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Fallons P.o.V.

Tief atmete ich ein und wieder aus. Der Wagen hielt genau vor den vielen Stufen zum Eingang. Mein Blick hob sich von meinen Fingern zum Fenster, das mir eine perfekte Sicht auf das Anwesen der DeLaurants bot. Jemand öffnete die Tür und hielt mir den Schirm auf, um den strömenden Regen von mir fernzuhalten, doch eigentlich war mir egal, ob ich deswegen nass wurde. Mir war einfach alles egal, ich hoffte nur, dass dieser Abend so schnell wie möglich vergehen würde, damit ich Cayden zumindest für einen Moment aus dem Weg gehen konnte. Klar, die Veranstaltungen waren wichtig, doch ich hatte mich dort noch nie so wirklich wohl gefühlt und da würde mein Fehlen nicht so schnell auffallen, wie bei den monatlichen privaten Treffen mit den DeLaurants.
Ich schwang meine Beine aus dem Auto und lief die Treppen gemeinsam mit meinem Vater nach oben. Er warf mir einen prüfenden Blick zu, den ich jedoch nicht erwiderte. Ich wollte den Abend so schnell wie möglich hinter mich bringen, ich konnte meinem Vater wohl schlecht erzählen, dass der Sohn seines scheinbar neuen Freundes beziehungsweise Feindes der Grund war, wieso ich nicht mitkommen wollte. Wie meinem Onkel konnte ich meinem Vater nicht von meinem Geheimnis erzählen, also musste ich die paar Höllenstunden aushalten, so schwer es mir auch fiel.
Die Türen wurden geöffnet, sodass eine angenehme Wärme uns umhüllte, doch als ich meine Augen durch die Eingangshalle wandern ließ, durchfuhr mich eine erzitternde Kälte. Nicht nur Gregor DeLaurants Gesichtsausdruck war kühler als sonst, sondern auch die der gesamten Familie. Obwohl sich alle darum bemühten, so freundlich wie immer einander zu begrüßten, lag eine gewisse Anspannung im Raum, die wohl auch mein Vater zu spüren vermochte. Ich musste glücklicherweise feststellen, dass Cayden uns heute nicht mit seiner Anwesenheit begrüßen zu schien. Innerlich atmete ich auf. Immerhin war der Abend keine komplette Höllentour. Vielleicht hatte er eingesehen, dass es sich nicht gehörte, jemanden zu betrügen, mit dem man eine Nacht zuvor geschlafen hatte. Ja, vielleicht besaß er doch noch etwas Anstand und ließ mich endlich in Ruhe. Sicherlich würden wir uns nicht für immer aus dem Weg gehen können, aber für den Anfang war so wenig Kontakt wie möglich das Beste für und beide.
Wir wurden zu Tisch geführt, doch auch hier konnte das Eis nicht wie für gewöhnlich gebrochen werden. Mein Vater bemühte sich darum, die Anspannung im Raum fallen zu lassen, aber er fand nicht so richtig Anschluss an den Gedprächen der DeLaurants.
Gerade als uns die letzten reichlich geschmückten Schalen gebracht wurden, sah ich im Augenwinkel, wie jemand den Saal betrat. Ich blickte auf und erschrack innerlich. Cayden versuchte, den Atem gesenkt zu halten, doch es sah so aus, als wäre er gerannt. Er richtete so unauffällig wie möglich sein Jaquet und knöpfte es anschließend zu, um einen förmlichen Eindruck zu hinterlassen.
"Tut mir leid für die Verzögerung", murmelte er zu seinem Vater und wandte sich dann den Gästen zu, uns, mir. Als seine Augen auf mich trafen, spürte ich wie in mir alles wieder hoch zukommen schien. Unsere leidenschaftliche Nacht, die gestrige Veranstaltung, der Kuss zwischen ihm und dieser anderen jungen Frau, und sein Blick. Der Blick, der mich so sehr verletzt hatte, dass mir wieder Tränen aufstiegen. Der Blick, der mir gezeigt hatte, wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte, wie falsch ich ihn eingeschätzt hatte. Der Blick, der mir zeigte, wie dumm ich nur sein konnte, ihm mein ganzes Vertrauen in die Hände zu legen, um dann nur ausgenutzt zu werden.
Doch dieser Blick war anders, ich erkannte ihn wieder, den echten Cayden. Den, den ich in seiner wahren Form kennen gelernt hatte, dem ich mich immer wieder anvertrauen würde, dem ich mein Herz geschenkt hatte. Und genau das tat noch mehr weh, als der gestrige Blick. Ich wusste innerlich, dass Cayden sich nicht ändern konnte, ich wusste, dass ich ihm nie wieder vertrauen würde. Er hatte mich verletzt, und das so dermaßen, dass alleine dieser mitfühlende echte Blicke von ihm, mein Herz in weitere tausende von Scherben brach.
Ich war diejenige, die zuerst den Augenkontakt abbrach und mich stattdessen auf meinen gut gefüllten Teller konzentrierte. Leise vernahm ich, wie ein weiterer Stuhl nach hinten geschoben und sich jemand auf diesem niederließ. Ich musste noch nicht einmal aufsehen, um zu wissen, dass Cayden nicht die Augen von mir nahm. So sehr ich auch wollte, ich konnte mich ab dieser Minute auf keines der Gespräche wirklich einlassen. Caydens Blick brannte sich regelrecht in meine Haut ein, ich dachte fast, dass dieser mich durchlöchern konnte. Genauso verging mir der Appetit. Nicht, dass ich seit Tagen nichts mehr richtiges zu mir nehmen konnte, ohne es wieder auszuspucken, doch diesesmal konnte ich noch nicht einmal mal das Essen auf meinem Teller ansehen, ohne einen Würgereiz zu bekommen. Und so sehr ich mich auch darum bemühte, normal zu wirken und mir nichts anmerken zu lassen, so sehr ich meinen Vater nicht enttäuschen wollte, konnte ich es einfach nicht. Ich würde es keine einzige Sekunde mehr mit Cayden in einem Raum aushalten können. Es war schrecklich, noch schrecklicher, als wirklich mit ihm reden zu müssen. Diese Anspannung zwischen uns schien fast Funken zu sprühen, und ich hatte das Gefühl, dass alle anderen langsam bemerkten, dass die Angespanntheit eigentlich von Cayden und mir kam.
Tief atmte ich aus und wandte mich meinem Vater zu. "Dad", flüsterte ich ihm zu, was seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Ewigkeit her, dass ich ihn so genannt habe, aber ich musste ihn einfach dazubringen, dieses Essen abzusagen. Er musste sehen, wie schlecht es mir gerade ging. Mir stiegen wieder Tränen auf, die ich versuchte, zu unterdrücken, aber mein Vater entdeckte sei trotzdem. Jetzt wurde er hellhörig. "I-ich kann nicht ..." Ich schaffte es noch nicht einmal, ihm zu sagen, warum ich hier weg wollte, wieso ich mich gerade in dieser Situation so unwohl fühlte. Und zum ersten mal seit langer Zeit schenkte er mir einen mitfühlenden Blick. Das kam so überraschend, dass ich ein paar Sekunden brauchte, um zu erkennen, dass er tatsächlich so etwas wie elternliche Sorge zeigte.
Langsam wanderte sein Blick durch die Runde, bis seine Augen bei Cayden hängen blieben. Innerlich pochte mein Herz wie wild, denn ich hatte Angst, dass er etwas erkennen würde, doch seine Mimik blieb genau gleich.
"Ich lasse den Wagen vorfahren", raunte er leise und ich atmete erleichtert aus. Dankend schenkte ich ihm ein ehrliches und aufrichtiges Lächeln von mir, dann erhob ich mich langsam.
"Entschuldigen Sie mich", murmelte ich ohne den Blick zu heben.
Es war mir egal, ob ich damit gegen irgendwelche Umgangsformen verstieß, ich musste hier einfach nur weg. Der Raum schien mich einzuengen, ich bekam fast keine Luft mehr.
Schnell verließ ich den Esssaal und lief in die ewig langen Gänge. Mein Lungenflügel füllten sich das erste mal wieder mit frischen Sauerstoff, gierig atmete ich die mir fehlende Luft ein. Ich merkte allerdings, wie Caydens alleinige Anwesenheit im Nebenzimmer immer noch auf mein Brustkorb drückte, also begann ich einen Schritt nach dem anderen zu setzten und mich damit in Sicherheit zu bringen. Vor meinem inneren Auge tauchte plötzlich immer wieder sein Gesicht auf, was mich zum stolpern brachte. Kurz hielt ich mich an der Wand fest, weil ich das Gefühl bekam, gleich umkippen zu müssen. Tief atmete ich ein und wieder aus, allerdings blieb dieses dumpfe, erdrückende Gefühl in meiner Brust.
"Fallon", ertönte es von weiter weg.
Ich musste nicht aufschauen, um zu wissen, dass Cayden am anderen Ende des Gangs stand und nach mir rief. Er raubte mir wieder jegliche Luft zum atmen, also drehte ich ihm den Rücken zu und lief auf wackeligen Beinen weiter.
"Fallon, warte! Bitte!" Ich versuchte, ihn zu ignorieren, ihn nicht an mich heranzulassen, aber seine Stimme wurde immer lauter. "Fallon", keuchte Cayden leise und hielt mich an der Schulter fest.
"Fass' mich nicht an!", fauchte ich sofort und schlug seine Hand weg. Überrascht sah er mich an, dann fasste er sich wieder. "Fass' mich nie wieder an", fügte ich hinzu, dabei merkte ich, wie sich die Tränen in meinem Augenwinkel anstauten.
Cayden öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich drehte mich auf meinem Absatz um und lief den Gang weiter. Hinter mir hörte ich schnelle Schritte.
"Willst du gar nicht wissen, wieso ich das getan habe?"
Ich schnaubte und blieb stehen, sodass er fast in mich reinlief. "Nein, muss ich nicht",  murmelte ich verbittert, während mir die Tränen über meine Wangen liefen. "Ich weiß, dass du ein verdammter Egoist bist, der sich um niemand anderes scherrt als um sich selber. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich es auch kapiere. Dass es allerdings auf diese Weise passieren würde, zeigt mir nur noch mehr, dass du nicht anders bist, als deine gesamte Familie."
Er sah mich einfach nur an und ließ die Worte auf sich wirken. In seinen grünen Augen, die mir einst die Welt bedeutet hatten, sah ich, wie er zu realisieren begann, was ich ihm vorgeworfen hatte.
"Ich kann das erklären, Fallon", flüsterte er, so als hätte er die letzten Worte nicht gehört.
"Nein", wisperte ich und schüttelte leicht dazu meinen Kopf. "Ich werde nicht wieder so dumm sein und dir nochmal vertrauen."
"Aber das habe ich nur für uns gemacht, für dich und -"
"Für uns?", wiederholte ich schrill und fuhr mir aufgeregt durch mein Haar. "Wann hat Cayden DeLaurant jemals etwas selbstloses getan? Wann?"
"Ich bitte dich, lass es mich dir nur erklären", murmelte er flehend.
"Ich will dir nie wieder zuhören!", fauchte ich und schubste ihn weg von mir, sodass er zwei Schritte nach hinten stolperte. "Ich will nie wieder mit dir sprechen. Oder dich ansehen. Ich will nie wieder irgendetwas mit dir zu tun haben, verdammt!"
Bei jedem Wort lief ich ein kleines Stück auf ihn zu, bis mein Gesicht nur wenige Zentimeter vor seinem schwebten. Während unserem gesamten Gespräch liefen mir ununterbrochen die heißen Tränen, aber ich wollte es so. Ich wollte, dass er sieht, wie verletzend er sein konnte, wie rücksichtlos und egozentrisch er handelte. Ich wollte, dass er weiß, wie sehr ich unter diesem einen Kuss zwischen ihm und einer anderen litt, wie sehr er mir deswegen weh getan hatte.
"Fallon", bettelte er mich abermals an, ihm zuzuhören, aber ich hatte es satt, ihn sich erklären zu lassen.
"Ich habe mich dir anvertraut, Cayden. Ich habe mich dir geöffnet und dich in meine dunkelsten Geheimnisse eingeweiht, ich habe dir sogar blind mein Herz geschenkt, verdammt!", schluchzte ich wütend auf. Alles in mir brodelte und schrie danach ihn genauso leiden zu lassen, wie er es mir gerade angetan hatte. Ich wollte ihm so vieles sagen, so vieles vorwerfen, ihm Dinge ins Gesicht schreien, aber ich konnte meine Gedanken nicht sortieren. Mein Kopf drehte gerade durch, sodass alles in sich zusammenfiel. Meine Mauern, die ich versucht hatte, zu bauen, wurden gerade durch ein einziges Gespräch mit ihm eingerissen.
"Ich habe dir jedes Wort aus deinem Mund geglaubt, dabei hast du mich von Anfang an belogen. Alles nur, damit du mein Vertrauen gewinnst und du mich genauso benutzen kannst, wie du es mit allen anderen tust!" Ich lachte auf. "Vermutlich sind diese ganzen Geschichten über dich und deine Familie noch nicht einmal echt. Ja, wahrscheinlich war es dein Vater, der dich auf diese kranke Idee gebracht hatte, mich auszunutzen, oder nicht?"
Ohne ein Wort zu sagen starrte mich Cayden mit leicht geöffnetem Mund an. In seinen Augen sah ich, wie tief ich ihn anscheinend getroffen hatte, dabei war das alles vermutlich nur wieder eine seiner Shows, die er abzog. Verdammter Mistkerl!
"Gott, wie konnte ich nur so dumm sein ...", wisperte ich eher zu mir als zu ihm, während meine Augen sein Gesicht abwanderten. Dieses Gesicht, in das ich mich verliebt hatte. Auf meinen Absätzen drehte ich mich um, doch Cayden hielt mich am Oberarm fest.
"Dreh' mir nicht den Rücken zu, Fallon!", erhob er seine Stimme, sodass ich mich zu ihm umdrehte.
"Das hätte ich schon von Anfang an tun sollen!"
Bei dem letzten Wort drückte Cayden mich an sich und presste die Lippen auf meinen Mund. Meine Gefühle schienen entgültig durchzudrehen, ich wusste für ein paar Sekunden nicht, was ich tun sollte. Und in diesen Sekunden fühlte ich die Leidenschaft, die Hingabe, die Sehnsucht, die zwischen uns herrschte. Ich spürte, wie jeder Zentimeter meiner Haut sich an ihn drücken wollte, wie jede einzelne Zelle nach mehr verlangte. Ich fühlte diese Geborgenheit, diese Sicherheit, die einfach nicht gespielt sein konnte. Aber mit einem mal prasselten alle Erinnerungen auf mich nieder. Der Kuss, die Blicke, die so viel Distanz zwischen uns brachten. Ich erinnerte mich an die Tage danach, in denen ich nicht mehr ich selbst war, in denen ich immer wieder zusammengebrochen war, in denen ich mich schwächer fühlte als jemals zuvor. Mein Herz setzte aus, mein Verstand arbeitete dafür umso besser.
Und jetzt reagierte ich auch endlich wieder, indem ich meine Hände auf Caydens Brust drückte und ihn von mir so gewaltsam wie nur irgendwie möglich von mir wegstieß.
"Fass' mich nicht an, habe ich gesagt!", zischte ich scharf. Cayden brauchte ein paar Augenblicke, bis er sah, dass ich niemals diejenige werden würde, die ich davor war. Es war vermutlich auch der Moment, der ihm weiß machte, wie sehr er mich mit dieser einen Aktion verletzt und schließlich auch verloren hatte.
Ich hörte, wie sich jemand am anderen Ende des Ganges räusperte. Ruckartig drehte ich mich zu dem Mann um, dessen Blicke nicht härter sein könnten. Mein Vater.

Forbidden loveWhere stories live. Discover now