Kapitel 1.3 - Luke

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Und ihre Ahnung sollte sich als wahr herausstellen: Fassungslos stand Luke am Strand, den Kiefer heruntergeklappt und starrend, als die meisten wie auf ein Kommando das sie offenkundig nicht verstanden hatte, einfach mit lautem Gebrüll auf die Piraten zustürmten! Mit lautem Gebrüll, Krähen und Wolfsgeheul, brach der Plan in sich zusammen. Innerhalb von wenigen Augenblicken schwangen sich jüngere und ältere Verlorene an Seilen oder an den Leitern auf das Deck, sprangen über Kisten und Fässer und schickten das bis eben beinahe Idyll auf Deck in bodenloses Chaos. Nein. Das lief absolut nicht nach Plan!

Nibs schien damit mehr oder weniger gerechnet zu haben- jedenfalls wirkte der Verlorene mit dem braunen Haar, das ihm in unordentlichen Strähnen ins Gesicht hing und an manchen Strähnen mit ein paar Federn und Perlen verziert war, weniger überrascht.
»Verdammt! Ich muss an Deck die anderen im Blick behalten! Du krall dir den Mantel!« waren die Worte, die er ihr entgegenwarf, ehe er schon über einen umgefallenen Sack von Korn sprang und mit übermenschlich schnellen Schritten über die Gangway auf die Jolly Roger stürmte.


Luke widerstand gerade so noch dem Drang, einen rüden Fluch auszustoßen oder Nibs nachzubrüllen, ob das nun wirklich sein Ernst war. Wenn Peter wüsste was sie hier taten... Mit einem Keuchen wischte sie sich mit der flachen Hand über die Stirn und dabei Fransen des schwarzen Haares zurück, dass ihr in Strähnen unter der Mütze ins Gesicht fiel und jenes - das eh meistens absichtlich schmutzig war - umrahmte. So unauffällig wie möglich huschte sie im Schatten der Kisten, die in unregelmäßigen und eher chaotischen Abständen auf dem Steg standen näher an das Schiff, bemüht sich dabei nicht erwischen zu lassen. Doch die Piraten schienen gerade auf jene Verlorenen konzentriert zu sein, die ihnen an Deck einen Kampf lieferten.


Das wilde Klopfen ihres Pulses, dass sich beinahe in einer unheimlichen Art zu den immer wieder heranrollenden Wellen mischte, begleitete ihre pochenden Schritte auf dem von den Gezeiten gemarterten Holz, ehe sie über eine der Hanfleitern an dem Schiff emporkletterte, bis sie in etwa die Hälfte der Höhe erreicht hatte. Denn atmete sie tief durch, sammelte Konzentration und Mut zusammen und stieg auf den schmalen Rand einer der goldgetünchten Verzierungen, die das ganze Schiff schmückten. Ein Erwachsener wie die Piraten und jemand mit weniger Gleichgewichtssinn hätte zweifellos Probleme gehabt - sofern es nicht schon an dem benötigten Mut oder Todeswahnsinn mangelte - um diese gerade einmal Handbreite Befestigung aus Holz zu betreten. Mit dem Meer im Rücken, die Finger um eine der höheren Verzierungen gekrampft, schob Luke sich schritt für Schritt vorsichtig an der Außenseite des Schiffes entlang- ihrem Ziel - der Kapitänskajüte am hinteren Teil des Schiffes - entgegen...


In diesem Moment hatte Luke das Gefühl, dass sie sich zu schnell auf eine Dummheit eingelassen zu haben. Entsprechend nervös fiel der Blick unter der viel zu großen Schiffermütze aus dunkelgrauer, beinahe schwarzer Wolle nach unten, während der Schatten über ihren Augen tanzte, die sich in der klaren blauen Farbe die schäumenden Wellen spiegelten, welche sich am Schiff unter ihr brachen. Schäumend und gurgelnd rollten immer wieder Neue der großen Brecher gegen das unbeugsame Holz des Schiffes, überschlugen und verloren sich wieder. Ihre Finger zitterten von der Anstrengung, mit der sie sich krampfhaft an dem glitschigen Holz des Sims hielt, der sie noch von ihrem Ziel trennte: dem Fenster der Kajüte. 


Sie war schon heil froh, dass sie den anstrengenden Weg über die glitschigen Außenverzierungen und schmalen Holzwölbungen entlang des Schiffes überstanden hatte, ohne in die Gischt zu fallen. Schließlich zog sie sich unter einem hörbaren Ächzen hinauf und drückte sich mit dem Rücken in die Nische, die den Rand des Sims (und sie von einem tiefen Sturz) zum Fenster trennte. Kalte Scheiben, feucht von der See ächzten leise unter dem Gewicht ihres Körpers, während sie die Füße soweit anzog um Halt zu finden und sich mit einer Hand an dem Holz über ihrem Kopf abstützte. Sie brauchte die freie Hand, um den kleinen Dolch aus ihrem Stiefel zu ziehen, dessen Klinge im fahlen Licht des Mondes kurz aufblitzte, bevor sie die Klinge durch den schmalen Schlitz stecken und damit den Riegel des Fensters nach oben schieben konnte.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now