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Fallons P.o.V

Es war so still, dass jedes noch so kleine Geräusch unendlichlaut erschien. Mein Vater blätterte in irgendwelchen Papieren herum. Vermutlich hatten sie etwas mit dem Fall zu tun. Ich legte mein Besteck nieder und sah ihn an. Normalerweise führten wir irgendwelche belanglosen Gespräche am Tisch mit einander, doch er schien wichtigeres zu tun hatte. Ich konnte es ihm nicht verübeln. "Schon etwas neues?", fragte ich ihn auffordernd. Es gab immer etwas, dass ich noch nicht wusste.
Er sah irritiert hoch und schüttelte den Kopf. Ich stieß leise die Luft aus meinen Lungen aus. Die Stimmung zwischen uns war noch bedrückender, als sonst. Eine Bedienstete kam herein und flüsterte meinem Vater etwas ins Ohr. Er nickte dankend und widmete sich wieder seinem Papierkram. "Ich werde heute abend noch weggehen", erzählte er mir und ich sah auf.
"Wohin fährst du?", fragte ich nach und er überlegte kurz, ob er mir die Wahrheit sagen sollte. Ich sah es deutlich in seinen Augen. "Zu den DeLaurants."
Ich hob die Augenbrauen. "Wieso das? Dir ist doch klar, dass einer von ihnen sicher der Täter ist, oder?"
Mein Vater warf mir einen mahnenden Blick zu. "Das wissen wir nicht zu einhundert Prozent. Solange nichts bewiesen wurde, nehme ich ihre Hilfe gerne an."
Ich konnte mein Schnauben nicht unterdrücken. Es war schwachsinnig. Mein Vater ließ den Feind direkt in seine Karten schauen. Auch wenn ich das irgendwie mit Cayden machte, war das anders. Er hatte wenigstens von Anfang an zugegeben, dass er seine Familie nicht in Schutz nehmen wird. Er würde einfach nur den Täter fassen wollen. Das konnte man von den anderen DeLaurants nicht behaupten, sie würden alles dafür tun, ihre Spuren zu verwischen - und mein Vater bot ihnen auch noch Gelegenheit dazu.
"Fallon, ich weiß, dass du einige meiner Entscheidungen nicht gut heißt-" Ich warf ihm einen belustigten Blick zu. Ich konnte mich kaum an eine Sache erinnern, der wir beide mit gutem Gewissen zugestimmt hatten. "-, aber ich bin das Familienoberhaupt und ich habe mich eben für statt gegen die DeLauarnts entschieden." Ich verdrehte unauffällig die Augen, doch er bemerkte es. "Fallon!" Sein Tonfall war harsch, doch ich kannte es nicht anders von ihm.
Jemand öffnete die Tür und Alice spitzte herein. Das war das Zeichen. Ich nickte ihr zu und sah erneut zu meinem Vater. "Da dem nichts mehr hinzuzufügen ist, darf ich nun aufstehen?", fragte ich, so wie ich es immer tun musste. Ich wollte ihn nicht noch mehr verärgern.
Er sah mich noch nicht einmal an und nickte lediglich. Ich unterdrückte den Drang, laut zu seufzen und lief aus der Tür, da Alice bereits auf mich wartete. "Hast du ihn?", fragt ich sie und sie hielt mir einen goldenen Schlüssel entgegen. Ich lächelte sie dankend an und stupste mit dem Ellenbogen gegen ihren Unterarm. "Alice, du bist eine Meisterin deiner Künste."
Auch, wenn ich sah, wie sie sich geschmeichelt fühlte, hatte sie Zweifel. "Miss, ich fühle mich nicht wohl bei der Sache-", spuckte sie es endlich aus, ich kam ihr zur Hilfe. "-meinen Vater zu belügen und bestehlen. Ja, es ist falsch, aber ich brauche diesen Schlüssel mehr als alles andere. Außerdem borgen wir ihn uns nur." In ihren Augen sah ich, wie sie mit sich kämpfte - immerhin war mein Vater ihr Chef, da wollte sie sicherlich keinen Ärger mit ihm, doch schließlich gab sie nach und seufzte. "Aber beeilen Sie sich, ja? Ich habe Thomas versprochen, ihn pünktlich bei ihm abzugeben. Ich lüge ihn nicht gerne an." Thomas, unser Securitybeauftragter, ließ nach der ganze Sache mit Edwart niemanden mehr unbeaufsichtigt. Irgendwo verständlich, dass er meinen Vater und mich daher noch stärker in Sicherheit wissen wollte. Ein Glück, dass er jedoch ein Auge auf Alice geworfen hatte, das machte die Sache, mich unbemerkt davon schleichen oder den ein oder anderen Zugang zu verschlossenen Zimmern haben zu können, wesentlich einfacher.
Ich umschloss den kalten Schlüssel in meiner Hand. "Glaub mir, Alice, ich werde ihn dir pünktlich zurück geben", versicherte ich ihr und lief die Treppen nach oben. Ich hatte nicht viel Zeit. Mein Vater würde die Akte ganz sicher zu seinem Treffen mitnehmen, deshalb musste ich mich beeilen. Ich bog nach links ein und stoppte an der dritten Tür rechts, dann blickte ich unauffällig über meine Schulter - ich wollte immerhin nicht sofort entdeckt werden. Als ich das Gefühl hatte, niemand im Gang sehen zu können, steckte ich den Schüssel in das Schloss, drehte zweimal nach rechts und trat in den Raum. Ein Geruch von altem Holz stieg mir in die Nase. Das  erinnerte mich an früher, als ich oft bei meinem Vater im Büro war, während er arbeitete. Es war eine halbe Ewigkeit her, dass ich diesen Raum auch nur betreten hatte. Seit dem Tod meiner Mutter gab es nicht viele Momente, in denen wir uns noch zusammen in einem Zimmer aufhalten konnten, ohne uns anzukeifen.
Ich schüttelte jeglichen Gedanken an alte Erinnerungen ab und konzentrierte mich auf meine Aufgabe, nämlich die Akte finden und alle Dokumente abzufotografieren. Die Mappe musste definitv an einem sicheren Ort sein, er würde sie also nicht einfach auf dem Tisch liegen lassen. Ich setzte mich auf den ledernen Schreibtischsessel und rüttelte an einer Schublade nach der anderen. Die meisten waren mit irgendwelchen Dokumenten gefüllt, die mich nicht interessierten. Ich stand auf und machte mich an die Kommode, doch auch hier konnte ich nichts brauchbares finden. Mein Blick fiel auf den Tresor. Viele andere Möglichkeiten hatte ich nicht mehr. Er könnte die Akte auch bereits bei sich haben, doch das bezweifelte ich. Mein Vater trug nie wichtige Papiere mit sich herum - umso besser für mich.
Ich ging in die Hocke und strich mit der Hand über das Tastenfeld. Vier Ziffern. Die Kombinationen schienen unendlich zu sein, dabei hatte ich nur eine begrenzete Zeit und vermutlich drei Versuche. Als aller erstes versuchte ich es mit meinem Geburtstag, doch ein tiefer Ton summte auf. Falsch.
Ich schnaubte. "Natürlich nicht", wisperte ich zu mir selber. Ich probierte es nun mit dem Hochzeitstag meiner Eltern, doch auch diese Ziffern schienen falsch zu sein.
Tief atmete ich ein und überlegte, immerhin hatte ich nur noch einen Versuch, der mich auffliegen lassen würde. Mein Vater war ein Mann mit einer Vorliebe für Rätsel, es musste also etwas simples sein, dass nur er verstehen konnte - und möglicherweise auch ich. Das, was mein Vater am besten beherrschte, war sicherlich die Kodierung. Man zählt beispielsweise für jeden Buchstaben, beginnend mit A, Zahlen ab, daraus ergibt sich dann ein Code. Ich war mir mehr als sicher, dass er der Name meiner Mutter war, den er benutzt hatte. Eva. Es gab viele Dinge, die er in seinem Leben falsch gemacht hatte, und bestimmt doppelt so viele Sachen, auf die er nicht besonders stolz war, doch meine Mutter war diejenige, die ihn, zumindest zeitweise, zu einem guten Menschen gemacht hatte. Sie war die eine Sache, bei der mein Vater keinen Fehler begangen hatte, sie war das Licht in seiner Dunkelheit - und genau aus diesem Grund musste ihr Name auch die Lösung für mein kleines Problem sein.
Ich drückte also die Tasten 5-22-1 ein und siehe da, die Türen öffneten sich mit einem hohen, leisen Ton. Eins musste ich mienem Vater lassen, er war kein schlechtes Oberhaupt, er ließ sich immer besonders raffinierte Dinge einfallen, die mir zeigten, dass er es drauf hatte. Ohne zu zögern nahm mir die braune Akte, auf der der Name meines Großcousins in geschwungener Schrift stand, und fotografierte jede einzelne Vorder- und Rückseite ab, dann schloss ich die Tresortür wieder.
Beim rausgehen entdeckte ich ein altes Bild von meiner Mutter und mir auf seinem Schreibtisch. Ich nahm es in die Hand und strich über das kalte Glas, welches den Moment einsperrte. Meistens konnte ich mich nicht an sie erinnern, aber es gab Tage, an denen ich sie besser kannte als so manch anderer. Ich vermisste sie unendlich, gerade weil mir jedoch die Erinnerungen an sie fehlen. Doch ich konnte sie nicht mehr zurückholen, weshalb ich das Bild und damit den wundervollen Augenblick zurück an seinen Platz stellte und den Raum verließ.

Forbidden loveWhere stories live. Discover now