam auf meinen Schoß. Unter verzweifelten Augen sah ich ihn an.

„Was, wenn es deiner Familie auch ohne ihn gut gehen würde? Was, wenn es eine Möglichkeit gebe, dem Ganzen zu entfliehen?“

Etwas verwirrt schaute ich zu ihm auf, doch da wurde mir mit einem Mal furchtbar schlecht. Panisch stieß ich ihn zurück und rannte ins anliegende Bad. Tony ging mir hinterher und hielt meine Haare, während ich meinen gesamten Mageninhalt in der Toilette ergoss.

„Melodie?“, raunte er sanft, doch ich war so benommen, dass es mir nicht gelang ihm zu antworten. Zu groß war die Gefahr, mich erneut zu übergeben. Matheus vergnügte Stimme ertönte jetzt im Hintergrund.

„Wo ist denn meine schöne Braut? Sollte ich vielleicht die Augen schließen?“

Doch sein Frohsinn wurde sogleich von Tonys besorgter Stimme abgelöst und so stand er kurze Zeit später ebenfalls hinter mir und strich mir über den Rücken. Mir war das Ganze mehr als unangenehm. Jetzt, wo ich mir sicher war, dass nichts mehr nachkommen würde, betätigte ich die Spülung und lehnte mich an die Wand gegenüber. Ich fühlte mich miserabel. Matheus hatte sich vor mich gehockt.

„Wie geht es dir?“

Ich nickte nur und wollte wieder aufstehen, doch mein Zukünftiger zwang mich, es sein zu lassen.

„Bleib erst mal sitzen.“

„Mit geht es schon besser“, brachte ich mit einem Lächeln heraus, auch wenn das nicht wirklich der Wahrheit entsprach.

„Ich werde dir einen Arzt rufen.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, schimpfte ich, während er in die Höhe sprang und längst sein Handy zückte. Meine Versuche waren jedoch nicht gewinnbringend und so erklang seine Stimme keine Sekunde später außerhalb des Raumes.

„Tony“, quengelte ich, doch seine Miene war ebenso eisern. Ich hatte mich einmal übergeben, das war nun wirklich kein Weltuntergang. Mit Sicherheit habe ich nur etwas Schlechtes zu mir genommen.

„Ich denke, Matheus hat recht.“

***

„Also so scheint es ihr gutzugehen“ summte die Ärztin.

Offenbar kannte die alte Dame Matheus von früher, denn sie blickte ihn nicht aus diesen angstvollen Augen an, wie es seine sonstigen Angestellten taten. Der Dunkelhaarige war auch weniger herrisch, als das sonst der Fall war.

„Nimm ihr noch Blut ab, um sicherzugehen.“

Bei letzterem hatte ich mich wohl getäuscht.

„Das wird nicht nötig sein“ brachte ich ängstlich hervor.

Ich hasste Nadeln. Jetzt setzte sich der Dunkelhaarige zu mir und die steinige Schale zerbrach, hinter der er sich zu gern versteckte.

„Ich will nur wissen, dass es dir wirklich gut geht.“

Dem konnte ich nichts entgegenstellen und so nickte ich leicht verdrossen. Mein Gegenüber setzte mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor er das Zimmer verließ und die Ärztin ihre Arbeit verrichten ließ.

„Es hilft, wenn sie wegschauen“, raunte die alte Dame sanft und ich kam ihrer Aufforderung nach. Kurz darauf, ich nahm an, sie wollte mich ablenken, sprach sie weiter.

„Ich muss schon sagen, ich habe Matheus noch nie so erlebt.“

„Was meinen sie?“

Die Ärztin musste jetzt schmunzeln.

„So handzahm. Er war immer solch ein Wildfang und die Erziehung seines Vaters hatte dies nicht wirklich gemildert.“

Darüber musste ich das Gesicht verziehen.

„Woher kennen sie ihn? Es klingt, als wären sie schon lange mit ihm vertraut.“

Behutsam begann die Frau jetzt meinen Arm zu betupfen und als ich hinsah, war es längst vorbei. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie mein Blut genommen hatte.

„Ich war schon Ärztin dieser Familie, da lebte die Mutter noch.“

„Wie war sie so?“

Das Gesicht der alten Dame verzog sich zu einer schmalen Linie.

„Ich denke, sie war unglücklich.“

Betroffen blickte ich hinab, da setzte sich die Hand der alten Frau tröstend auf meine Schulter.

„Machen sie sich keine Gedanken. Matheus ist nicht sein Vater.“

Aber er könnte es werden, sobald er das Geschäft übernimmt. Liebevoll zwang ich mir ein Lächeln auf, dass die Ärztin beschwichtigte ihre Sachen zusammenzuräumen.

„Bleiben sie vorsichtshalber noch eine Weile liegen. Ich werde mich dann später bei Ihnen melden.“

MatheusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt