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Caydens P.o.V.

Fallon half mir dabei, mich hinzusetzten, doch trotz ihrer Hilfe konnte ich den Schmerz, der mich durchflutete, einfach nicht unterdrücken. Ein gequälter Laut kam mir unkontrolliert über die Lippen.
Fallon zuckte leicht zusammen. „Geht's?" In ihrer Stimme schwang eine Besorgnis mit, die sie in den letzten Wochen öfters geäußert hatte.
Mein Mund verzog sich leicht zu einem Lächeln. „Ja, danke", murmelte ich aufrichtig.
Sie ließ sich stumm neben mir nieder, allerdings beglich ich den halben Meter Abstand zwischen uns, indem ich sie zu mir zog. Ihr Oberkörper lehnte sich automatisch gegen meinen.
„Wieso wolltest du, dass wir uns hier treffen?", fragte sie nach einer Weile und sah sich um. „Ein einfaches Zimmer, ohne dass du dir vermutlich noch einen Arm brichst, hätte es auch getan."
Ich grinste neben ihr auf. „Ich wollte einfach etwas Privatsphäre", überlegte ich nicht lange. Es waren mittlerweile ein paar Wochen seit der Entführung durch Jackson Cunnigham vergangen, seitdem hatten Fallon und ich jedoch keine einzige gemeinsame Minute miteinander. Ich wusste nicht, ob meine Familie damit unsere Bindung irgendwie kippen wollte, denn sie alle klebten an mir wie nervende Kletten. Vielleicht sorgten sie sich aber einfach um mich, denn immerhin kam es trotz unserer gefährlichen Geschäftsbranche nicht oft vor, dass jemand angeschossen wurde. Ich will nicht undankbar klingen, denn tatsächlich konnte ich durch diese Hilfsbereitschaft das ein oder andere wackelige Verhältnis verbessern. Doch mit der Zeit wurde dieses Wohlwollen etwas störend. Mir geht es zwar immer noch nicht so blendend wie vor dem Ganzen, allerdings konnte ich schon einige Fortschritte erkennen, auch wenn es noch eine ganze Weile dauern würde, bis ich mich problemlos und ohne Hilfe fortbewegen konnte.
Fallon nickte lächelnd. Ich sah ihr an, wie viel Druck auf ihren Schultern lastete, denn immerhin wurde sie nicht wirklich mit offenen Armen in meiner Familie begrüßt. Auch wenn etwas Zeit vergangen war, in der sie sich mit der Vorstellung, eine Cunnigham und ein DeLaurant zusammen zu sehen, anfreunden könnten, hielten sie trotzdem an ihren veralteten Standards fest. Es hätte mich nicht wundern sollen, denn meine Familie war besonders in solchen Dingen, die einen tiefgreifenden Ursprung hatten, stur, es würde also mehr als nur ein paar Wochen in Anspruch nehmen, bis sie Fallon tolerierten.
„Außerdem hatte ich etwas Hilfe", fügte ich hinzu und blickte nach unten, da, wo mir vor ein paar Minuten noch Harvey die Feuerleiter hinaufgeholfen hatte.
Fallon blickte mich irritiert an. „Hilfe?"
Ich nickte langsam. „Harvey", murmelte ich, dabei konnte ich Fallons Gesichtsausdruck sofort deuten. „Tatsächlich greift er mir seit dem Vorfall viel unter die Arme."
Es stimmte. Harvey war auf einmal wirklich fürsorglich, was mich selbst etwas wunderte. Neben der Tatsache, dass er sein eigenes kleines Unternehmen auf's Spiel für mich gesetzt hatte, empfand ich seine Taten als selbstloser denn je. Zuerst wusste ich seine Absichten nicht ganz einzuschätzen, denn immerhin war er einer derjenigen, der die Cunnighams und besonders Fallon verabscheute, doch seit er von meinen Gefühlen für sie wusste, hatte sich sein Bild zu ihr etwas geändert – zumindest glaubte ich das.
„Natürlich tat er sich schwer damit, unser Verhältnis zu akzeptieren", fügte ich hinzu. „Aber ich schätze, mich so glücklich zu sehen, hat sich seine Haltung dir gegenüber zumindest etwas gebessert."
Fallon schien kurzzeitig in Gedanken zu sein, dann räusperte sie sich. „Wie hat er den Untergang seines kleinen Unternehmens verkraftet?"
Ich entließ die Luft aus meinen Lungen und stützte mich mit den Handflächen auf den Dachziegeln ab. „Er war verständlicherweise nicht besonders erfreut", murmelte ich. „Doch er hatte mir erzählt, dass nachdem er deinen Onkel im Wagen gesehen hatte, er seine Position sofort aufgeben wollte. Wer weiß, vielleicht lügt er, allerdings hätte er seine Position sowieso aufgeben müssen, nachdem mein Vater davon Wind bekommen hatte."
„Wie hat er darauf reagiert?", fragte sie verhalten nach.
„Harvey hatte gemeint, dass er völlig ausgerastet ist, aber nicht, weil er sich sozusagen selbstständig machen wollte, sondern weil diese Art der Branche mehr als gefährlich ist. Es hatte mich gewundert, dass er selbst so gut über das ganze Geschäft Bescheid wusste, immerhin predigte er uns nicht nur einmal, dass wir vorsichtig in Sachen Drogen sein sollten." Meine Stirn lag in Falten. „Zuerst hatte ich einfach angenommen, dass er seine Finger im Spiel hatte, doch das Ganze kam mir zu simpel im Angesicht der ständigen Warnungen vor. Ich habe so lange nachgefragt, bis er mir endlich erzählt hatte, warum er sich in dieser Branche auskannte, und schließlich gab er zu, zumindest indirekt involviert zu sein."
„Indirekt?"
Ich nickte leicht. „Erinnerst du dich noch daran, was dein Onkel in der Lagerhalle gesagt hatte? Er meinte, dass er Edwart umbringen musste, weil er nicht mehr loyal ihm gegenüber war." Fallon gab einen zustimmenden Ton von sich, dabei schien ihr Blick sich in der Ferne zu verlieren, weil sie sich zu der Situation zurückerinnerte. „Edwart arbeitete im Auftrag meines Vaters."
Sie drehte sich wieder zu mir, dabei weiteten sich ihre Augen. „Ein Cunnigham?"
„Ich war genauso überrascht, wie du, als er mir davon erzählt hatte", gab ich lächelnd zu. Mein Vater war der DeLaurant, dessen Abneigung gegen Fallons Familie wohl am tiefgründigsten war. Natürlich arbeitete er auch mit Aloisius Cunnigham zusammen, doch wenn irgendjemand wirklich geglaubt hatte, dass diese Zusammenarbeit seriös gewesen wäre, dann wäre das pure Naivität gewesen. Unvorstellbar also, dass mein Vater sich freiwillig mit dem Feind zusammengetan hatte.
„Aber das alles macht nur Sinn", redete ich weiter. „An einem der ersten Abende, wo wir uns die Akte zu Edwart angesehen hatten, waren uns die vermehrten Anrufe mit einem DeLaurant aufgefallen. Das war scheinbar mein Vater, mit dem er telefonierte."
„Aber wieso? Dein Vater hasst alles und jeden, der unseren Nachnamen trägt", entgegnete Fallon, wobei ich ihren herablassenden Unterton nicht überhören konnte.
„Mein Vater hatte scheinbar von dem wachsenden Geschäft deines Onkels mitbekommen und wollte einen von unseren Leuten einschleusen, doch als diese immer wieder abgelehnt wurde, hatte er sich an jemanden gewendet, der nicht im Geringsten mit den DeLaurants in Verbindung gebracht werden würde."
„Edwart", überkam es ihre Lippen, was bei mir eine leichte Gänsehaut auslöste, die ich das erste Mal seit langem nicht unterdrücken musste. „Mein Großcousin hatte also für deinen Vater gearbeitet, ohne dass auch nur eine einzige Menschenseele davon Wind bekam. Das ist ..." Fallon verzog das Gesicht. „... tatsächlich beeindruckend."
„Scheinbar liegt die Intelligenz doch in der Familie", grinste ich und stubste sie an der Schulter an, was sie zum Lachen brachte. Ihre warme Stimme durchdrang dabei jede meine Zellen und es fühlte sich so an, als könnte ich den permanent stechenden Schmerz in meiner Bauchgegend vergessen. Ihre Augen funkelten im aufgehenden Mondlicht, was mich gänzlich faszinierte.
Plötzlich zeichnete sich auf ihrer Stirn leichte Falten ab. „Wie geht es dir?"
Ich rutschte auf meinem Platz hin und her, denn ihre besorgte Stimmlage machte mich nervös. Nicht, dass ich es bereits von meiner Familie seit den letzten Wochen gewohnt war, doch mittlerweile war ich dagegen abgehärtet, ganz anders bei Fallon. Wenn sie mich mit ihren braunen Augen fixierte, ihr Gesicht von einer Besorgnis gezeichnet war und in ihrer Stimme eine gewisse Unruhe mit sich schwang, dann kam auch meine sonst so taffe Art leicht ins Schwanken, denn ich wusste dann, welche Gedanken sich in ihrem Kopf abspielten. Sie machte sich immer noch große Vorwürfe darüber, was mit mir oder Edwart und Cory passiert war, auch wenn ich ihr wieder und wieder erklärt hatte, dass alle Menschen für ihre Taten ganz allein verantwortlich sind, so auch ich. Sie konnte nichts dafür, dass ihr Onkel sich ein eigenes illegales Unternehmen aufgebaut oder Edwart eingestellt hatte. Sie konnte auch nichts dafür, dass ihr Onkel Edwart oder Cory umgebracht oder er auf mich geschossen hatte. Nichts von all dem hatte sie zu verantworten. Und auch wenn ich mich so sehr darum bemühte, ihr das klarzumachen, hatte sie dennoch Zweifel.
„Mir geht's gut", murmelte ich, doch sie war in keiner Weise von meiner Antwort überzeugt. „Ehrlich."
Ich zog sie enger zu mir, dabei umhüllte mich ihr feiner Geruch. Natürlich litt ich noch immer unter belastenden Schmerzen, die mich in meinem alltäglichen Leben einschränkten, doch ich wusste auch, dass es mit der Zeit besser wurde. Am Anfang konnte ich mich kaum aus dem Bett bewegen, aber mittlerweile lief ich fast problemlos und ohne Hilfe auf meinen Beinen, ich schaffte es sogar eine verdammte Feuerleiter hochzuklettern.
„Die Physiotherapie hilft mir sehr, mich wieder in meinem Leben zurecht zu finden", ergänzte ich, in der Hoffnung, sie etwas mehr zu überzeugen. „Meine Familie, besonders mein Vater, fordert mich, so schnell wie möglich wieder ganz eigenständig zu leben."
Fallon entließ leise die Luft aus den Lungen und senkte nickend den Blick. Innerlich verkrampfte sich mein Herz, wenn ich sie so erschöpft sah. Auch sie half mir enorm bei meiner Genesung, dafür hatte ich das Gefühl, dass ihre Gesundheit etwas gelitten hatte. Sie würde nie, niemals, zugeben, dass sie sich zuerst auf sich statt auf mich zu konzentrieren wollen würde, geschweige denn sie vielleicht eine Pause von dem Ganzen brauchte. Es wühlte mich auf, sie so zerschlagen und ausgelaugt zu sehen.
Meine Hand griff nach ihrer, dabei verwoben sich unsere Finger miteinander. Ich zog ihre Hand zu meinem Mund und gab ihr einen federleichten Kuss auf ihren Handrücken. Automatisch rutschten ihre Mundwinkel wieder ein Stück nach oben, nachdem sie meinen Blick liebevoll erwiderte.
„Wie geht es dir?", fragte ich sie leise und doch kraftvoll.
Fallon hatte neben mir noch ganz andere Sorgen, wie zum Beispiel ihren Onkel. Er hatte immerhin die zwei Morde an ihren Familienmitgliedern gestanden, sich ein eigenes illegales Unternehmen aufgebaut und sie und ihre gesamte Familie deswegen belogen und hintergangen. Ich wusste, wie nah Fallon und ihr Onkel sich standen, deshalb traf es sie vermutlich mit am schwersten.
Fallons Lächeln verrutschte auf ihrem Gesicht. Sie wusste, auf was oder auf wen ich hinauswollte. Ich würde sie nie dazu drängen, mir etwas über ihren Onkel zu erzählen, doch in den letzten Wochen hatte sie kaum ein Wort über ihn verloren. Vielleicht war das auch meine Schuld, immerhin hatte ich mich auf meine Genesung fokussiert und Fallon damit gar nicht mehr die Chance gegeben, über ihre familiären Probleme zu reden. Vielleicht wollte sie es aber auch einfach selbst nicht, denn wenn sie über ihren Onkel und seine Taten reden würde, dann wäre sie irgendwo gezwungen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzten, und dafür war sie noch nicht bereit.
Sie zuckte mit ihren Schultern und starrte auf unsere verschränkten Finger. „Keine Ahnung", murmelte sie und verzog das Gesicht zu einer leichten Grimasse. „Wie soll es jemandem gehen, der eine seiner letzten Bezugspersonen verloren hat?" Ihren sarkastischen Ton wertete ich in keiner Weise als angreifend, sie wollte sich einfach nur schützen.
Ich blieb still, denn ich wollte sie nicht dazu zwingen, sich mir zu öffnen.
Für einen Moment lag eine Anspannung zwischen uns, die ich in meinen Fingerspitzen fühlen konnte, dann atmete Fallon tief aus und rieb sich dabei mit ihrer freien Hand ihre Schläfe.
„Tut mir leid, ich weiß einfach nicht, wie ich mit der ganzen Sache umgehen soll", gab sie schließlich zu. „Ironie war eine der Möglichkeiten."
Anstatt auf ihren Kommentar anzuspringen, blieb ich ernst, was sie ebenfalls wieder seriös werden ließ. „Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das alles spurlos an mir vorbei geht, dass mich das nicht so sehr treffen würde, aber ...", sie holte Luft, „... das tut es."
„Und das ist okay", versicherte ich ihr eindringlich.
Sie schien ihre Gedanken zu sortieren, dabei schien sie mich für einen kurzen Augenblick zu vergessen. „Wir haben so unfassbar lange nach dem Täter gesucht, dabei war er direkt vor meinen Augen, er schlief nebenan, er aß und trank in demselben Raum wie ich ..." Ihre Stimme wurde zum Ende hin immer leiser, bis es nur noch ein Flüstern war. „Ich hätte es sehen müssen, ich hätte auf Anzeichen achten sollen, ich hätte-"
„Fallon, keiner hatte damit auch nur ansatzweise gerechnet", fiel ich ihr ins Wort, doch sie schien jegliche Kommentare zu ignorieren.
„Aber ich hätte damit rechnen können, weil er nun einmal mein Onkel ist!", fuhr sie mich an, doch schloss abrupt ihren Mund. Sichtlich beschämt wich sie wieder meinem Blick aus. „Entschuldige, ich wollte dich nicht anfahren."
Sie holte erneut Luft, nur um diese gleich wieder aus ihren Lungen strömen zu lassen. „Es ist nur so, dass ich mich selbst dafür verurteile, dass ich mich trotz meines so guten Verhältnisses zu ihm so sehr in ihm täuschen konnte. Ich dachte, ich kenne diesen Mann, er war nicht nur mein Onkel, sondern mein Freund, meine Bezugsperson, mein Vaterersatz. Ich habe ihm jedes meiner Geheimnisse anvertraut, ich bin zu ihm gekommen, wenn ich ein Problem hatte, weil ich wusste, dass er die einzige Person auf Erden war, der ich noch mein Vertrauen schenken konnte. Und er hatte dieses Vertrauen ausgenutzt, er hat es missbraucht und mir die ganze Zeit etwas vorgemacht." Ihre Augen glitzerten in dem Mondlicht, doch dieses Mal wegen den Tränen, die sich unbewusst gebildet hatten. „Er hat mich damit einfach unglaublich verletzt."
Ich wusste, wie schwer es ihr fallen musste, sich mir so zu zeigen, denn sie wollte selbst vor mir stark bleiben. In unseren Familien war Vertrauen nichts Gewöhnliches, jeder hinterging jedes, deswegen suchte man sich die Personen bedacht aus, denen man sein Vertrauen schenkt. In Fallons Fall war das ihr Onkel, deshalb traf es sie auch so sehr, dass die eine Person, auf die sie sich seit Anfang an immer verlassen konnte, ihr in den Rücken fiel.
Ich löste meine Hände von ihren und schlang stattdessen meine Arme um ihre Schultern, um sie zu mir zu ziehen. Sie legte ihre Stirn vorsichtig auf mein Schlüsselbein ab, dabei krallten sich ihre Finger sanft in mein Oberteil.
„Das alles tut mir so leid", flüsterte ich in ihr Ohr und gab ihr daraufhin einen leichten Kuss auf den Scheitel.
Das tat es wirklich. Wenn ich eine Sache ändern könnte, dann wäre es die Tatsache, dass Fallon so sehr unter der ganzen Sache leiden musste. Niemand hatte so einen Verrat verdient, und besonders Fallon nicht, die nicht nur ihre Mutter, Edwart und Cory verloren hatte, sondern noch ihren Onkel, zu dem sie eine echte, tiefgründige Bindung aufgebaut hatte. Auch wenn ich ihr diese Last nicht wirklich abnehmen konnte, versuchte ich dennoch für sie da zu sein. Zwar hatte ich gottseidank niemanden mir Nahestehendes verloren, doch ich konnte mir vorstellen, wie hart es für sie sein musste, das alles durchzustehen.
Es vergingen ein paar Momente, in denen wir beide unseren eigenen Gedanken nachjagten, doch schließlich durchbrach ich diese Stille wieder.
„Weißt du, wieso ich mich hier mit dir treffen wollte?", raunte ich leise mit einem Lächeln auf den Lippen.
Das flache Dach, welches zu Fallons Balkon führte, war nicht der romantischste Platz, das gebe ich zu.
Fallon brachte ein paar Zentimeter Abstand zwischen uns, sodass ihr Gesicht direkt vor meinem schwebte. „Weil dir der Kick, sich wegzuschleichen und nicht erwischt zu werden, gefehlt hat?", riet sie mit einem Grinsen im Gesicht.
Ich lachte leise auf. „Tatsächlich fehlt er mir wirklich", gab ich zu, was sie zum Kichern brachte. Automatisch verdoppelte sich mein Herzschlag bei ihrer warmen Stimme. Ich strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und fixierte diese hinter ihrem Ohr. Ihre Augen funkelten wie zwei Edelsteine aus Onyx, es war atemberaubend schön.
„Hier war das erste Mal, dass wir uns ganz ohne Zwang unterhalten konnten, erinnerst du dich?"
An diesem Tag war wirklich vieles passiert: Die Verfolgung von Harvey, die anschließende Veranstaltung, der Einbruch in Harveys Zimmer, und schließlich unser Gespräch auf diesem Dach. Besonders letzteres ist mir im Gedächtnis geblieben, denn ich erinnerte mich trotz des Alkohols noch an jedes Wort, was wir miteinander gewechselt hatten.
Fallon nickte sofort mit dem Kopf, auch sie schien sich an jeden Moment dieses Abends zurückerinnern zu können. „Du hast mich verlegen gemacht", gab sie zu, wobei sie leicht rot wurde. Ich liebte es, wenn ihre Wangen sich meinetwegen rosa färbten.
„Ich weiß", grinste ich, was sie noch mehr zum Strahlen brachte. Auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach, wollte ich sie nur noch glücklicher damit machten. Und es funktionierte.
Meine Augen wanderten über ihr bezauberndes Gesicht, dabei ruhte mein Blick für längere Zeit auf ihren Lippen, die noch immer zu einem Lächeln verzogen waren. Ich versuchte mich an einen der vielen Momente zurückzuerinnern, in denen wir uns geküsst hatten, und auch wenn das schon sehr lange her war, wusste ich noch ganz genau, wie ich mich dabei gefühlt hatte. Automatisch überkam mich eine gewaltige Sehnsucht nach diesem Gefühl.
Vorsichtig neigte ich den Kopf nach vorne. Fallon hielt die Luft an, als unsere Lippen sich leicht berührten. Eine Welle der Endorphine überrannte meinen Körper und hinterließ einen angenehmen Schauder, doch es war nicht ansatzweise das, was ich fühlen wollte, also beugte ich mich das letzte Stück zu ihr rüber und küsste sie endlich. Die kühle Brise, das Zeitlimit, selbst meine Schmerzen hatten kaum noch Gewichtung, denn das Einzige, was ich noch wahrnahm war Fallon. Ich hatte mir bereits unzählige Male vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich sie wieder berühren konnte, doch das übertraf all meine Erwartungen. Der Kuss zwischen uns fühlte sich zum ersten Mal wirklich frei an, und das nicht nur, weil wir nicht mehr aufpassen mussten, dass uns niemand erwischt. Es fühlte sich so lebendig an, genau weil nichts mehr zwischen uns stand. Es gab nicht mehr unsere Familien, die sich abgrundtief hassten, oder den Plan, der sich immer zwischen uns gedrängt hatte, es gab nur noch uns allein.
Das Kribbeln in meinen Fingern durchdrang mich wie ein Blitz. Die Hitze strömte durch meine Adern, während der kalte Wind gegen unsere Körper wehte. Meine Gefühle schienen vor Dopamin durchzudrehen, weil ich endlich das bekommen hatte, wonach ich mich so lange gesehnt hatte. Jegliche Anspannung fiel von uns ab, wir konnten einfach wir selbst sein, zusammen.
Fallon schob sich näher zu mir, dabei legte sie ihre Hände auf meiner Brust, genau über dem Herzen ab. Ich fragte mich, ob sie meinen rasenden Puls bereits bemerken konnte, doch das alles passiert nur ihretwegen. Sie allein war verantwortlich für das Herzklopfen, sie allein war verantwortlich für das Durchdrehen jede meiner Zellen, für das Zittern meiner Muskeln, für das Verlangen nach mehr, nach ihr.
Ihre Hände krallten sich in mein Oberteil, dabei erwischte sie die empfindliche Schusswunde. Automatisch krümmte ich mich und entließ dabei ungewollt einen qualvoller Laut. Sofort zog sie ihre Hände von mir weg, so als hätte sie sich verbrannt, und rutschte ein Stück zur Seite, um mich nicht mehr zu berühren.
„Tut mir leid", überkam es ihre Lippen schneller als gedacht. Besorgt und etwas beschämt senkte sie den Blick, dabei ballte sie ihre zarten Hände zu Fäusten, dabei sah ich deutlich ihre weißen Knöchel.
Ich atmete aus und nahm mir kurz einen Moment, um mich zu beruhigen, dann wandte ich mich an Fallon. Auf ihrer Stirn zeichnete sich wieder einer ihrer Sorgenfalten ab. Ich beglich den Abstand zwischen uns, indem ich zu ihr rückte, doch sie lehnte sich automatisch ein Stück weg von mir, was mich kränkte. Nicht, weil ich denken könnte, dass sie mich nicht mehr küssen wollte, sondern weil sie Angst davor hatte, mir nochmal wehtun zu können.
Vorsichtig griff ich nach ihren Handgelenken, die fest an ihre Brust gedrückt waren, und legte diese um meinen Nacken. So könne sie sich nicht noch einmal ungewollt vergreifen.
Ich warf ihr einen zuversichtlichen Blick zu, dann lehnte ich mich wieder zu ihr nach vorne, und dieses Mal blieb sie an Ort und Stelle. Ich kostete nur leicht von ihren Lippen, denn ich wollte ihr zeigen, dass alles in Ordnung war. Ich hörte sie schlucken, doch schließlich drückte sie ihren Mund wieder leicht gegen mein. Sie schmiegte sich vorsichtig an meinen Körper, auch ich ließ meine Hände über ihren Rücken wandern.
Alles fühlte sich wieder so vertraut an wie früher, nein, eigentlich sogar besser als davor. Ich wusste endlich um meine Gefühle Bescheid, die ich von Anfang an nicht akzeptieren konnte, weil Angst davor hatte, mich zu täuschen, besonders, weil ich oft falsche Entscheidungen in meinem Leben getroffen hatte. Doch erst jetzt realisierte ich, dass das Einzige, was immer richtig war, Fallon ist. Und auch wenn nicht sonderlich viele Menschen hinter uns standen, uns wegen unseres Verhältnisses verurteilten und wir dafür keine Unterstützung bekommen würden, brauchte es nur eine einzige Person, die ich von nun an in meinem Leben brauchen würde, und das war einzig und alleine Fallon.

Forbidden loveWhere stories live. Discover now