Kapitel 4.1 - Filou

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Wankend wie ein trunkener Seemann trug das kleine Beiboot sie getreu über die Wellen, die zischend und grollend gegen die Nussschale stießen. Schaum bildete sich dort, wo sie wie Geister vorüberzogen und die dunkle Masse sich teilte. Derweil kämpften die Männer mit kräftigen Ruderschlägen gegen die gen Brandung drückenden Wellen. An Land zu gehen war stets leicht, doch Neverland wieder zu entkommen war schwierig - auf mehr als nur eine Art und Weise.
Nun waberten Nebelschwaben um die Paddel, flossen geisterhaft über das Meer hinfort und das Rauschen der See erfüllte die Geräuschkulisse zu den ächzenden Lauten der Piraten bei jedem Ruderzug mit mehr Nervosität. Etwas lag in der Luft, nicht greifbar und doch waren alle Muskeln der sonst so harten Seebären angespannt. Ihre Augen glitten immer wieder unruhig umher.
Filou Kniete halb in dem Boot, die Frau hatte er in das feuchte Wasser im Bauch des Ruderbootes neben sich heruntergedrückt. Die beiden Rudernden saßen auf der schmalen Holzbank und gaben ihre ganze Kraft im Kampf gegen die Wellen. Zu stehen würde sich kaum jemand erlauben, der nicht voller Todessehnsucht oder töricht wäre.


"War da gerade etwas?" raunte es hinter ihm und Filou kniff die Augen sofort zusammen.
"WO?" zischte ein anderer, hörbare Unruhe in der Stimme.
"Seid still." gab der Maat mit harschem Ton zurück und hob dabei die Hand, um den Befehl zu untermauern.
Mit zusammengekniffenen Augen furchte sein Blick in den Nebel, flog über das Wasser... und sah hier und da im Nebel seltsame Schemen ohne Form. Als floss etwas aus den Alpträumen direkt in diesen Nebel, schaffte es jedoch nicht, Form anzunehmen.
"Seid wachsam." raunte er dann und alle verstanden. Der Nebel war heute dichter als sonst, die Schwaden waberten tückisch über die Wellen. Sie alle klemmten sich irgendwo so gut sie konnten an das Gerippe des Ruderbootes, suchten irgendwo Halt zur Sicherheit.
Sobald etwas gegen sie stieß oder eine Kreatur nach einem griff, mussten sie auf jeden Fall verhindern, das es den Sirenen gelingen könnte, sie aus der Sicherheit des Bootes zu zerren. War man einmal im Wasser, wäre man so gut wie tot.
Mit grimmiger Miene umgriff Filou sein Entermesser und auch den Arm der jungen Frau fester. Zu ihrem eigenen Schutz, denn er und diese Männer waren aktuell alles, was zwischen ihr und den Reißzähnen der Monster dieser Gewässer standen.


Einige Zeit lang war nichts weiter zu hören, als das trügerische Rauschen der Wellen udn das Plätschern der Paddel... bis sich endlich die Lichter der Jolly Roger und die gewaltige Gestalt des prächtigen Dreimasters aus dem Nebel schälten. Manche Schiffe mochten mit den Wellen über die See gleiten, ihr dienen und sich den Launen beugen. Die Jolly Roger tat dies nicht. Sie schnitt wie ein Messer durch die Wellen, schien dem Meer Herr zu sein statt Untertan. Manchmal schien es, als beugte sich die See Neverlands, so launisch sie war, dem herrischen Blick des Kapitäns. Vielleicht hatte jener, wie es in so vielen Geschichten der Einheimischen erzählt wurde, tatsächlich einen Pakt mit irgendeinem Teufel, Dämon oder einer anderen Entität geschlossen.
Filou wusste es nicht, doch zuzutrauen wäre es Hook zweifellos. Wenn er ehrlich war, wollte er es besser gar nicht wissen. Fakt war: Für sie, also die Piraten die zu Hooks Mannschaft gehörten, war die Jolly Roger nicht nur ein Flaggschiff. Sie war Zuhause und bedeutete Sicherheit auf einer Insel, an der es nicht mehr viele sichere Orte geben mochte. Wo früher einmal ein buntes Eiland voller Freude und Träumen in den Meeren herrschte, fanden die Schatten heute ihren Weg überall hin.


Als das Beiboot gegen die Jolly Roger stieß und sie jenes vertäut hatten, wusste Filou bereits, das etwas nicht stimmte. Die Geräuschkulisse hier war lauter. Wellen, die sich am Schiff brachen, das Beiboot dagegen stoßen ließen. Das Klappern der Holzleiter, die im Takt des Wankenden Schiffes an das feuchte Holz schlug. Die tosende Gischt und das hier vorherrschende Treiben auf dem Schiff neben dem Wind auf See, füllte die Ohren mit Tosen. Dennoch erschien es ihm, als würde Unruhe wie ein ungeduldiges Kind an seiner Kleidung zerren.
„Komm." Wies er die Frau in Folge dessen ungeduldig an, zog sie nahe an das Schiff und gab dann mit ein paar Handzeichen Befehle nach oben zu den Männern, die über den Rand der Reling spähten. So wie sie aussah, würde sie vermutlich nicht die klapprige Leiter hinaufklettern können. Filou verzog das Gesicht, dann schob er seine Waffe in die Schwertscheide zurück und griff nach der schlanken Gestalt.
"Halte dich fest."
Es kostete ihn Kraft, dennoch wuchtete er sie sich förmlich über die Schulter wie einen Sack Mehl. Während sie sich an ihn klammerte, hielt er sie an den Beinen und griff dann mit der freien Hand nach dem festen Hanfseil, um die Sprossen zu erklimmen. Als er die Reling endlich erreichte, griffen bereits starke Hände nach dem Weibsbild um ihm die unerwartete Beute abzunehmen, sodass er schließlich über das letzte Hindernis klettern konnte.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now