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***

Ich sah ihn an. Für einen langen Augenblick sah ich ihn nur an. Er war hübsch, das war klar. Selbst in nüchternem Zustand hätte ich das deutlich ausmachen können. Doch sein Lachen war ebenfalls schön, sein Lächeln, seine Art und Weise. Er war höflich, gut erzogen. Er war ein richtiger Fang. Und wenn ich nicht ich gewesen wäre, hätte ich ihn versucht mir zu schnappen.
Er überblickte alles und schien darauf bedacht zu sein, dass es allen gut ging. Sein Bruder, wie ich herausfand heiratete in drei Wochen. Sie waren nur für den Junggesellenabschied nach Las Vegas geflogen.
Alexander, Davids Bruder, liebte seine Laura. Sie war offenbar wunderschön und klug und er konnte es kaum abwarten. 
Und obwohl Alexander nett war, wäre er nicht der Mann den ich heiraten wollte. Er war attraktiv und ebenso gut erzogen, wie sein Bruder. 

Aber David war Anders. Irgendwie blieb er mehr im Hintergrund. Beobachtete. Er brauchte keine Bestätigung. Er griff ein, wenn es nötig war. Ansonsten war er für jeden Spaß zu haben.
Wieder sah ich ihn an, wandte meinen Blick von einem Bruder zum Anderen. Sein Blick, Davids, ruhte in der Runde. Als er meinen Blick bemerkte lächelte er. „Auf was würdest du setzen?" Fragte er und blickte auf den Tisch. Die Würfel klapperten in den Händen des Keepers.

„Schwarz." Flüsterte ich, nicht sicher, ob das die Richtige Antwort war. „Schwarz?" Fragte er mich zurück. Während die Gruppe hinter uns lachte, sahen wir uns an. Ich nickte sachte. 

„Ich kenne keine Frau, die auf schwarz setzen würde." Erklärte er, wandte sich um und sagte: „Alles auf schwarz." Dann grinste er mich wieder an. „Mal sehen wie gut dein Instinkt ist." Ich hoffte er war sehr gut.

Die Würfel schienen ewig durch die Luft zu wirbeln. „Gerade ist rot, ungerade ist schwarz." Erklärte er aufgeregt. Das Klappern der Würfel an der Wand des Tisches brachte ihn zum Schweigen. Die Würfel blieben liegen. „Sieben!" Rief der Keeper aus und lächelte uns entgegen.

Immer noch lächelnd schob er uns die Chips entgegen. Wir hatten gewonnen. Fassungslos blickte ich den Batzen an. David erhob sich und grinste übers ganze Gesicht. „Scheint als wäre dein Instinkt ausgesprochen gut." Ja damit hatte er wohl Recht. Er bestellte einen weiteren Drink und stieß mit mir an. Wo der Rest der Gruppe war, wusste ich nicht mehr genau.
„Noch eine Runde?" Fragte er und klapperte mit den bunten Chips. „Soll man nicht aufhören wenn es am schönsten ist?" 

***

Das Klopfen fühlte sich leer an. Mein Herz raste und am liebsten wäre ich einfach wieder gegangen. Doch schon öffnete meine Mutter überschwänglich die Tür.
„Maja." Rief sie, als wäre ich das verlorene Stück ihrer Seele. „Mama." Begrüßte ich sie mit einer leichten Umarmung.
„Bist du gestresst?" Fragte sie mich sofort. Verwirrt hob ich die Augenbrauen. „Du weißt doch, wenn du im Stress bist, dann isst du immer so viel." Beinahe hätte ich gezuckt. Punkt versenkt würde ich sagen. Danke Mama!
Ich sagte nichts dazu. Es war einfacher nichts zu sagen, als zu diskutieren. „Das Essen ist bereits fertig. Geh schon mal ins Esszimmer." Nickend folgte ich ihrem Befehl. Ich zögerte, weil ich daran dachte sie zu fragen, ob sie Hilfe benötigte, doch ich fragte nicht. Man konnte es ihr nur schwer recht machen und ich war für eine weitere Tirade, darüber wie nutzlos ich war, nicht bereit.
Langsam trat ich aus dem langen Flur des dreistöckigen Einfamilienhauses in das große Wohnzimmer. Es lag direkt am Ende des Flurs. In einem Sessel neben dem Kamin der natürlich nicht brannte bei den sommerlichen Temperaturen saß mein Vater und blätterte in einer Zeitung.
Die Terrassentür stand offen und eine leichte Briese wehte ins Zimmer. Der Garten erstrahlte hinter der Glasfront in den hellsten Grüntönen. Es war wunderschön und perfekt, wie immer. Alles war wunderschön und perfekt, wie immer.
Papa blickte auf, als er mich im Türrahmen stehen sah und lächelte. Elegant erhob er sich, faltete seine Zeitung zusammen und kam auf mich zu. „Maja." Sagte er sanft. Er umarmte mich und küsste mich auf die Stirn.
Ich vermisste es, doch gleichzeitig machte ich mich darauf gefasst, dass gleich ein Spruch aus der Küche kam. Ich konnte nie verstehen, wie mein Vater sich hatte für meine Mutter entscheiden können.
„Viktoria." Rief meine Mutter aus der Küche. Ich lächelte. Seit Monaten hatte ich meine kleine Schwester nicht mehr gesehen. Sie wurde schnell erwachsen. Trippelnd kam sie die Treppe herunter, lief den Flur entlang und kam im Wohnzimmer zum Stehen.
„Maja." Rief sie freudig. Stürmisch rannte sie auf mich zu und schlang ihre Arme um mich. Sie ging mir gerade bis zur Schulter, besaß allerdings ein Herz das größer als dieses Haus war.
„Lasst uns essen." Sagte Mama und stellte die letzte Schüssel auf den großen Tisch. Fünf Gedecke standen darauf. Wir hatten alle unseren Platz eingeteilt. Ich setzte mich auf meinen Platz, an der rechten Seite des Tisches. Mein Vater saß am Kopf des Tisches, ihm gegenüber meine Mutter. Neben meiner Mutter an der Seite des Tisches saß ich. Mir gegenüber saß Vicky, die sich nun auf ihren Stuhl schob und freudig lächelte. Neben ihr saß, normalerweise, Vincent. „Wo ist Vin?" Hakte ich nach, doch meine Mutter schnaubte nur. Sie reagierte immer so, wenn sie wütend oder enttäuscht war. Leider war sie das andauernd. „Ist er oben?" Fragte ich weiter. Vicky wollte etwas sagen, doch Mama schüttelte den Kopf.
„Wir wissen nicht wo er steckt." Erbarmte sich mein Vater zu sagen. „Wie ihr wisst nicht wo er steckt?" Verwirrt blickte ich zwischen Mama und Papa hin und her.
„Er hat seine Tasche gepackt und ist gegangen. Ich habe ihn nicht aufgehalten." Brachte meine Mutter gereizt raus. „Jetzt lasst uns essen, schließlich kommst du nur alle paar Monate mal zum Essen." Es war perfekt um noch mal kurz einen Vorwurf in die Runde zu schmeißen.
„Das wird sich vielleicht ändern. Ich bin gerade letzte Woche wieder hergezogen." Erklärte ich, dachte eigentlich diese Information hätte Vince ihnen übermittelt. Doch der war ja nun... Got weiß wo. Und es schien den beiden nicht mal wichtig zu sein.
Vicky, die geschwiegen hatte lachte auf. „Wirklich?" Fragte sie, ihre Augen strahlten. „Ja! Wirklich!" Bestätigte ich. „So richtig echt?" Ich nickte und lachte. „Ja so richtig echt!" Bestätigte ich.
„Das sagst du uns jetzt? Nachdem du dich dazu entschlossen hast? Hättest du auch mal früher sagen können." Erklärte Mama und ich biss mir auf die Lippen. „Jetzt ist die Meute ja wieder zusammen." Lächelte mein Vater sanft. Leider wurde dieser Kommentar von dem Gedeck neben mir überschattet. Dort hatte Tobi immer gesessen.
„Es ging alles sehr schnell. Ich wohne in Neukölln." Erklärte ich, doch meine Mutter stöhnte nur. „Im Ghetto?" Ich lachte leise. „Ja. Im totalen Ghetto, Mama." So etwas Albernes.
„Und was ist jetzt mit Vincent?" Versuchte ich wieder das Thema zu wechseln. „Er scheint es nicht für nötig zu halten nachhause zu kommen. Dann kannst du ja jetzt jede Woche zum Essen kommen." Das hatte mir gerade noch gefehlt.
„Das werden wir sehen. Habt ihr versucht ihn anzurufen?" Mama verzog empört das Gesicht. „Ihr habt ihn nicht mal angerufen?" Ich war wütend. Wie konnten sie ihn nicht mal versuchen zu erreichen. Er war immerhin ihr Sohn.
Papa aß leise und auch Vicky aß. Beide zogen sprichwörtlich den Kopf ein. Sie wussten was kam. Von Vicky erwartete ich nicht viel, sie war gerade zwölf. Doch Papa hätte ruhig etwas machen können. Ich wandte mich ihm zu.
„Papa?" Fragte ich anklagend. „Ich habe ihm etwas Geld gegeben. Aber er wollte nicht zurück." Sagte er leise. „Du hast was?" Rief meine Mutter entsetzt. „Wenn er sich entscheidet auszuziehen hat er auch sein Geld zu verdienen." Rief sie.
„Er ist sechszehn." Warf ich ein. „Das hätte er sich selbst überlegen sollen." Antwortete sie prompt. Vermutlich war das eine Antwort die auf alles gepasst hätte, was ich gesagt hatte.
„Tobi habt ihr eine verdammte Wohnung finanziert." Sagte ich enttäuscht. Ich hasste es, damit anzufangen, doch ich war es Leid ihn totzuschweigen. „Das war doch etwas völlig anderes!" Ich lachte verbittert auf. „Ja weil Tobi perfekt war und weder ich noch Vincent es je sein werden." Erklärte ich, erhob mich und wollte aus dem Raum. Heute war einer der Tage an denen machte mich meine Mutter krank.
„Das habe ich nie gesagt." Ich hielt inne. Das stimmte. Sie hatte uns nie gesagt dass wir nicht perfekt waren. Allerdings hat sie uns auch nie gesagt, dass wir es sind. Sie hat uns nicht einmal das Gefühl gegeben, das wir etwas richtig gemacht hatten.
„Du musstest es nicht sagen. Es war schlimm als er da war, doch jetzt wo er weg ist, ist es schlimmer geworden. Und du wunderst dich, warum ich so selten vorbeikomme? Ich bin nur froh, dass ich die Chance hatte auszuziehen."
Meine Mutter starrte mich an. Ich wusste, dass dies unter der Gürtellinie war. Ich war verletzend geworden. Ich war ohne es zu wollen wie Mama geworden.
Kurz schloss ich die Augen. Dann stand Mama auf. Sie würde nicht vor mir oder Vicky weinen, doch ich wusste, dass es sie verletzt hatte. Jedes Mal wenn ich nur Tobi erwähnte machte sie dicht.
„Es tut mir leid." Sagte ich, doch Mama war schon aus der Tür. „Es tut mir leid." Wiederholte ich mich und ließ mich auf den Stuhl zurück fallen. „Er ist sechzehn." Erklärte ich mich. „Er ist mein kleiner Bruder!"

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