66.

563 28 7
                                    

Stuart war nun seit einigen Stunden weg. So schnell würde der sich gewiss nicht blicken lassen.
Ich war gerade dabei Aydan zu füttern, als ein Klopfen an der Haustür zu hören war. Hatte Stuart etwa seine Gewohnheiten geändert und nutzte endlich die Tür? „Warte lieber hier. Ich muss wohl noch einen Zauberer rupfen." Liebevoll tippte ich dem Kleinen auf die Nase, legte ihn in dem Bettchen ab und ging zur Haustür. "Ja bitte?" Vor mir stand ein Mann, gewiss in meinem Alter. Er war blond, kein ausgeblichenes Blond, sondern eines das wie Gold in der Sonne funkelte. Seine Augen waren grau. Seine Statur war recht stattlich und gut anzusehen. Irgendwie kam mir das bekannt vor. „Was wollen Sie?" Misstrauisch zog ich die Tür etwas zu. Der Mann vor mir scannte bereits den Bereich hinter mir mit seinen Blicken.

Hinter seinem Rücken holte er eine riesige Packung Zitronendrops hervor. „Ich hörte Sie mögen diese Bonbons?" Blitzschnell hatte ich meinen Stab gezogen, gefolgt von einem Zischen welches durch die Luft rauschte. Gerade noch rechtzeitig konnte der Mann vor mir den Kopf einziehen und somit dem Fluch ausweichen. Als er seinen Blick wieder zu mir drehte, befand sich meine Zauberstabspitze schon an seiner Nase. Am liebsten würde ich ihm dieses hübsche Gesicht wegblasen. „Oh Dear, wie es scheint hast du es schon bemerkt." Nervös hielt er die Packung hoch, sodass sie fast meinen Stab berührte. „Ich nehme an die sind überflüssig?" Fwusch, ein weiterer Zauber. Diesmal nutze er einen stablosen Protego, sonst wäre sein Gesicht wirklich weg gewesen. „Liebling, ich verstehe das du wütend bist, aber..." „WÜTEND?! Oh nein, ich bin nicht wütend. ICH WERDE DICH NUR DIESMAL WIRKLICH SELBSTSTÄNDIG UMBRINGEN! Dann kannst du neben Stuart beerdigt werden!"

Noch ein Fluch sauste auf ihn zu. Wie zu erwarten blockte er auch diesen Problemlos ab. Frustriert merkte ich, dass ich mit Zaubern nicht weit kommen würde. Kaum war ich nah genug an ihm, holte ich aus wie bei Stuart einige Stunden zuvor. Im Gegensatz zu ihm, verstand Gellert sofort was ich vorhatte. Vorsichtig, aber bestimmt hielt er meine Hand fest und zog mich an sich. Sofort lagen seine Arme um mir und ich konnte diesen beruhigenden, bekannten Duft einatmen. „Es tut mir leid", flüsterte er. Vage nahm ich seine Lippen auf meinem Haar wahr. Tränen flossen in Strömen über meine Wangen. Der ganze angesammelte Druck der letzten Wochen entleerte sich plötzlich. Meine Knie haben nach. Gellert reagierte zum Glück genauso schnell wie immer. Behutsam legte er seine Arme so um mich, dass er mich problemlos halten konnte.

Bis auf mein Schluchzen war für die nächsten Minuten nichts zu hören. Zumindest hörte ich nichts. Immer wieder schlug ich kraftlos auf seine Brust ein. Gellert wehrte sich nicht. Er nahm alles schweigend hin. „Ich hasse dich..." Sein Griff um mich festigte sich und erneut küsste er mein Haar. „Ich weiß."
Allmählich verebbten meine Tränen. Das ein Mensch in der Lage war so viel zu weinen, war mir eine neue Erkenntnis. Eine, auf die ich gern hätte verzichten können. Behutsam legten sich zwei Finger unter mein Kinn und drückten es nach oben. Meine Augen brannten wie Feuer und wirklich viel sehen konnte ich auch nicht. Nahezu liebevoll versuchte er mir die Tränen von der Wange zu wischen. „Bitte weine nicht, schon gar nicht wegen mir", murmelte er an meine Stirn gelehnt. Auch diese bekam einen Kuss aufgedrückt.

Nach und nach normalisierte sich meine Atmung und ich konnte wieder klar denken. Erst jetzt bemerkte ich, dass Gellerts Augen gerötet waren und seine Wangen feucht glitzerten. Er hatte geweint...
Langsam stellte ich mich wieder aufrecht hin. „Ich muss rein", krächzte ich. Ohne eine Antwort abzuwarten drehte ich mich um und ging zurück in mein Haus, in unser Haus. Gellert blieb vorsichtig an der Tür stehen. Genervt hielt ich an der Tür zum Wohnzimmer an. „Wenn du da Wurzeln schlagen willst nur zu, aber mach die Tür zu, es zieht." Den Wink hatte er verstanden. Mit etwas Abstand folgte er mir ins Wohnzimmer. Ich hatte mich nicht verhört: Aydan weinte. Sofort verflog mein innerer Stress. „Oh Nein, tut mir leid mein Engel." Behutsam nahm ich mein Baby auf den Arm.

„Tut mir leid, ich hätte nicht solange weg sein dürfen." Tröstend drückte ich ihn an mich. Gellert hinter mir war zu einer Statur versteinert worden. „Ist das...?" Zögernd drehte ich mich zu ihm um. „Dein...Unser Sohn, ja." Auf ein Mal waren so viele Emotionen wie noch nie in seinem Gesicht zu sehen. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Er ist wunderschön." Das war er wirklich. Langsam streckte er seine Hand aus und strich über Aydan's kleines Händchen. „Wie heißt er?" Sichtlich gerührt betrachtete Gellert seinen Sohn. „Aydan. Er heißt Aydan Noé" Schwach bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Hallo Aydan." Gellert's Blick war so sanft und voller Liebe. Nie hätte ich geglaubt, dass er zu einer solchen Reaktion in der Lage war. Irgendwie war es schön ihn so zu sehen. An diesem Anblick könnte ich mich gewöhnen.

Kurzerhand drückte ich Gellert seinen Sohn in die Arme. Für beide war es wichtig sich endlich kennenzulernen. „A-Albus , ich weiß nicht wie...?" Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einem hilflosen Gellert Grindelwald. Merlin, plötzlich wirkte er so normal, so menschlich wie noch nie zuvor. Mein Herz machte einen Sprung. So „normal" war er noch viel perfekter. „Du musst den Kopf stützen, das ist am wichtigsten."

*

Nachdem Aydan versorgt war, kehrte endlich Ruhe ein. Völlig erschöpft ließ ich mich auf dem Sofa nieder, Gellert nahm den Sessel. „Warum?" Diese Frage lag mir seit dem ersten Tag des Artikels auf der Zunge. „Es war die einzige Möglichkeit um bei dir und Aydan zu sein. Die Monate nachdem ich erfahren habe was mit dir los ist, haben mich zum nachdenken gebracht. Das größere Wohl bedeutet mir noch immer alles, missverstehe das bitte nicht. Ich habe dann an meine Kindheit gedacht, an Ariana... Ich wollte nicht das euch dasselbe passiert, dass ihr alleine seid weil ich entweder weiterhin gejagt werde, oder ich so beschäftigt bin, dass ich euch nicht sehen kann. Außerdem sollte ein Kind mit beiden Eltern aufwachsen. Würde ich weiterhin im Zentrum der Öffentlichkeit stehen, könntet ihr beide nie in Sicherheit leben. Ich habe dir schon zu viel genommen."

Für einen Moment war ich absolut sprachlos. Mit dieser Ehrlichkeit habe ich nicht gerechnet. „Das war nicht was ich wissen wollte. Warum, warum hast du mir nichts davon gesagt?" Der Schmerz in meinem Herzen machte sich wieder bemerkbar. Ich hatte so eine Angst um ihn, das konnte er sich nicht vorstellen. „Du hättest mich davon abgehalten." Da war es. Die Gewissheit, die Bestätigung. Genau an diese Worte habe ich gedacht. „Natürlich hätte ich dich versucht aufzuhalten. Gellert, das war Wahnsinn! Wenn das raus kommt..." Sofort griff er nach meiner Hand. „Niemand wird es herausfinden, keiner außer dir, Stuart, mir und Bathilda weiß es." Bathilda... ihr hatte er es also gesagt. Ein Gefühl von Verrat machte sich in mir breit, doch irgendwo tief in mir drinnen konnte ich es verstehen. Gellert hat das geopfert was er am meisten liebte.

„Du bleibst also?"

„Für immer und ewig."

„Versprich es mir."

„Ich schwöre es bei meinem Leben."

Mein Herz entledigte sich einem riesigen Stein, als diese Worte in meinen Verstand sickerten. Nach all den Jahren, nach all dem Mist den wir durchlebt haben, den wir uns selbst angetan haben, hatten wir endlich das nachdem wir uns so sehr gesehnt haben: Frieden.

When History Is Rewritten.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt