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Ich saß auf einem meiner Badezimmerstühle und sah mich im großen Spiegel an. Mein Körper war übersäht mit kleineren blauen Flecken, die ich jedoch zu kachieren wusste. Es war nicht das erste Mal, dass jemand mich in den Hallen attackiert hatte, da es nicht sonderlich schwer war, einen Kampf anzuzetteln. Es war nur schwer, damit auch wieder aufzuhören. In Harveys Augen hatte ich seine Kampflust gesehen. Ein durchdringender Blick, der nur die Rache sah. Die DeLaurants versuchten nicht einmal ihren Hass auf uns Cunnighams zu verstecken, sie griffen uns lieber direkt an. Das war mir jedoch lieber, als uns hinter unseren Rücken zu verspotten - obwohl sie das sicherlich auch machten. Wie gesagt, es war eine Frage der Zeit, bis der angebliche Frieden aufgehoben wurde. Ich bemühte mich immer wieder, nicht auf ihre Stichelein einzugehen, doch es kostete jedes mal eine enorme Kraft gegen sie anzukämpfen. Mal klappte es mehr, mal weniger. Und gestern hätte ich nicht einfach davon laufen können. Auch ich hatte meinen Stolz, den ich versuchte zu verteidigen. Mal gelang es mir, mal jedoch nicht. Und das hinterließ auch eine Menge an Spuren. Mein jungen Körper ziehrten bereits eine Menge an Narben. Die meisten waren von einem Kampf zwischen mir und einem DeLaurant. Auch die heutige Narbe zählte dazu, die sich von meiner dritten bis zur vierten Rippe erstreckte. Eins musste man Harvey lassen, er konnte sich auf jede Fälle verteidigen.
Die restlichen hatte ich mir entweder selber oder einer Auseinandersetzung mit meinem geliebten Vater zu zuschreiben. Es war nicht immer einfach zwischen uns. Er hatte sich so sehr einen Sohn gewünscht, deshalb war es klar, dass ich es als Tochter nucht wirklich leicht haben würde. Ein Mann strahlt trotz des 21. Jahrhunderts noch immer eine größere Autorität aus, als eine Frau.
Kurz nach dem Tod meiner Mutter spaltete sich unser Verhältnis zueinander nur noch mehr. Ich konnte nicht sagen, was es war, vielleicht erinnerte ich ihn zu sehr an seine geliebte Frau. Mit meinem dunklen seidenen Haar und den braunen Augen konnte ich genauso ihre Zwillingsschwester in ihren jüngeren Jahren darstellen. Vielleicht war meine Mutter aber auch nur diejenige, die meinen Vater und mich zusammenhielten, wie ein Band, dass uns verbindet. Mit ihrem Tod zeriss diese Verbindung, da mein Vater und ich uns seither auseinander lebten.
An meine Mutter selber konnte ich mich nur wenig erinnern. Ich müsste fünf oder sechs gewesen sein, als sie starb, doch nur einzelne Bruchstücke und wenige Fotos ließen die mich nicht vergessen.
Mit ihr verband ich außerdem das Kämpfen. Sie war eine Kämpferin, genauso wie ich, die es in dieser Welt nicht immer leicht hatte. Sie war mit Gutmütigkeit und Sympathie gesegnet, doch auch vor ihr machte der Krebs keinen halt. Früher hatte ich nie verstanden, was mit ihr passiert war. Zuerst war sie hier und sang mich abends in den Schlaf, und von einem auf den anderen Tag war sie fort. Etwas, dass ich mit den Jahren erst begriffen hatte.
Und so bahnte ich mir meinen Weg durch mein eignes schweres Leben. Als Kind des Oberhauptes der Cunnighams lagen eine Menge Herausforderungen vor mir - die DeLaurants waren defintiv eine von ihnen.
Es klopfte an der Tür und als Alice ihren Kopf durchsteckte, lächelte ich schwach auf.
"Miss", begrüßte sie mich und kam mit ihrem erste Hilfekoffer zu mir. "Wie geht es Ihnen heute?"
Ich verzog das Gesicht bei dieser Anrede. Seit ich vor einigen Monaten achtzehn geworden war, bestand sie darauf, mich auch wie eine ebenbürtige Erwachsene zu behandeln - und das, obwohl sie mich seit Kindesalter mit groß gezogen hatte.
"Alice, bitte lass diese Höflichkeiten. Ich fühle mich ansonsten wie vierzig." Alice war füher mein Kindermädchen. Sie war wie eine Freundin für mich - die Einzige, die sich wirklich traute, mir auch die Meinung zu sagen. Das machte es schwer für mich, andere Freunde zu finden. Selbst die anderen Bediensteten hatten zu viel Respekt oder Angst vor mir, oder meinem Vater. Eine weitere Hürde, wenn man den Namen Cunnigham trägt, aber das störte mich nur noch kaum. Natürlich war das Leben ohne freundschaftliche Kontakte etwas alleine und sicherlich langweiliger als mit, aber ich war nicht einsam. Ich hatte meine Familie, die - bis auf meinen Vater - für mich jeder Zeit da war.
"Wie geht es Ihnen heute? Was machen die Schmerzen?", fragte sie nach und ignorierte meine Bitte. Ich warf ihr einen ernsten Blick zu, aber beließ es schnell dabei. Alice konnte man nur wirklich böse sein. 
Ich zuckte lediglich mit den Schultern und stand zu ihr auf. "Nichts, was ich nicht schon kenne." Alice entließ mitleidig Luft aus ihren Lungen. Sie war nicht gerade davon begeistert, dass ich in derselben Halle trainierte, wie die DeLaurants, doch ich hatte keine andere Wahl. Zur Demonstration des Friedens zwischen unseren Familien hatte mein Großvater zusammen mit seinem früheren Rivalen diese Halle erbaut. Ein gemeinsamer Zugang sollte die Friedlichkeiten ermöglichen, dabei war ihn damals noch nicht bewusst, dass die Feindschaft größer denn je wurde.
"Wer war es dieses mal?"
Ich nahm ihr den Verbandskasten ab und durchwühlte ihn, bis ich ein neues Wundverbandspflaster fand. "Harvey DeLaurant." Sie sog scharf die Luft ein. Ihre Haltung zu den DeLaurants war genauso, wie ich sie eingeschätzt hatte. Sie verabscheute diese Familie. Laut ihr würden die Mitglieder unter einander um Arroganz und Eitelkeit konkurrieren. Ein weiterer Punkt, warum ich Alice mochte. Sie vertrat ihre Ansichten frei und direkt, abgesehen davon, dass sie die DeLaurants vermutlich noch weniger leiden konnte, als ich. 
"Ich würde mir gerne einen dieser Schnösel vornehmen und ihn zurecht weisen." Ich lächelte sie an. Der Gedanke daran, wie eine 1.55-Meter-große Frau versuchen würde Harvey DeLaurant eins überzubraten, ließ mich erneut grinsen.
"Kannst du mir helfen?", fragte ich schließlich nach und sie nickte sofort. Ich legte das Handtuch beseite und zeigte auf meine Rippen. Abermals sog sie die Luft ein. "Miss, Sie sollten das von einem Arzt begutachten lassen."
Ich sah sie belustigt durch den Spiegel an. "Du kennst doch die Regeln für einen Arztbesuch, oder?" Sie nickte steif und ließ die Idee wieder sofort fallen.
Jeder Arztbesuch hier im Anwesen muss bei meinem Vater gemeldet werden. Vorschriften waren gut, solange sie es nicht übertrieben - so wie es diese Regel nun einmal tat. Alice besprühte ein Tuch mit reinem Alkohol und sah mich durch den Spiegel an. Ich nickte und sie drückte mir das Tuch auf die Wunde. Ich biss die Zähne zusammen, doch ich konnte nichts gegen meinen qualvollen Laut tun. Es brannte wie die Hölle auf Erden.
"Tut mir leid, Miss." Ich lächelte ihr schwach zu und klebte mir ein neues Wundverbandspflaster auf. Tief atmete ich aus und zog mir einen Pullover über, der jegliche Vermutungen einer neuen Verletztung vernichten würde.
"Ihr Vater lässt nach Ihnen schicken", murmelte sie und ich nickte langsam. Vermutlich hatte er bereits von dem Vorfall gehört und war nicht sehr erfreut. "Danke, sag' ihm, dass ich gleich komme." Alice lächelte mich kurz an und verschwand dann aus meinem Badezimmer. Ich sah ihr nach.
Um eine Sache beneidete ich sie am meisten: Sie konnte kommen und gehen, wie ihr danach strebte. Etwas, dass ich niemals tun könnte.

Forbidden loveWhere stories live. Discover now