Kapitel 28~

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Runa POV
Schluchzend machte ich mich unter der Decke so klein wie möglich. Wuschel winselte leise und leckte mir über die Hand. Ich erinnerte mich wieder an alles und das verängstigte mich. Ich machte alles immer nur noch schlimmer. Vielleicht sollte ich abhauen, dann würden sie nicht in Gefahr sein, falls Liam nach mir suchen sollte. Gestern am See, da hatte ich so furchtbare Kopfschmerzen bekommen, weil ich mich erinnert hatte. Hier hatten wir den letzten gemeinsamen Urlaub verbracht, bevor unsere Eltern Milo aus dem Haus geworfen hatten, einfach nur, weil ich ihn dazu überredet hatte, es ihnen zu sagen. „Was soll ich nur tun?“, fragte ich Wuschel leise und kraulte ihn. Er leckte mir übers Gesicht und sprang dann aus dem Bett. Winselnd kratzte er an der Kommode, die ich vor die Türe geschoben hatte. Scheinbar musste er mal nach draußen. Naja, ich wusste auch nicht, wie lange ich schon hier oben war. Heute Morgen hatte ich ihn gefüttert, da hatten Milo und Noah noch auf dem Sofa geschlafen. Seufzend stand ich auf und schlüpfte in meine Hausschuhe. Dann schob ich die Kommode von der Türe weg und öffnete die Türe. Wuschel lief neben mir her nach unten, wobei ich ihn die Treppe nach unten trug. Mit dem Ärmel fuhr ich mir übers Gesicht und sah vorsichtig ins Wohnzimmer.

Noah und Milo saßen auf der Couch, wobei Milo eher auf Noah lag. Unsicher sah ich zu der Terrassentüre. Wenn ich Wuschel rauslassen wollte, dann musste ich wohl oder übel an ihnen vorbei. „Wie lange willst du noch so unschlüssig da rumstehen?“, fragte Noah auf einmal und ich zuckte ertappt zusammen. Er drehte den Kopf zu mir und ich sah auf den Boden. „Wuschel muss raus…“, wisperte ich mit belegter Stimme und Wuschel kratzte an der Türe. „Warum lässt du ihn dann nicht raus?“, fragte Milo und setzte sich nun auf. Unsicher krallte ich mich in den Stoff meines Pullis. „Scheiße Runa, so verunsichert warst du nicht einmal als wir dich im Park gefunden haben!“, fluchte Milo plötzlich und ich zuckte erschrocken zusammen. „Milo, beruhig dich bitte“, bat Noah und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „E…es…es tut mir leid Milo…“, wisperte ich und ging zur Terrassentüre. Ich öffnete sie, damit Wuschel rauskonnte und wollte auf raus, aber Milo schloss die Türe wieder. Erschrocken sah ich ihn an. Er sah mich gequält an und es tat weh, ihn so zu sehen. „Ich…ich erinnere mich…Milo…“, hauchte ich und seine Augen weiteten sich erschrocken. „Du erinnerst dich an alles? Wirklich alles?“, fragte er leise und ich nickte schluchzend. Milo nahm mich in den Arm und ich ließ es zu. Schluchzend lehnte ich mich an ihn und krallte mich in sein Oberteil.

„Wieso hast du nicht früher etwas gesagt? Wieso warst du so verunsichert?“, fragte er mich nach einer Weile und wollte mich loslassen, aber ich klammerte mich stärker an ihn. „Ich bringe nur Unglück…Milo…ich mache alles immer nur schlimmer…“, schluchzte ich und er zwang mich ihn anzusehen. „Wieso denkst du das?“ „Weil ich dich dazu gebracht hab unseren Eltern zu sagen, dass du schwul bist…deshalb haben sie dich rausgeworfen…wäre ich nicht, dann wärst du noch daheim…außerdem habe ich die ganzen Mädchen befreit wodurch das eine Mädchen soweit gekommen ist und dann so schwer bestraft wurde, dass sie sich und noch ein weiteres Mädchen umgebracht hat…und jetzt habe ich dich und Noah aus eurem alten Leben gerissen…“ „Oh Runa, gib dir nicht die Schuld dafür. Du wolltest nur helfen und weißt du was, obwohl ich dadurch meine Eltern verloren habe, habe ich mich akzeptieren können. Du hast mir geholfen zu akzeptieren, dass ich schwul bin. Ich habe immer gedacht, dass ich krank bin, weil ich so fühle, aber weil du in mir immer noch den gleichen gesehen hast, habe ich den Teil von mir angenommen. Du bringst kein Unglück, Runa. Du machst so vieles besser.“ Kopfschüttelnd sah ich ihn an und er nahm mich wieder in den Arm. „Und du kannst auch nichts für den Tod dieser beiden Mädchen. Bitte rede dir das nicht ein.“ Haltsuchend klammerte ich mich an Milo, der mich nicht losließ, obwohl sein ganzes Oberteil bereits wegen mir nass war. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so viel weinen konnte, schließlich hatte ich doch den ganzen Tag fast nichts anderes gemacht.

Irgendwann ließen meine Tränen nach und ich bekam Schluckauf. Noah hatte irgendwann Wuschel wieder reingelassen, weil er winselnd vor der Türe gesessen hatte. „Ich werde nie wieder zulassen, dass dir jemand etwas antut, Runa. Liam wird dir nie wieder etwas antun, okay?“, versprach Milo mir feste und ich lächelte. „Danke“, wisperte ich und sah auch Noah an. „Danke Noah, dass du geholfen hast mich zu retten und dass du für meinen Bruder da bist.“ Noah lächelte und nickte. „Mach so was bitte nie wieder Runa. Jag mir nie wieder solche Angst ein“, bat Milo mich und ich nickte. „Aber ich kann verstehen, dass du überfordert warst. Wenn du dich an alles erinnerst und das auf einen Schlag…“, er brach ab und ich kuschelte mich wieder an ihn. Bei ihm fühlte ich mich sicher. „Du weißt gar nicht, wie erleichtert ich war, als du mich angerufen hast. Zwar war die Angst da, dass Liam dich umbringt, aber ich war so erleichtert zu wissen, dass du am Leben bist und mich nicht hasst“, meinte Milo und verwirrt sah ich ihn an. „Wieso sollte ich dich hassen?“, fragte ich ihn. „Weil ich doch krank im Kopf bin…“, murmelte er und ich schlug ihm gegen die Brust. „Hör auf sowas zu denken! Nur weil du schwul bist, heißt das nicht, dass du krank bist!“ Milo zog schuldbewusst die Schultern nach oben und nahm mich wieder in den Arm.

Auf einmal knurrte mein Magen und peinlich berührt sah ich zu Boden. Noah und Milo lachten und Milo schob mich in die Küche. Wir aßen zusammen zu Mittag und ich war froh, mich wieder an Milo zu erinnern. Die Erinnerungen an Liam mussten nicht sein, aber so war es nun mal. „Was ist eigentlich passiert, nachdem Liam herausgefunden hat, dass du ein Handy hast?“, fragte Milo mich nach dem Mittagessen, als wir auf der Couch saßen. „Er war sehr wütend…aber er hat mir geglaubt, dass ich nicht weiß, woher das Handy kommt…er hatte jedoch schon eine Vermutung und ist runter  ins Wohnzimmer…kurz darauf habe ich einen Schrei gehört und bin ebenfalls runter…Liam hat ein Mädchen mit einem Gürtel geschlagen und zwar so stark, dass die Haut aufgeplatzt ist…ich wollte dazwischen gehen, aber er hat mich weggestoßen…ich habe das Gleichgewicht verloren und bin mit dem Kopf auf irgendwas hartes geknallt…“, erzählte ich und fuhr vorsichtig über die Wunde. Milo sah mich traurig an und ich umarmte ihn. „Aber jetzt bin ich bei euch…ich bin in Sicherheit“, murmelte ich. „Das bist du“, murmelte Milo und lächelnd schloss ich die Augen.

„Aber Runa, es gibt noch etwas, was ich wissen muss. Als wir telefoniert haben, sagtest du, dass Vater dich geschlagen hat. Wieso? Und wie lange ging das?“, sprach Milo mich nach einer Weile darauf an. „Ich sagte es bereits…kurz nachdem sie dich aus dem Haus geworfen haben, verlor Vater seinen Job…daraufhin begann er zu trinken…es gab kaum eine Zeit, in der er nicht betrunken gewesen ist…und er wurde dabei immer so aggressiv…und egal was ich getan habe…immer war ich im Weg, deshalb hat er mich geschlagen…damit ich lerne…wo mein Platz ist…es klingt hart…aber…ich war nicht sehr traurig…als sie bei dem Autounfall starben…ich selbst…hätte es ja auch fast nicht überlebt…“ Geschockt sah Milo mich an und ich schluckte. „Du warst auch im Auto?“ „Ja…ich saß hinten, deshalb war ich etwas sicherer, aber eine große Glasscherbe ist abgesplittert und hat mich in der Brust getroffen nur knapp neben dem Herz…eine Narbe hab ich davon zurückbehalten.“ „Du hast so viel Scheiße durchgemacht, Runa. Aber jetzt bin ich da, ich werde auf dich aufpassen.“ Lächelnd sah ich Milo an. Er war der beste große Bruder der Welt. Ich genoss die Sicherheit, die er und auch Noah mir gaben. Was die Zukunft noch bringen konnte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

You are Mine, little BirdWhere stories live. Discover now