Kapitel 22~

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Runa POV
„Soll ich dich herumführen?“, fragte Milo mich nach einer Weile und ich nickte. Ich war noch immer etwas unsicher, auch wenn er mir versichert hatte, dass ich keine Belastung war. Milo zeigte mir zuerst die Küche und das Esszimmer, das Wohnzimmer hatte ich ja bereits gesehen. Es gab einen kleinen Garten den er mir ebenfalls zeigte. Dann ging es hoch ins Obergeschoss. Hier befand sich das Badezimmer, das Schlafzimmer der Beiden und ein Gästezimmer. „Das Gästezimmer war bisher immer ungenutzt, deshalb wird es jetzt dein Zimmer“, meinte er und ich sah ihn dankbar an. Ich war sprachlos. Selbst wenn er mein Bruder war, ich hatte ihn vergessen, das war undankbar und trotzdem half er mir.

„Gibt…gibt es Fotos von unserer Familie?“, fragte ich ihn leise. „Natürlich. Willst du sie sehen?“ Zögerlich nickte ich und folgte ihm wieder nach unten ins Wohnzimmer. Aus einem der Regale zog er einen Ordner und setzte sich damit neben mich auf die Couch. Er legte mir den Ordner auf den Schoß und ich schlug ihn auf. „Bist du das? Du bist ja niedlich!“, rief ich als ich das erste Foto sah. Darauf war Milo als Baby zu sehen und er hatte Schaum auf dem Kopf. „Ja, das bin ich.“ „Und sind das unsere Eltern?“, fragte ich und zeigte auf die zwei Erwachsenen Menschen auf einem der Bilder. Milo nickte. „Wie sind sie gestorben?“, fragte ich ihn leise. „Autounfall. Ihnen kam ein betrunkener Autofahrer entgegen, sie konnten nicht ausweichen und der Rettungswagen kam zu spät“, antwortete Milo und ich schluckte. Er zuckte mit den Schultern. „Man kann es nicht ändern“, murmelte er. Ich sagte nichts, denn er wollte scheinbar nicht darüber reden, aber wenn er reden wollte, dann würde ich ihm zuhören, das sagte ich ihm auch. Dankbar sah er mich an. Nach ein paar Seiten sah man dass Milo wesentliche älter geworden war. Er war ungefähr fünf, als ich geboren wurden, so machte es auf den Fotos jedenfalls den Anschein.

„Am Anfang war ich tatsächlich etwas eifersüchtig auf dich, aber dann hab ich gemerkt, wie süß du bist“, meinte Milo und überrascht sah ich ihn an. „Wieso solltest du eifersüchtig sein?“, fragte ich ihn. „Unsere Eltern haben sich auf einmal mehr um dich gekümmert, später habe ich dann gemerkt, dass es nicht bedeutetet, dass sie mich weniger liebten“, antwortete er mir und ich sah die Bilder genauer an. Tatsächlich sah er auf manchen nicht glücklich aus. „Wann warst du nicht mehr eifersüchtig?“, wollte ich wissen. „Als du zum ersten Mal meinen Namen gesagt hast.“ Erstaunt sah ich ihn an. „Es war das erste, was du richtig gesagt hast, das hat mich ziemlich gefreut und ab da hab ich dich richtig lieb gewonnen.“ Schmunzelnd sah ich ihn an. Schulterzuckend lehnte er sich zurück und ich wandte mich wieder den Bildern zu. Wir sahen wirklich glücklich aus. „Im Auto sagtest du, dass unsere Eltern dich aus dem Haus geworfen haben…wieso?“, fragte ich ihn und er seufzte. „Sie haben erfahren, dass ich schwul bin und irgendwie konnten sie damit nicht umgehen. Zumindest haben sie mich dann aus dem Haus geworfen und gesagt, ich wäre nicht mehr ihr Sohn“, antwortete er und ich schlug entsetzte eine Hand vor den Mund. Das war grausam. „Hey, nicht weinen Runa“, meinte Milo besorgt und erst jetzt merkte ich, dass ich weinte. „Tut mir leid…ich…ich kann mir nur nicht vorstellen, dass unsere Eltern so grausam sein sollten“, murmelte ich und fuhr mir mit dem Ärmel übers Gesicht.

Auf einmal hörten wir die Haustüre und kurz darauf ein aufgeregtes Bellen. Nur wenig später kam der kleine Welpe angerannt und blieb schwanzwedelnd vor mir stehen. „Und was macht ihr so?“, fragte Noah, der mit zwei Einkaufstüten ins Wohnzimmer kam. „Ich hab ihr das Haus gezeigt und dann haben uns das Fotoalbum angesehen“, antwortete Milo, während ich besagtes Fotoalbum auf den Couchtisch legte, damit ich den Welpen auf meinen Schoß nehmen konnte. „Ist er gesund?“, fragte Milo und Noah stellte die Tüten in der Küche ab. „Kerngesund. Nur ein wenig unterernährt, aber er hat weder Würmer noch sonst irgendwas. Es ist übrigens auch wirklich ein er“, antwortete Noah und fing an die Einkäufe aufzuräumen. „Dann kannst du dir ja jetzt einen Namen überlegen“, meinte Milo und ich sah den Welpen nachdenklich an. „Ich nenn dich Wuschel“, sagte ich entschieden und der Welpe bellte zufrieden. „Ihm scheint der Name zu gefallen“, meinte ich und kraulte den kleinen. Er hechelte glücklich und wedelte mit seinem Schwanz. „Ich hab jetzt nur Futternäpfe und Futter besorgt, weil ich mir nicht sicher war, ob du selbst ein Halsband und eine Leine für den kleinen besorgen möchtest“, meinte Noah und überrascht sah ich auf.

„Wir gehen morgen nochmal los. Kleidung und so Sachen für dich besorgen“, meinte Milo und nun sah ich ihn an. „Aber…“ „Kein Aber. Mach dir nicht zu viele Gedanken, Schwesterherz.“ Ich seufzte nur und Wuschel sah sehnsüchtig zu Noah. Ich setzte ihn auf den Boden und er lief sofort zu Noah um sich dann schwanzwedelnd vor ihn zu setzen. „Ich glaube da hat jemand Hunger“, meinte Milo schmunzelnd. Tatsächlich hatte Noah gerade das Futter in der Hand und Wuschel bellte. „Naja, wer weiß, wann er das letzte Mal was gegessen hat“, meinte Noah und füllte Wuschels Napf. Sofort stürzte er sich darauf und ich kicherte. „Nicht so hastig kleiner, das ist nicht gesund“, mahnte Noah ihn streng und Wuschel sah ihn mit großen Augen an. Jetzt musste ich wirklich lachen und auch Milo konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich stand auf und ging neben Wuschel in die Hocke. „Du darfst ruhig weiter essen, Wuschel, aber nicht so schnell, okay?“, sagte ich sanft und Wuschel machte sich wieder übers Futter her, aber diesmal langsamer. „Genauso, braver Hund“, lobte ich Wuschel und er wedelte glücklich mit dem Schwanz. „Was möchtest du heute Abend essen, Runa?“, fragte Noah mich und ich sah ihn unsicher an. „Das ist mir egal…ich probiere einfach das, was es gibt“, antwortete ich und er nickte. Wuschel war inzwischen fertig und leckte über meine Hand.

Sein Fell war noch immer sehr dreckig und ich hob Wuschel hoch. „Ich würde Wuschel jetzt baden, ist das okay?“, fragte ich und Milo nickte. Also ging ich mit Wuschel auf dem Arm hoch ins Bad und setzte ihn in der Badewanne ab. Dann zog ich den Pulli aus, denn wenn ich die Ärmel hochkrempelte, rutschten sie immer wieder runter. Ich kniete mich vor die Badewanne und machte das Wasser an. Probehalber hielt ich meine Hand darunter und stellte es auf eine angenehme lauwarme Temperatur ein. Wuschel bellte das Wasser an und ich ließ ihm Zeit. Langsam tapste er unter das Wasser und ich fing an ihn zu waschen. Der ganze Dreck löste sich nur sehr schwer aus seinem Fell und er fiepte manchmal, wenn es etwas schwerer war, den Dreck zu lösen. „Shh, ganz ruhig. Du hast es gleich überstanden“, flüsterte ich und machte das Wasser aus, als Wuschel sauber war. Jetzt sah man sein helles Fell wieder viel besser. Ich schnappte mir eines der Handtücher aus dem Schrank und trocknete damit Wuschel ab. Er schüttelte sich nochmal, als ich fertig war ihn abzutrocknen. „Was mache ich hier eigentlich?“, fragte ich leise und streichelte ihn. „Ich fühle mich hier wohl und auch sicher…aber wenn dieser Liam wirklich so gefährlich ist…bringe ich dann nicht Noah und Milo in Gefahr?“ Wuschel legte den Kopf schräg und ich seufzte.

„Lass uns wieder runtergehen, so langsam bekomme ich Hunger und es riecht wirklich lecker.“ Wuschel folgte mir bis zur Treppe, aber diese trug ich ihn hinunter, da er noch zu klein war, um sie selbst runterzulaufen. Am Fuß der Treppe ließ ich ihn wieder runter und er folgte mir zurück ins Wohnzimmer. Milo saß auf der Couch und schrieb etwas auf einen Block vor sich. Ich setzte mich neben ihn und Wuschel versuchte an Milo hochzuklettern. Seufzend hob er ihn hoch und kraulte ihn. „Was machst du da?“, fragte ich ihn. „Ich suche uns neue Identitäten raus“, antwortete er und ich runzelte die Stirn. „Liam wird auf jeden Fall nach dir suchen und deshalb werden wir auswandern. Um es ihm noch schwerer zu machen, nehmen wir andere Identitäten an“, erklärte er und ich nickte nur. Ich war wirklich eine Belastung, denn ich warf ihr gesamtes Leben durcheinander. „Oh nein, Runa! Ich habe dir gesagt, dass du keine Belastung bist, also verwirf diesen Gedanken sofort!“ Erschrocken sah ich Milo an. Ich hatte doch gar nichts gesagt. „Man sieht es dir deutlich an.“ Seufzend sah ich auf meine Hände. „Das Essen ist fertig!“, rief Noah aus der Küche und Milo seufzte. „Wir reden nochmal darüber“, flüsterte er und stand auf.

You are Mine, little BirdWhere stories live. Discover now