Kapitel 6.3 - Filou 🌶️

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Weißer Rauch puffte, verflüchtigte sich im hereinziehenden Wind, der sich wie ein Gast durch das kleine Fenster drängte. Zarte Finger der See, die seinen Nacken kitzelten und ihm zu dem heißen Kribbeln in den Fingerspitzen einen kühlen Schauer über den Rücken herunterschickte. Nachdenklich tippte er mit dem Ende des Stängels gegen seine Lippen, bevor seine Zungenspitze herausfuhr und den leicht bitteren Geschmack kostete, der dadurch zurückblieb. Er rauchte immer dann, wenn ihn etwas beschäftigte. Auch, weil ihm das Rauchen aus seiner Zeit als Indianer geblieben war. Er wusste sehr genau, welche Kräuter und Pflanzen man verarbeiten konnte um Wirkungen zu erzielen, die über den gewöhnlich kratzigen Tabak hinaus gingen, den man hier erbeuten oder in den entfernten Graslanden im Nordosten bei den Jagdgründen der Bestien und an Blackbeards Gebiet zu ernten vermochte.


Dabei hatte ihm die ersten Male, bei denen er an der hölzernen Pfeife oder den Schilfröhrchen seines Vaters gezogen hatte, der kratzige Beigeschmack nicht einmal wirklich gefallen. Warum also hatte er trotzdem damit weiter gemacht? Nun, es war derselbe Grund, warum manche Kinder sich Schuhe anzogen, statt weiterhin barfuß über den Boden zu rennen: es war einfach ungewohnt, jemand älteres machte es vor und ein Kind imitierte einfach, was ihm gezeigt wurde, bis es jene Handlung für selbstverständlich hielt.


Er hatte sich das Rauchen angeeignet und schließlich war es zu einer Gewohnheit geworden, die ihm manche Augenblicke einfach versüßte. Wenn er an der Klippe saß, den Blick über das schimmernde Meer schweifen lassend an dessen Horizont sich der Nebel in formlosen Schwaden als Mauer erhob, das Licht der sinkenden Sonne sich darauf brach und jene graue Masse in ein farbvolles Meer verwandelte, dann hatte es einfach etwas... harmonisches, ruhiges und rituelles besessen, dabei an dem glimmenden Stängel zu ziehen und die Sinne damit zu schärfen.


Auch jetzt hoben seine Finger den Glimmstängel an seine Lippen und ließen ihn den beruhigenden Qualm einatmen. Seine Gedanken dagegen waren alles andere als ruhig oder gelassen. Er bildete sich daher relativ viel darauf ein, nicht nur der erste Maat, sondern auch durch kleine Kieselsteinchen schwer aus der Ruhe bringen zu sein.


Aber SIE war auch alles andere als eine Kleinigkeit.

SIE.

Sie war der Inbegriff allen Chaos in Neverland. Frauen... wie konnte ein einziges Wesen so viel Durcheinander in ein solch eng verstricktes Gewebe bringen? Sie war kein Gewitter. Sie war eine ganze, gewaltige Sturmfront. Diese Frau konnte Eifersucht, Zwietracht und brennendes Begehren in den Männern wecken. Doch nicht die romantischen Gefühle, die eine Frau erwartete und die meisten sicherlich auch verdienten. Sondern eine schmutzige, verkommene Version davon, die mehr einem verzerrten Spiegelbild in einem Kabinett glich, als poliertem Silber in edler Fassung.


Die Insel war lange nicht mehr gnädig oder nachsichtig. Sie war ein Biest mit scharfen Zähnen und blitzenden Augen, vor das man ein kuscheliges weiches Fellknäul setzte - und erwartete, dass es nicht zerfleischt wurde. Wie vergeblich war dieser Gedanke? Er kannte die Antwort. Er kannte immerhin die wenigen Frauen der Insel, die sich zum Großteil unter dem Schutz Red Daggers befanden. In der Seestadt gab es ein paar, doch auch dort fand man nicht viele. Die Vorsehung meinte es in Neverland selten gut mit den kleinen Sonnen, die in der Kälte und dem Blut dieser Insel schnell ertranken und erloschen. Diese Welt war nicht geschaffen für das warme, zarte Wesen einer Frauenseele.


Er war noch nie begeistert von den Männern gewesen, die Frauen unter sich zwangen. Die sich von den schwächeren Geschöpfen einfach nahmen was sie wollten und er hieß es auch heute noch unter keinen Umständen gut. Und doch war es lange Zeit gerade unter den Piraten kein Verbrechen gewesen, sich über die Weibsbilder herzumachen. Filou wusste, dass die meisten Männer das aus ihrem Leben außerhalb der Nebel bereits hierher mitgebracht hatten und das der ungestillte Durst ihrer Seele, der sich an diesem Ort in ausgewachsenen Wahnsinn verwandeln konnte, zweifellos mit Schuld daran sein mochte, dass sich die Männer zu leicht in dieser Schandtat verloren. Ungestillte Lust und Gier war ein gefährlicher Rausch, der einen Mann verzehren konnte. Die Mischung aus Verzweiflung, Lust, einer Leere, die hier in Neverland niemand zu füllen vermochte.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now