Kapitel 5.8 - Kapt. J. Hook

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Mit einer Ruhe als hätten sie noch Dutzende Nächte Zeit, wartete James bis sich der Verlorene endlich gesetzt hatte und das Essen aufgetragen war. Luke erinnerte ihn an eine kleine Wildkatze, noch zu tapsig um auf eigenen Pfoten zu stehen und scheu wie ein Reh. Man musste sich vorsichtig bewegen, keine zu schnellen und ruckartigen Gesten machen um das Tier nicht zu verschrecken. Von der Mutter bereits verlassen aber noch lange nicht fähig, gänzlich allein auf der Insel zu überleben. Wie lange dauerte es, bis er sich die feinen Glieder brach? Die unzähligen Gefahren Neverlands würden ihn das Leben kosten, ob heute Abend, morgen oder durch einen bizarren Zufall erst in einigen Wochen... es spielte keine Rolle. Die Schwachen holte sich das Neverland immer zuerst.


Nun, ungefähr genauso schmutzig war Luke auch... doch hätte Hook sich ernsthaft an dem Dreck gestört, so hätte er vermutlich drei Viertel der Mannschaft über die Planke gehen lassen müssen. Man konnte sie nicht zur anständigen Hygiene zwingen, nicht wirklich, sondern ihnen nur den Hinweis an die Hand geben, dass mangelnde Körperpflege Krankheiten und Ungeziefer anlockte. Nun, wenigstens versuchten sie sich so regelmäßig es an Bord eben ging zu waschen. Aber es gab eben unter den Verlorenen – die obendrein noch Kinder waren und das Waschen ohnehin nicht ausstehen konnten – genug Schmutzfinken, sodass es Hook nicht gewundert hätte, wenn eine Rattenplage die Bengel dahinraffte.


Diesem Jungen haftete etwas an, James konnte es in seinen Bewegungen sehen, der Art wie er bemüht stillsaß und... wie es die Luft um ihn herum durchtränkte. Beinah erinnerte es Hook an... Peter. Nur das der Neuling noch nicht von der Essenz Neverlands triefte, sein Gewissen war rein – keine Last drückte die schmalen Schultern nieder. Sicher, er hatte Angst, fürchtete um sein Leben... aber seine Seele hatte Neverland noch nicht herabgedrückt, die Hände nicht mit Blut befleckt. Unschuld, die Pan völlig abhandengekommen war, verloren – wie sie alle. Oh, ihr heiliger Anführer war kein Lamm, er war eine Seuche die sie alle nach und nach durchtränkte. Mit der Einsamkeit und den Zweifeln eines Menschen zu spielen, sein Vertrauen auszunutzen... es war eine schlechte Tat, doch wenigstens machte Hook nur zweckmäßig von solchen Mitteln gebrauch. Der Kobold dagegen – er lebte von solchen Momenten, wenn er seine hörige Gefolgschaft mit Lügen über die Piraten fütterte, ihnen Flausen in den Kopf setzte wie rote Mäntel und die Kapitänskajüte. Dann passierte genau das. Jungen wurden im besten Fall gefangen genommen, im schlechtesten Fall starben sie noch während des Kampfes.


Und doch... so tief Hass und Abscheu saßen, waren sich der Held und der Schrecken doch in gewisser Weise ähnlich. Beide wollten oder konnten sie es nicht sehen, verschlossen die Augen vor der dunklen Wahrheit. Dass sie einander vielleicht ein kleines bisschen brauchten? Was wäre ihr Leben ohne den ewigen Kampf, Gut gegen Böse – wer glaubte noch daran? Es ging schon lange um nichts anderes mehr... Hook oder Peter. Schatten und Licht. Das eine konnte ohne das andere nicht sein.


»Nach Euch Captain.« (Luke)


Hrm, anscheinend misstraute Luke ihm tatsächlich was das Essen betraf. Nun, entweder er glaubte Hook würde jede Gelegenheit nutzen um ihm zu schaden oder es war rein gewohntes Misstrauen.

Kluger Bursche.

Doch in diesem Fall lag er falsch. Mit einem leisen Stöhnen lehnte James sich schließlich nach vorne und nahm sich etwas von dem gebratenen Fleisch, dass er sorgfältig auf seinem Teller ablegte. Dem folgten ein paar Kartoffeln und etwas von der Beerenmarmelade, die Smee in der Seestadt kaufte und nur zu wirklich besonderen Anlässen auftischte. Aber vermutlich hatte der Küchenjunge dem Smutje gesteckt, dass Hook von einem Gast gesprochen hatte – und auch Smee besaß diesen Hauch des Stils, der ihm zielsicher sagte wann er richtig aufzutischen hatte und wann ein einfaches Gericht ausreichte. 

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now