36

153 14 0
                                    

Es war kurz vor halb zwei, als die Tür aufging und eine Schwester hereinkam. Beruhigend lächelte sie, doch ich sparte es mir aufzustehen und sie, zum wahrscheinlich fünfzigsten Mal, zu fragen, ob sie etwas Neues wusste.
Vicky schlief auf einer kleinen Bank, die wenig bequem aussah. Vince hatte seinen Kopf auf die Hände gestützt, die Ellenbogen auf die Knie gelegt.
Meine Mutter stöckelte unaufhörlich mit ihren Schuhen durch den Raum und machte mich nervöser als ich es eh schon war.
Selly, die ich angerufen hatte, als ich das erste Mal Zeit gefunden hatte, saß nun neben mir und hielt meine Hand. Eine Geste, für die ich sehr dankbar war. Sie war mein Fels.
Nachdem mein Vater ein Herzinfarkt erlitten hatte, wurde im Krankenhaus festgestellt, dass eine der Wände seines Herzens, so porös war, dass sich ein Riss gebildet hatte. Er musste dringend operiert werden. Ich hatte nicht geglaubt, dass es wirklich so lange dauern konnte, doch das tat es. Es dauerte so lange und die Zeit verging einfach nicht. Alles was ich dachte war, wie wohl Toby damit umgehen würde. Er war Arzt, somit hätte er vermutlich genau gewusst welche Risiken bestanden. Er hätte alles haargenau erklärt. Er wäre ruhig geblieben und hätte erzählt, dass die Ärzte alles taten, was in ihrer Macht stand. Dann hätte er einen Witz darüber gemacht, dass wir Papa bestimmt nicht so leicht loswerden würde, auch wenn wir das gerne hätten.
Alle von uns hätten betroffen gelacht, oder jedenfalls gelächelt. Die Spannung wäre abgefallen, wenigstens ein Teil.
Nervös sah ich meiner Mutter dabei zu, wie sie hin und her lief. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, sie solle sich setzen, doch ich wusste, dass sie das brauchte um sich zu beruhigen. Das hatte sie bei Toby auch getan. Sie hatte gar nicht mehr damit aufgehört. Und seit dem Tag war sie immer in Bewegung. Selbst wenn sie am Tisch saß, hatte sie nie Ruhe.
„Will einer von euch etwas zu trinken?" Fragte ich plötzlich. Selly wollte etwas sagen, doch sie wollte eh nur fragen, ob sie gehen soll, doch ich musste hier raus. Dieser Raum erdrückte mich. „Ich gehe. Ich muss mal raus." Während Vicky immer noch Schlief, Vince verneint hatte, blieb nur noch Mama, doch sie reagierte nicht auf mich. Ich beschloss sie in Ruhe zu lassen und ihr einfach einen Tee zu besorgen. Wenn sie ihn dann nicht wollte, war das auch in Ordnung.
Also verließ ich den kleinen, leeren Warteraum und trat auf den ruhigen Flur. Ich hatte geglaubt, dass es hier belebter wäre, doch das war es nicht. Es war ruhig und das machte mir Angst. Es war zu ruhig. Etwas Hektik hätte mich beruhigt. Hätte mir das Gefühl gegeben, das Leben ginge weiter und dies wäre nicht die Ruhe vor dem Sturm.
Der Getränkeautomat, stand direkt neben den Fahrstühlen. Gerade als ich um die Ecke bog blieb ich abrupt stehen.
Ich konnte sehen, wie er sich über die Augen strich und sich dann einmal durch die seidigen Haare fuhr. Als er den Kopf hob, erkannte ich dunkle Augenringe und fahle Haut, aus denen seine, sonst so strahlenden, Augen müde hervorblickten. Mein Herz flatterte leicht. Er sah nicht gut aus.
Als er mich allerdings erkannte, schien er schlagartig wacher zu werden. Er stand ruckartig auf. Er hatte auf einem Stuhl im Flur gesessen. Warum war er hier? Meinetwegen. Zögernd trat er einen Schritt auf mich zu. Blieb dann aber stehen.
„Hallo." Hauchte er leise. Ich hatte Mühe ihn zu verstehen. Seine Stimme klang kaum noch nach ihm. Er klang müde. Irgendwie völlig fertig. Was war passiert?
Meine Wut verrauchte. Sofort machte ich mir Sorgen um ihn. Am liebsten hätte ich mir selbst einen Tritt dafür gegeben, doch ich konnte es nicht ändern.
„Was ist los?" Meine Stimme klang kalt und fremd. David sah mich ungläubig an. Ich schien ihn zu verwirren. „Sag du es mir." Flüsterte er. Er kam einen Schritt näher.
„Was machst du hier?" Änderte ich die Frage. Es war verwirrend ihn zu sehen, doch Alexander hatte Recht. Irgendetwas stimmte nicht. „Du siehst fertig aus." Stellte ich fest, da er nicht antwortete.
Wie lange hatte er hier gesessen? Die kalten Klappstühle sahen nicht bequem aus. Allerdings waren die Stühle im Wartezimmer ebenso unbequem. Egal wie sie aussahen.
„Wann hast du das letzte Mal geschlafen?" Fragte ich wieder, doch er sah mich nur an, schien dabei aber durch mich hindurch zu sehen. „David!" Er schrak hoch. „Weiß nicht. Vor einer Woche?" Ich nickte, als wäre es in Ordnung, doch das war es nicht. Er sah aus als würde er gleich umfallen. Er sah krank und erschöpf aus. Und er konnte mir nicht mal mehr richtig zuhören.
War es Zufall, dass er ausgerechnet dann aufhörte zu schlafen, als wir es endgültig beendet hatten?
„Warum bist du hier?" Meine Stimme wurde fester. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass ich froh, war das er da war. Ich war froh dass er da war, auch wenn es völlig unangebracht war. Ich hätte sauer sein sollen. Oder es hätte mir egal sein sollen. Er war verlobt. Immer wieder versuchte ich mir das zu sagen.
„Ich wollte dich unterstützen." Erklärte er. Wie er das tun wollte, von hier draußen? Wenn ich nicht hinausgekommen wäre, hätte ich vermutlich nicht bemerkt, dass er da war. „Aber ich wusste nicht, ob das in Ordnung ist. Du hast so Ernst gewirkt, als wir..." Er brach ab. Ich wusste, wovon er sprach.
„Als Freund, bist du mir immer willkommen." Rang ich mir heraus. So eine Lüge. David wusste das. Sein verbittertes Lachen, bestätigte es. „Du hast treffend festgestellt, dass wir keine Freunde sein können." Das hatte ich tatsächlich. Doch jetzt gerade konnte ich jeden Freund brauchen, der mir über den Weg lief. 

Welcome to VegasWhere stories live. Discover now