Kapitel 4.5 - Filou

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Wüsste das arme Mädchen, auf wessen Schiff sie hier gelandet war, sie würde vermutlich beißen, kratzen und um sich schlagen, um seinem Griff und der Gefangenschaft zu entkommen. Ändern würde es am Ende doch nichts - sie hatte das Unglück und Glück gleichauf, ausgerechnet ihnen in die Hände gefallen zu sein. Wer allerdings erwartete, dass der Pirat sich nun vor Mitleid grämte, würde enttäuscht werden. Auch wenn Filou vielleicht noch mehr Gefühl für Moral oder Gerechtigkeit besitzen mochte, als manch anderer unter Hooks Kommando, so war er doch ein Pirat. Er plünderte, mordete und hatte viele schreckliche Dinge getan.

Eine Frau, deren Schreie irgendwann verklingen würden, war nicht mehr als ein weiterer schwarzer Strich auf der großen Liste seiner Taten, die irgendwann abgerechnet werden würden. Und bei allem was er getan hatte, zweifelte Filou nicht daran, dass er nicht in die Großen Jagdgründe einkehren würde. Wenn er ehrlich war, wollte er das auch gar nicht mehr. Jeder hatte sein Laster zu bezahlen. Und irgendwann würde auch er es müssen.


Ein Ureinwohner auf Wasser, auf einem Schiff, war bereits ungewöhnlich genug. Durch die Gewässer, egal welcher Art, vermochten sie nicht in die Ewigen Jagdgründe über zu gehen, falls sie dort verstarben. Die meisten Indianer mieden die Gewässer daher, kämpften lieber im Landesinneren. Es war eine Marter, wenn Hook die stolzen und sturen Krieger an die Felsen im Skull Rock kettete, um sie dort ertrinken zu lassen. Die eine oder andere Zunge hatte die Aussicht auf das Verwehren des Zutritts in das Leben nach dem Tod doch zu lockern vermocht.
Er jedoch fürchtete sich nicht vor dem Meer, auch nicht davor, hier sein Ende zu finden. Filou hatte zu vielen Verlorenen Burschen aus der anderen Welt jenseits der Nebel zugehört, um weiterhin eingeschränkt allein in dem Glauben an die Alten Geister zu verweilen und nicht zu wissen das es mehr gab, als nur jene Entitäten, die eine schützende Hand über ihre Kinder halten konnten.
Hatte sein alter Instinkt ihn doch nicht verlassen?
War doch noch immer ein Hauch des Indianers in ihm zurückgeblieben, obwohl er schon so lange den Wegen der Alten Geister dieser Welt nicht mehr folgte?


Am Ende spielte es wohl keine Rolle. Er war nun wer er war und er hatte diesen Weg selbst gewählt. Auch wenn er nicht immer einfach war... beispielsweise an Tagen wie diesen, an denen er eine junge Frau unter Deck zerrte. Vorüber an den gaffenden, geifernden Männern die lachten, nach ihrem Hintern griffen und erst auf seine schneidenden Blicke aus dem Weg traten, ahnend, dass er jetzt nicht die Geduld für Maßregelungen besaß. Manchmal erlaubten sich die wilden Hunde noch immer, hin und wieder herausfordernd zu kläffen und die Zähne zu zeigen. Dann musste er den frechen Biestern auf die Nasen schnippen und sie schmerzhaft an ihren Platz erinnern. 
Vielleicht war die Stimmung auf dem Schiff auch wegen den Ereignissen zuvor noch so aufgeheizt. Das Mädchen konnte nur hoffen, dass Hook in keiner miserablen Laune sein würde, wenn er sie zu ihm führte. Angesichts des Vorfalls jedoch musste er vermuten, dass diese Hoffnung vergeblich war. Manchmal waren die Verlorenen erfolglos was den Diebstahl an Bord anging. Dann war der einzige Verlust ein Hut oder mal ein Mantel, hin und wieder die Ehre von einem der Männer, den sie am Ende aufgehängt in der Takelage fanden. An solchen Tagen glich es wirklich beinahe der Spielerei alter Zeiten, in denen sie sich gegenseitig grinsend auf die Zehen traten, aber keine Klinge in die Eingeweide rammten. Ärgernisse aber kein Grund für... Rache oder solchen Zorn, den man über die gefallenen Kameraden empfand, die zum Spaß getötet worden waren. 

Diesmal jedoch war der Überfall der Verlorenen von Früchten getragen: sie hatten aus dem wertvollen Vorrat Wein und Rum entwendet, Lebensmittel und es gab Verluste in den Reihen. Wenn er die Frau jetzt zu Hook gebracht hätte... dann hätte Filou keine Kugel aus sehendem Kristall benötigt, um vorherzusagen, was mit ihr geschehen würde.


So herzlos er manchmal sein mochte, ruchlos und seinem Titel würdig den er sich nicht durch Eierschaukeln erworben hatte, so würde er sie nicht einem gereizten, hungrigen Löwen vor die Schnauze werfen. Ihre Chance, dass sie Hook gefiel und dadurch vielleicht nicht der Mannschaft übergeben wurde, konnte sich steigern, wenn er sie ein wenig herrichtete.
Der Kapitän war ein wählerischer Mann, der nicht wie die anderen niederen Trieben allzu leicht verfiel und sich über alles hermachte, was die Beine breit machen konnte.
Er suchte sich jene Frauen aus der Seestadt penibel aus – und auch da konnte sich Filou kaum an das letzte Mal erinnern. Andererseits... war diese Frau wirklich eine Schönheit.
'Wenn sie euch nicht gefällt, muss ich doch an eurem Geschmack zweifeln, Kapitän.', dachte er, während er sie in das Unterdeck führte, wo sich der einzige, winzige und wenig frequentierte Waschraum befand.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now