Kapitel 54 - Last Goodbye, oder: Ich werde abgeschoben

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Am ersten Dezember wurde ich also endlich abgeschoben. Klar, sie wollten alle nur das beste für mich, und mir war selbst klar, dass ich im Erebor nicht bleiben konnte. Fürs erste war ich also gezwungen, weiterzuleben.
Wir hatten uns etwas Zeit mit dem Frühstück gelassen und nochmal die ganze Gemeinschaft für ein letztes gemeinsames Essen zusammengetrommelt. Jetzt standen wir vor den Toren des Berges, dessen Wiederaufbau in vollem Gange war.
Legolas war etwas abseits, schon bereit für die Reise, und hielt Haryon und sein eigenes Pferd am Zügel.
Ich stand bei Fíli, hinter ihm all meine Brüder, die ich zurücklassen musste. Zuerst wendete ich mich an sie, um meine kleine Abschiedsrede zu halten:
„Ich bin nicht so gut mit Worten, zumindest nicht in dieser Situation. Aber danke, dass ihr mich aufgenommen habt und behandelt habt wie einen Bruder. Ich werd euch vermissen. Und wie Bilbo schon gesagt hat; kommt gerne mal vorbei, ihr seid immer willkommen! Hab euch lieb."
Sie nickten und lächelten auf sentimentale Zwergenart. Ich hielt nochmal Augenkontakt mit jedem einzelnen, konnte selber aber kein Lächeln zustande bringen. Ein letztes Mal prägte ich mir ihre Gesichter ein; wer wusste denn schon, ob und wann ich sie je wieder sehen würde?
Ich legte meine Hand aufs Herz und streckte meinen Arm zu ihnen. Das war zwar der elbische Gruß, aber Umarmungen wollte ich noch immer nur von speziell ausgewählten Leuten.
Und ein letztes Mal verbeugten sich Bifur, Bofur, Bombur, Óin, Glóin, Ori, Nori, Dori und Balin.
Endlich drehte ich mich zu Fíli, der das ganze beobachtet hatte.
„Niemand ist böse oder wütend auf dich. Das musst du noch wissen. Tut mir leid, dass wir die letzten Tage so distanziert waren. Es ist für alle eine schwierige Zeit. Aber das hätten wir nicht an dir auslassen sollen. Du hast von uns allen am meisten gelitten."
Dankend nickte ich und spürte schon wieder, wie meine Augen feucht wurden. „Es ist alles scheiße, ja. Aber ich werde sicher nicht plötzlich wieder Spaß am Leben haben, nur weil ich das hier hinter mir lasse." Dabei deutete ich auf den Berg. „Ich nenne euch alle meine Brüder, aber du bist mir am meisten einer als alle anderen. Danke."
Fíli nickte mitfühlend und nahm liebevoll meine Hände.
„Du bist mein Bruder. Er hätte das gewollt. Und die Zwerge sind für immer dein Volk. Du wirst hier immer ein Zuhause haben. Auch, wenn der Prinz nicht unter dem Berge ist, so wird jedes Kind seinen Namen kennen. Ich wünsche dir nichts als Glück und Frieden."
Und die erste Träne kullerte meine Wange hinunter.
Reflexartig wischte Fíli sie mir weg und schloss mich in eine feste Umarmung. Als wir uns wieder voneinander lösten, drückte er mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ich wollte dir noch etwas für Bilbo mitgeben. Erstens meine Grüße und alles Glück auf der Welt. Und zweitens..." Fíli holte eine kunstvoll verzierte Schmuckschatulle aus reinem Gold aus der Tasche.
„Ich bin Thorins Sachen durchgegangen und fand Skizzen und Pläne für diesen Ring. Er hatte wohl eine zweite königliche Verlobung geplant. In seinem Namen habe ich den Ring schmieden lassen. Bring ihn seinem rechtmäßigen Träger, ja?"
„Oh", murmelte ich traurig. Dann nickte ich.
Ich nahm die Schatulle an und steckte sie sicher in meine Brusttasche zu Kílis Runenstein, unseren Portraits und dem Liedtext.
Ein letztes Mal umarmte ich Fíli, König unter dem Berge, mein Bruder im Herzen.

Endlich kam ich zu Legolas, nahm Harrys Zügel aus seiner Hand und wir schwangen uns fast synchron auf die Pferderücken. Wir beide ritten nach der Elbenart ohne Sattel, und die Trensen hatten keine Gebisse.
Ich warf einen letzten Blick zu meinen Brüdern und dem Berg dahinter. Sollte ich noch ein paar Jährchen leben müssen, würde ich das alles wahrscheinlich trotzdem nicht wiedersehen. Hier endete die Gemeinschaft von Thorin Eichenschild endgültig für mich.
Erst jetzt schloss ich die Augen und wuchs wieder auf meine originale Größe.
Bevor ich wieder heulen konnte, winkte ich noch ein letztes Mal und trieb Haryon direkt in den Galopp, weg vom Erebor, weg von all dem Trauma. Legolas folgte mir etwas langsamer auf seinem Schimmel.
Nach ein paar hundert Metern parierten wir durch zum Schritt, und der Elb übernahm die Führung. Er war schließlich derjenige, der den Weg kannte. Wir schlugen die Route nordwestlich Richtung Graues Gebirge ein, sodass wir im Norden einen Bogen um den Düsterwald machen konnten.
Mit unseren Pferden kamen wir weitaus schneller voran als auf dem Hinweg, sodass wir locker vierzig Kilometer pro Tag in gemächlichem Schritt schafften. Wir hätten weitaus mehr schaffen können, wollten uns aber die Ruhe und Zeit nehmen.
Als der Erebor hinter uns immer kleiner wurde, brach ich endlich die Stille mit einem Lied:

Mittelerde... Ernsthaft?! //Hobbit ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt