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Caydens P.o.V.

Ich hatte mich schon immer gefragt, was ich an der Nacht so faszinierend fand. Nie konnte ich mir diese Frage beantworten - bis jetzt. Es war nicht nur die Dunkelheit, es war die Stille. Nur einzelne, feine Geräusche durchdrangen den Rhytmus der Ruhe, allerdings hatten sie keinerlei Kraft diesen zu brechen. Es gab nichts außer die Stille und die Gedanken, die wir versuchten tagsüber zu verdrängen. Aber jetzt, wo das Leben zumindest für einige Stunden aufhörte, einen abzulenken, gab es nichts mehr, was einen daran hindern könnte, sich mit Fragen auseinander zu setzten, auf die man beim besten Willen keine Antwort geben konnte.
Auch ich hatte am Tag versucht durch belanglose und unnötige Sachen meine Gedanken zu verdrängen, aber jeden Abend auf's Neue, wenn die Sonne mit ihrer letzten Kraft versuchte, die Nacht aufzuhalten, landete ich genau hier. Ich hatte keine Ahnung, wieso es mich immer auf meinen Balkon zog, da draußen zu dieser Jahreszeit Minusgrade herrschten, allerdings hatte ich das Gefühl, dass die kalte eisige Luft meinen Verstand klarer machte. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, denn innerlich hoffte ich darauf, dass wenn ich nach draußen schauen und meinen Blick in die Richtung des Anwesens der Cunnighams schwenkte, ich Fallon sehen konnte. Das war eigentlich unmöglich, denn abgesehen von der Tatsache, dass sie seit Wochen jeglichen Kontakt zu mir mied, würde ich durch die hohen Bäume kaum ihre Silhoutte wahrnehmen können. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass ich ihr dadurch, so weit entfernt unsere Häuser auch voneinander wegstanden, etwas näher kommen konnte. Ja, ich weiß, das alles hörte sich ziemlich schräg an, aber war irgendetwas normal, wenn man verliebt war? Würde man nicht Dinge tun, zu denen man vorher nicht bereit war? Ich würde alles dafür geben, nur um ihr wieder nahe sein zu dürfen, nur um sie wieder berühren und über ihr dunkles Haar streichen zu können, nur um mich in ihren dunklen Augen verlieren zu dürfen. Ich wusste nicht einmal genau, wann ich sie das letzte mal wirklich gesehen hatte, ich hatte seit dieser Funkstille kaum ein Zeitgefühl mehr. Jeder Tag fühlte sich genau gleich an, jede Nacht schien ohne sie endlos zu sein. Und so vergingen die Tage, so vergingen die Wochen ohne irgendein Zeichen von ihr.
Ich dürfte nach der ganzen Sache nicht erwarten, dass sie sich auf wundersame Weise melden und mir vergeben würde, denn das, was ich ihr angetan hatte, würde mehr als nur ein paar Wochen dauern, um zu heilen. Aber ich hielt es fast nicht mehr aus. Mein Zuhause, das ich so sehr geschätzt hatte, war mir fremder denn je, mein Zimmer, in das ich mich immer zurückziehen konnte, glich einem Käfig. Ein Käfig, der mich jeden Tag mehr einengte und mir die Luft zum atmen raubte. Keine Ahnung, ob sich so Trennungsschmerz anfühlte, denn vor Fallon war mir noch nie jemand so sehr im Kopf hängen geblieben wie sie. Ich hatte kaum Lust auf irgendetwas, ich vernachlässigte meine Pflichten, meine Familie und meine Freude, ich aß noch nicht einmal richtig. Das Leben, das für mich einst so wundervoll war, glich einem einzigen Überlebenskampf, und das Tag für Tag. Und ich wusste nicht, wie lange ich das alles noch durchstehen würde, ohne sie, ohne Fallon.
Quietschend öffnete sich die Balkontüre, doch ich hielt meinen Blick starr nach außen gerichtet. Lexi trat neben mich, auch ihr Kopf starrte starr in Richtung Dunkelheit. Es war eine Ewigkeit her, seit wir miteinander gesprochen hatten, denn immer wenn ich mich an sie wandte, blockte sie ab. Ich konnte es ihr nicht verübeln, sie hatte mich mit Fallon in flagranti erwischt, während ich ihr Herz unbewusst und ungewollt gestohlen hatte. Klar, dass sie also nicht von einem auf den anderen Tag die Alte sein konnte, sie brauchte Zeit und das respektierte ich auch. Doch besonders jetzt, wenn ich wiklich jemanden brauchte, auf den ich mich verlassen konnte, fehlte mir meine beste Freundin.
Sie holte eine Schachtel Zigaretten sowie ein silbernes Feuerzeug aus ihrer ledernen Jacke raus, steckte sich eine der Zigaretten zwischen die Lippen und entzündete die Flamme. Sie brauchte einige Anläufe, doch man merkte ihr sofort die geübten Handgriffe an. Das komische war nur, dass ich Lexi davor noch nie hatte bewusst rauchen sehen, denn eigentlich hielt sie sich strikt von diversen Drogen fern.
Sie zog zweimal an dem dünnen Röllchen aus Tabak und Teer und bließ die warme Luft aus. Als sie bemerkte, wie ich sie leise beobachtete, erwiderte sie meinen Blick. Das erste mal seit dem Vorfall zwischen uns.
"Auch eine?", fragte sie mit kratziger Stimme und bot mir die Schattel, die ich danken ablehnte.
Mit einer leichten Kopfbewegung verwies ich auf mein halb gefülltes Glas, das auf dem Gesimse des Balkons stand.  "Ich zerstöre mein Leben lieber damit", murmelte ich, was sie zum Lächeln brachte. Ein Lächeln, das ich nur zu gerne an ihr sah.
Es entstand eine Pause zwischen uns, die wir beide nutzten, um in Gedanken zu versinken. Es fühlte sich schön an, Lexi wieder bei mir haben zu können, ohne dass sie mir vernichtende Blicke zuwarf. Ich gebe zu, ich hatte diese hasserfüllten Blicke verdient, doch ich würde lügen, wenn ich nicht abstreiten würde, dass mir das nichts zu schaffen machte. Immerhin waren wir beste Freunde seit unserer Jugend, so etwas nahm man eben nicht einfach so auf die leichte Schulter, besonders wenn der Auslöser du selbst warst.
"Wie geht es dir?", fragte sie in die Stille hinein und unterbrach damit meine Gedankengänge.
Ich zuckte mit den Schultern und nippte an der alkoholischen Flüssigkeit, die in meinem Rachen einen brennenden Film hinterließ.
"Keine Ahnung", nuschelte ich etwas unverständlich. Wusste ich wirklich nicht. Diese einfach Frage hatte einen gewaltigen Nachdruck. Mich hatte in den letzten Wochen nie auch nur irgendjemand sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt, geschweige denn mehr als zwei Sätzte mit mir gewechselt. So einfach diese Worte auch waren, so kompliziert war die Antwort. Ich würde ihr gerne so vieles erzählen, so vieles beichten, doch das Thema Fallon birgte gewaltige Risiken. Keiner von meiner Familie, außer mein Vater und Harvey, wusste über Fallon und mich Bescheid, keiner. Anfangs hatte ich mich gefragt, wieso mein Vater es vor allen geheimhielt, doch nach kurzem überlegen war mir klar, dass er es zum Wohl aller anderen machte. Die Familie steht immer an erster Stelle, das hatte er mir oft genug ins Gedächnis geredet. Nicht auszudenken, wie sie reagieren würden, wenn sie erfuhren, was ich seit Monaten mit wem getrieben hatte. Es wäre ein Skandal, zweifellos.
"Wie geht es dir?", fragte ich sie stattdessen, doch auch sie blickte ratlos nach vorne. In ihren Augen sah ich, wie ihr irgendetwas seit Tagen oder sogar Wochen durch den Kopf ging.
"Keine Ahnung", entließ sie tief die Luft aus ihren Lungenflügeln.
Leicht drehte ich meinen Oberkörper zu ihr, mein Blick suchte ihren.
Ich hatte mich nicht wirklich darauf vorbereitet, mich zu entschuldigen, dafür war mein Kopf einfach ganz wo anders, doch sie hatte es mehr als verdient, das zu hören, was ich ihr schon ganz am Anfang hätte sagen sollen.
"Lexi", diesesmal war es meine Stimme, die die Stille durchbrach.
Ihre Augen erwiderten endlich meinen auffordernden Blick. In meinem Inneren herrschte ein einziges Chaos, soch ich versuchte mich so gut es ging nur auf meine beste Freundin zu konzentrieren. Ich rangte etwas nach Worten, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen sollte, allerdings unterbrach sie mich gleich.
"Ich weiß, Cayden", meinte sie mit zaghafter Stimme und einem erwärmenden Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf und atmete tief aus. "Lass' es mich bitte sagen", murmelte ich und sah sie wieder an. "Du verdienst das mehr als alle anderen. Du bist meine beste Freundin, und das seit mehreren Jahren. Nein, du bist mehr als das, du bist Teil meiner Familie, Lexi. Und genau da liegt die Gefahr. Es war nie meine Absicht, dir dein Herz zu stehlen, es war nie meine Absicht, dich deswegen auch nur in irgendeiner Form zu verletzten." Sie nickte zustimmend, doch ich war noch längst nicht fertig. "Ich weiß nicht, wie ich so blind sein konnte, nie bemerkt zu haben, dass deine Gefühle sich zu etwas anderem entwickelt haben, als tiefempfundene Freundschaft. Ich habe dich immer als meine beste Freundin gesehen und dabei nicht gemerkt, dass ich dir damit schon weh getan habe. Ich kann dir nicht sagen, wieso ich nicht dasselbe für dich empfinden kann, wie du für mich. Bitte glaub' mir, wenn ich sage, dass ein Teil von mir es wirklich gewünscht hat, weil du es niemals verdient hast, so etwas ertragen zu müssen. Aber ... ich kann einfach nichts erwingen."
Ich machte eine Pause, um meine Gedanken zu sortieren. "Es tut mir leid, dass ich nicht dieselben Gefühle für dich hege, wie du für mich. Es tut mir leid, dass ich dir nicht von Anfang an gesagt habe, dass ich dich nur als Freundin sehen kann. Es tur mir leid, dass es auf diese ... schreckliche Weise passiert ist. Es tut mir leid, dass du mich so vorfinden und es so erfahren musstest. Es war nie meine Intention dich zu verletzten, Lexi. Du bist meine beste Freundin und verdienst alles Glück der Welt, deswegen tut es mir verdammt nochmal leid, dass ich dir so unglaublich weh getan habe."
Ich war mir nicht sicher, ob ich Lexi jemals zu Tränen rühren konnte - abgesehen von diesem Vorfall -, doch hier stand sie nun. Ihre Augen glitzerten, aber sie versuchte alles, um die Tränen aufzuhalten. Sie biss sich auf die Unterlippe, um Selbstkontrolle zu bewahren, doch ihre Wangen waren bereits feucht. Sie lehnte sich nach vorne und vergrub ihren Kopf in meiner Brust.
Sanft schlang ich die Arme um ihren zierlichen Oberkörper. Es fühlte sich gut an, wirklich gut. Das war genau das, was gefehlt hatte, um unsere kühle Distanz zu brechen, eine einfache Umarmung.
Wir verharrten eine Weile in dieser Position, dann lösten wir uns wieder voneinander. Sie wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht und schenkte mir ein dankendes Lächeln.
"Wieso musste ich so lange auf so eine emotionale Ansprache von dir warten?", lachte sie auf und schüttelte den Kopf.
Meine Mundwinkel zuckten kurz hoch, doch mir war nicht wirklich nach Lachen zu Mute. "Ich wünschte, es wäre unter anderen Umständen passiert", raunte ich etwas niedergeschlagen, obwohl ich mir nicht anmerken lassen wollte, wie schwer es mir fiel darüber zu reden.
Lexi hörte es natürlich trotzdem, wie auch nicht? Sie war diejenige, die mich besser kannte, als ich mich selber.
"Willst du ... über sie reden?" In ihrer Stimme schwang ein leichtes Zittern mit, das sie versuchte schnell zu unterdrücken.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, immerhin war ich mir selbst nicht einmal sicher, was ich ihr erzählen konnte und was nicht. "Ich ... ähm", stotterte ich, was ich sonst nie tat. "Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll, um ehrlich zu sein."
Lexi setzte sich auf das steinerne Geländer des Balkons, ihre Beine baumelten frei in der Luft. "Du könntest mir von euch erzählen", schlug sie vor, doch ich verzog gleich mein Gesicht.
"Da gibt es nicht sonderlich viel", murmelte ich und zuckte mit den Schultern. "Es gibt kein uns mehr." Der letzte Satz hatte einen bitteren Nachgeschmack, der einfach nicht verschwinden wollte.
Meine beste Freundin bemerkte wohl, dass sie einen Nerv getroffen hatte, weshalb sie einen Moment lang still blieb.
"Das ganze geht dir wohl ganz schön nahe", flüsterte sie und neigte den Kopf leicht zur Seite. Ihre Augen funkelten im Mondlicht hell wie eine der Sterne am Himmel. "Ich kann mich an keine der Frauen erinnern, die sich so sehr in dein Gedächtnis eingebrannt und dir solch einen Kummer bereitet hätte."
Tief seufzte ich auf und wandte den Blick wieder der Dunkelheit zu. "Das alles ist nicht ganz so einfach", entgegnete ich aufgewühlt und jagte dabei bereits wieder meinen Gedanken hinterher.
"Also ich denke, es ist ziemlich einfach sogar", warf Lexi ein und warf mir einen auffordernden Blick zu. "Du magst sie, richtig?"
Ich nickte fragend, denn ich hatte keine Ahnung, worauf sie hinaus wollte.
"Und du bist in sie verliebt?"
Einige Sekunden verharrte ich in meiner Position, doch schließlich nickte ich erneut.
Bei der nächsten Frage atmete Lexi tief durch. Ihr schien das ganze Thema wohl immer noch ziemlich nahe zu gehen, aber ich konnte sie deswegen kaum verurteilen.
"Liebst du sie?"
Ich blinzelte sie etwas erschrocken aufgrund ihrer direkten Wortwahl an. Noch nie hatte ich irgendjemanden wirklich bewusst geliebt. Klar, es gab meine Familie, die ich über alles schätzte, genauso wie meine Freunde, doch diese Art der Liebe war vollkommen anders. Natürlich hatte ich schon die ein oder andere Beziehung hinter mir und wusste deshalb auch, wie sich das Verliebtsein anfühlte, aber wirklich Liebe hatte ich noch nie erfahren.
Ich atmete ein. Wie sollte ich auf so eine direkte Frage antworten, wenn ich den Begriff Liebe noch nicht einmal für mich definieren konnte? Was bedeutete es überhaupt jemanden mit Hingabe zu lieben? War das, was ich für Fallon empfand bereits Liebe? Ich hatte keinerlei Vergleichswerte, denn das, was ich mit Fallon hatte, war anders als all meine früheren Liebschaften.
"Cayden, du denkst zu viel darüber nach", riss mich Lexi aus den Gedanken. "Antworte ganz aus deinem Herzen heraus."
Ich schluckte und hielt inne. Mein Herz pochte plötzlich unglaublich schnell gegen meine Brust. "Ja."
Es war nur ein Hauchen, aber ich war mir in einer Antwort noch nie so sicher. Ich liebte Fallon, ich liebte sie wirklich. Ich fand keine Erklärung, aber es fühlte sich einfach richtig mit ihr an. So wie noch nie zuvor.
Lexi lächelte mich warm an. "Da hat du deine Antwort", meinte sie aufmunternd. "Wenn du sie also wirklich liebst, dann solltest du um sie kämpfen."
Ich blickte zu meiner besten Freundin, in ihren Worten gab es nur die Ehrlichkeit, die ich allerdings brauchte. Es stimmte. Ich liebte Fallon, und wenn mir wirklich etwas an ihr lag, so wie ich es gesagt hatte, dann müsste ich alles dafür tun, um sie wiederzubekommen. Und das würde ich. Koste es was es wolle.

Forbidden loveWhere stories live. Discover now