4. Nora

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Paul, der mir gegenüber Platz nehmen sollte, schaut mich entschuldigend an. Es ist ihm deutlich anzumerken, wie unangenehm ihm die Situation ist, doch ich lächle ihn tapfer an. Natürlich bin ich traurig über Gudruns Vorbehalte, aber Toms Absichten mir gegenüber muss ich nicht infrage stellen. Der verteidigende, beschützende Arm, den er sofort über meine Rückenlehne legt, als er Nina erblickt, spricht eine deutliche Sprache für alle Anwesenden.

»Hallo Paul!«, begrüßt sie Toms Vater überschwänglich, der weniger überschwänglich ein »Hallo Nina!« erwidert. »Nora, wie schön!«, wendet sie sich mit einem falschen Nicken mir zu. »Hallo Nina, ebenso!«, antworte ich und versuche, freundlich zu klingen. Am liebsten würde ich genervt meine Augen rollen, wenn ich an unsere bisherigen Treffen denke. Wir kennen uns durch zufällige Begegnungen in der Fußgängerzone unserer Stadt und es wurden nette Höflichkeiten dabei ausgetauscht.

***

Das erste Mal saßen wir an einem Samstagabend von Max' Papa-Wochenende mit Phil und Annika in einem Restaurant im Außenbereich und ich musste Händewaschen. Auf dem Weg zurück zu unserem Tisch sah ich aus der Ferne diese hübsche, junge Frau von einem Foto in Toms Kram-Schublade. Sie saß auf meinem Platz neben ihm und versuchte vehement, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Am liebsten wäre ich umgekehrt.

»Hallo Nora! Da bist du ja wieder! Ich dachte, ich muss den restlichen Abend allein mit diesen zwei Kindsköpfen verbringen«, band mich Annika geschickt wieder in die Runde ein, als sie mich sah. Wie immer, war sie wahnsinnig lieb und half mir über meine Unsicherheiten hinweg. »Endlich!«, rief Tom sehnsüchtig mit erleichtertem Unterton und wirkte genervt. Ich ging auf ihn zu, als er die Hand nach mir ausstreckte und mich schwungvoll auf seinen Schoß zog. Nina blickte uns ungläubig an, bewahrte aber Haltung, wie das eine erfahrene, abgeklärte Frau täte, die instinktiv bemerkte, dass es eine ernsthafte Konkurrenz in ihrem Revier gab.

Doch es wäre nicht Phil, wenn er nicht einen Satz für seinen Freund parat gehabt hätte: »Ach, gib's doch zu! Du hättest dich gefreut, wenn du nach Nora hättest suchen müssen und die Suche auch noch etwas ausgedehnt«, lachte er unter einem anzüglichen Grinsen. Tom lachte daraufhin ebenso anzüglich und stellte uns beide einander vor: »Nora, das ist Nina, eine alte Freundin von früher«, erklärte er dabei so sachlich, als würde er über das Wetter reden und ich zuckte errötend zusammen, weil mich das öffentliche Friendzonen peinlich berührte. »Nina, das ist Nora, meine Lebensgefährtin.« Auch diese Vorstellung behagte mir überhaupt nicht, weil ich das Wort gar nicht mochte, doch war damit mein Status geklärt. Kurz darauf konnte mich mein Liebster wieder neben sich Platz nehmen lassen, weil Nina wegen einer plötzlichen Verabredung schnell aufbrechen musste.

***

Heute ist Nina sexy, aber geschmackvoll in einem luftigen, leicht durchsichtigen, gelben Sommerkleid gekleidet, das ihr bis kurz vor die Knie reicht und ihre schlanken Beine und die gebräunte Haut betont. Es ist ärmellos und hat einen tiefen, aber gerade noch angemessenen Ausschnitt. Dazu trägt sie weiße Pumps.

Bei ihrem Anblick spannt sich Tom neben mir an. Er ist absolut nicht erfreut darüber, dass sie hier aufgetaucht ist. »Tom!«, ruft Nina ungeachtet dessen begeistert aus. »Ist ja schon etwas her. Wie geht es dir ... oh, entschuldige ... euch denn so?« Unterm Tisch lege ich die linke Hand auf seinen rechten Oberschenkel, kreise beruhigend mit meinem Daumen darüber und er entspannt sich etwas. »Hallo Nina. Ja, geht so. Viel zu tun«, erwidert er sachlich.
   »Liebes, wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen! Erzähl doch mal, wie es dir geht«, ruft Gudrun euphorisch aus. Sie merkt wohl, dass Tom nicht so anspringt, wie sie es gerne hätte.

Nina erzählt von ihrer neuen Arbeitsstelle und dem letzten Urlaub mit der Clique, aus der sich Tom – freiwillig – weitestgehend zurückgezogen hat. Er trifft sich regelmäßig mit Phil, so wie ich mich mit Annika treffe und wir unternehmen als Paare vieles gemeinsam, wobei sich beide auch immer rührend um Max bemühen, wenn er dabei ist.

Liebe findet ihren Weg 2Where stories live. Discover now