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„Ich will nicht dein Freund sein." Mein Lächeln erstarb. Dieses Gespräch konnte sich in zwei Richtungen entwickeln und keine der beiden Möglichkeiten gefiel mir.
„Ich will nicht nur dein Freund sein." Erklärte er und sah mich an. In meinem Kopf ratterte es. Verzweifelt suchte ich nach Dingen, die mir halfen das hier alles hinter mir zu lassen. Das alles schön zu reden. Mich herauszureden. Doch ich hatte keine Kraft mehr um das Richtige zu tun. Dennoch versuchte ich es.
„Warum?" Ein kläglicher Versuch vielleicht, doch alles was ich gerade schaffte. „Warum was?" Wieder klang er verwirrt. „Warum willst du nicht nur ein Freund sein?" Meine müde Stimme passte zu meiner Erschöpfung, die plötzlich über mich hereinbrach. Ich wollte nicht über dieses Thema reden. Nicht schon wieder.
„Weil ich mehr will." Erklärte er, wobei er eigentlich nichts erklärte. „Aber warum? Warum glaubst du, dass ich dich glücklich machen kann? Glücklicher als Anna? Glücklicher als jede andere? Jede hübschere, klügere, dünnere...?" Kurz schloss ich die Augen. Ich wollte dieses Thema wirklich nicht schon wieder herauskramen.
„Noch vor einer Woche, wolltest du mein Freund sein. Doch du hast dich nicht wie ein Freund verhalten? Du hast mir Blicke zugeworfen und Dinge gesagt, die Freunde nicht sagen. Und jetzt willst du nicht mein Freund sein. Also warum?" Meine plötzliche Erschöpfung war in Hysterie umgeschlagen. Ich atmete schwer.
„Weil ich es will. Was willst du hören? Dass du Hübsch bist, du klug bist, du nicht dick bist? Du weißt, dass es entweder gelogen oder geheuchelt wäre!" Ich stutzte.
Ich hätte beleidigt sein sollen, doch er hatte Recht. Ich war klug, doch es gab immer jemanden der Klüger war. Ich würde mich auch nicht als hässlich bezeichnen. Es gab immer jemanden der hübscher war. Und ich war dick. Ich war Propper. Moppelig. Wie auch immer man es nennen wollte. Ich war nicht perfekt. Also was wollte ich hören?
„Ich will nicht nur dein Freund sein, weil ich es will. Basta!" Sein Befehlston verwunderte mich. „Weißt du noch in Vegas, als ich dir sagte, dass ich nie die Kontrolle verliere?" Zögernd nickte ich. „Du bist die erste Person, die mich so die Kontrolle verlieren lässt, dass ich Schleudere. Und es macht mir Angst. Du jagst mir eine Heidenangst ein. Aber das ändert nichts, dass ich das Gefühl liebe, wenn ich die Kontrolle verliere." In seinen Augen lag ein Funkeln.
„Ich liebe es, dass du mir das Gefühl gibst, nicht nur der Mann zu sein der ich bin, sondern auch der Mann werden zu können, der ich gerne wäre." Schweigend starrte ich ihn an. Was sollte ich erwidern? Gab es eine gute Antwort darauf? Vermutlich nicht. „Es tut mir leid. Ich weiß, wir hatten eine Abmachung." David trat einen Schritt zurück.
Die Ärmel seines weißen Hemdes waren hochgekrempelt und der oberste Knopf geöffnet. Er wirkte so verloren. So verloren, wie ich mich fühlte.
„Ich hasse es, dass ich die Kontrolle nicht halten kann." Flüsterte ich und David musterte mich. „Ich hasse es, dass ich die Kontrolle verloren habe und sie nicht zurückerlangen konnte. Ich habe mir eingeredet, dass ich sie besaß, aber das tat ich nicht. Ich kann dich nicht glücklich machen. Aber Anna kann es. Ihr seid ein schönes Paar." Die Tränen brannten heiß hinter meinen Augen. „Ich bin verwirrt, verloren und eigentlich weiß ich gar nichts mehr. Ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein, wenn ich es nicht mal schaffe mit mir alleine fertig zu werden."
Erschrocken hielt ich inne. Es sah mir nicht ähnlich etwas preiszugeben. Nicht so etwas. Mein erstes und letztes Gespräch hatte ich mit Toby. Er war Arzt und mein Bruder. In Kombination war er der beste Zuhörer, den ich kannte. Er war es auch, der mich zu einem Kollegen schickte, wie er es genannt hatte. Zu einem Kollegen, der mir erklärte, dass Depressionen nichts waren, wofür man sich schämen musste. Der mir erklärte, das viele Menschen unter Krankheiten litten die ihnen peinlich waren, doch nichts anderes waren als eine Krankheit. Der mir erklärte, dass ich meine Angst überwinden musste. Das ich mit mir selbst ins Reine kommen musste. Der mir erklärte, dass ich erst jemand werden konnte, wenn ich es auch zuließ.
Mit der richtigen Medikation und einer Gesprächstherapie sollte das leicht in den Griff zu kriegen sein. Die Gesprächstherapie hatte ich das letzte Mal an dem Tag, an dem ich den Anruf erhielt, dass Toby einen Unfall hatte.
„Wie könnte ich mich auf irgendetwas einlassen? In meinem Leben geht es gerade drunter und drüber. Mein Vater, mein neuer Job, wofür ich mich bedanken muss, auch wenn ich es hasse, dass ich nur wegen Kontakten daran gekommen bin, meine Geschwister, meine Mutter."
David sah mich an, ließ mich ausreden, schwieg. Doch in seinem Blick lag kein Verständnis. Er wollte nicht das ich ihn abwies. Aber was konnte das schon werden? Ich würde keine Affäre sein. Ich würde nicht die Frau sein, die betrog. Ich wollte nicht so sein.
Als ich schweramtend endete kam er auf mich zu. Seine Hände legten sich an meinen Hals. Seine Daumen fuhren sanft über meine Wangen und sein Griff zwang mich dazu ihn anzusehen. „Ich verstehe das. Ich verstehe das viel in deinem Leben passiert." Seine Berührungen ließen mich zittern. „Aber ich werde dir nicht im Weg sein. Ich will für dich da sein. Und ich will das du für mich da bist..." Ich wollte ihn unterbrechen, ihm sagen, dass doch genau dort das Problem lag, doch er ließ mich nicht. „... Ohne, dass du etwas tun musst. Du bringst mich runter, ohne dass du etwas tust oder sagst. Gleichzeitig schaffst du es mich auf die Palme zu bringen, ohne es zu wollen. Du bist unglaublich ruhig und dann plötzlich explodierst du. Und es passiert dass du alle um dich herum mitreißt." Er lächelte mich an. 
"Du tust alles aus Leidenschaft. Doch du hast solche Angst, jemand könnte das sehen, dass du es hinter dieser Mauer aus Gleichgültigkeit versteckst. Dazu kommt noch Sarkasmus und Zynismus. Eine Mischung die Gefährlich und zuweilen beleidigend ist. Doch du machst mich verrückt. Und auch wenn du mir immer wieder sagst, dass du jetzt nicht bereit dafür bist, dann muss ich warten. Weil ich einfach nicht aufhören kann, darüber nachzudenken wie es wäre wenn..." Er holte Luft, musterte weiterhin mein Gesicht. „Wie es wäre wenn wir beide aufhören würden zu denken." Er lächelte, sah mir tief in die Augen. 
"Ich wünschte wir hätten Vegas nie verlassen." Hauchte er und legte seine Stirn an meine. "Du würdest mir gehören. Und ich dir." Er schloss die Augen. Er klang so sehnsüchtig und trieb mir damit die Tränen in die Augen.
„Du musst an deine Arbeit denken." Sagte ich lahm. Ich schluckte. Ich hatte mir gewünscht, nie meine Gedanken aussprechen zu müssen, doch jetzt gerade machte er mir Angst. Er machte mir Angst, weil er Recht hatte. Er hatte Recht dass ich ihn wollte. Er hatte mit allem Recht was er gesagt hatte. Ich fühlte genau wie er.
Doch er konnte mich nicht wollen. „Du gehst du Veranstaltungen, gehörst zu den zehn begehrtesten Junggesellen Deutschlands." Ich hatte ihn mehr als nur einmal durch die Suchmaschine gejagt. Etwas worauf ich nicht stolz war. Doch er war ein Mann der von Frauen verfolgt wurde.
Auf Veranstaltungen tauchte er nur mit den hübschesten Frauen auf. Er galt als Aufreißer. Keiner glaubte daran, dass er wirklich für immer an eine Frau gebunden werden konnte. Doch die Medien liebten Anna. Liebten die Geschichte hinter den beiden.
Ich arbeitete bei einem Magazin, das eigens diese Geschichte gebracht hatte, als es neu war. Die ganze Kisten voll mit Fotos von Anna Mendel hatten.
Die beiden Kindergartenfreunde, die sich aus den Augen verloren und nach Jahren aufeinander trafen. Natürlich war es Liebe auf den ersten Blick – oder auf den Zweiten. Wie auch immer.Ich passte weder in sein Beuteschema, noch in sein Leben. Je schneller er das verstand, desto besser.
„Du hast eine Verlobte. Die Medien lieben sie. Ich passe nicht in dein Beuteschema, ich bin nicht dein Typ. Die Medien werden sich auf dich stürzen. Und Mendel&Clark, kann schlechte Presse nicht gebrauchen." Beinahe Vorwurfsvoll entwand ich mich seinem Griff. Musste mich vor dem Abschotten was kommen würde. Ein weiteres Ende.
„Du könntest mich nie zu einer Veranstaltung mitnehmen. Wir wären ein Geheimnis und das wärst nicht du. Du liebst den ganzen Rummel um deine Person. Die Aufmerksamkeit." Das tat er. Er liebte es, dieses Leben zu führen. Ich hatte ihn nie gesehen, wie er auf einer Veranstaltung war, doch die Fotos, die Menge an Fotos verrieten es.
„Das ist nur ein Problem, weil du eins daraus machst. Zum einen..." Wieder trat er auf mich zu, obwohl ich versucht hatte Abstand zwischen uns zu bringen. „... Sollten wir uns nicht erst Gedanken darum machen, wenn es soweit ist? Zum zweiten, würde ich dich mitnehmen. Ich schäme mich nicht für dich. Doch es erschreckt mich, dass du das glaubst. Entweder du hältst sehr wenig von mir, oder du hältst sehr wenig von dir selbst. Beides finde ich furchtbar."

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