2| Man trifft sich immer zweimal im Leben

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»Und du kennst ihn wirklich nicht?«, fragt mich Novalie, meine beste Freundin, zum zigsten Mal an diesem Tag. Ich habe ihr von dem Vorfall mit dem mysteriösen Typen erzählt und seitdem gibt sie keine Ruhe. »Nein.« Sie nickt und schaut sich ihre Blätter nochmal an. »Ich glaube Mr. Whittemore wird mich heute abfragen«, brummt sie genervt. Schmunzelnd greife ich nach dem Englisch Buch in meinem Spind. »Gelernt hast du sowieso nicht«, stelle ich fest und stecke das Buch in meinen Rucksack. Sie nickt nur abwesend, scheint mir gar nicht zuzuhören, da ihr Blick auf ihre Notizen gerichtet ist. Nova ist die Art von Mensch, die erst am Tag der Abfrage anfängt dafür zu lernen. Und dann fragt sie sich jedes Mal, warum die Abfragen schlecht laufen. Woran das wohl liegen mag.

Um sie ein wenig zu ärgern, zeige ich auf irgendeine Person hinter ihr. »Oh mein Gott, da ist Parker«, flüstere ich gespielt hektisch und rüttele an ihrem Arm, weswegen ich ihre volle Aufmerksamkeit bekommen habe. Parker ist ihr Kindheitsschwarm aus der siebten Klasse. Sie hat noch nie ein Wort mit ihm gewechselt oder irgendeine Interaktion mit ihm gehabt. Trotzdem glaubt sie fest daran, dass sie eines Tages heiraten werden. »Wo?«, haucht sie und leckt sich gierig über die Lippen, während ihr Blick in die Richtung schweift, wo mein Finger zuvor gezeigt hat. »Nirgendswo.« Langsam dreht sie ihren Kopf zu mir, starrt mich dabei für eine Sekunde an, ehe sie mir ihre Blätter gegen den Kopf wirft. »Das ist nicht witzig, du Arschlocke«, schimpft sie. Ich lache leise und hebe ihre Blätter vom Boden auf. 

»Arschlocke?«, hacke ich nach, da sie mich zum ersten Mal so nennt. »Ja, Arschlocke. Du hast Locken, bestimmt sind deine Arschhaare auch lockig. Deswegen Arschlocke.« Ich pruste los und halte mich an ihr fest, da ich mein Gleichgewicht verloren habe. Ich muss sagen, der Spitzname ist gar nicht mal so schlecht. Der Titel des Spitznamen Meisters gehört jedoch trotzdem mir, da keiner an meine Kreativität rankommt. Nenn es Fantasie oder geistige Einschränkung, aber meine Spitznamen sind klasse. »Was haben wir jetzt?«, frage ich, nachdem ich mich wieder beruhigen konnte. »Englisch«, murrt sie und lehnt ihren Kopf gegen mein Spind. Ich wollte mich gerade über ihre Situation belustigen, als eine mir sehr bekannte Stimme durch den Schulflur hallt.   

»Sommersprosse!«, ertönt es laut aus dem Flur, weshalb sich jeder fragend in die Richtung dreht. Plötzlich wurde es ganz still. Langsam drehe ich mich um und erkenne den Kerl von gestern. Innerlich schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Zuerst werde ich beim Heimweg begleitet und jetzt steht er im Flur meiner Schule. Stalkt er mich etwa?

»Wen meint er?«, fragt mich Nova ganz aufgeregt. »Kennst du ihn?« Die Frage ist mir spontan eingefallen, da ihn jeder mit einem gewissen Blick anstarrt. »Du machst Witze, oder? Das ist Livian Manchester!« Sie rüttelt an meinem Arm und blickt ihn gierig an. Livian Manchester also. Sein Name ist genauso heiß wie er. Verdammt.

»Da ist sie ja!«, trällert er. Grinsend läuft er auf mich zu und streicht sich dabei über die Haare, was ziemlich gut aussieht. Diese Gedanken sind nicht mehr normal. Ich schließe meine Augen um mich zu beruhigen, schrecke jedoch auf, als er keine Sekunde später vor mir steht.

Einige fangen an zu tuscheln, die anderen schauen einfach nur interessiert zu ihm. »Aviola, du kennst ihn?« Fassungslos schlage ich auf ihren Arm. Na toll, jetzt weiß er meinen Namen. »Man sieht sich also immer zweimal im Leben«, gluckst er und grinst schelmisch. »Wir sind uns nur zufällig begegnet.« Gespielt verletzt hält er sich die Hand vor sein Herz. »Du schuldest mir einen Gefallen.« Verwirrt sah ich in seine faszinierenden Augen. »Was willst du von mir?« Sein Grinsen wurde breiter, was mich verwirrt die Augenbrauen runzeln lässt.

Mein Blick fällt auf Nova, die mit offenem Mund abwechselnd erst zu mir und dann zu Livian starrt. Und plötzlich macht es klick. »Du bist so hormongesteuert!«, zische ich und schlage ihm auf seine Brust, was ihn auflachen lässt. Abwehrend hebt er seine Hände in die Luft. »Hör auf mir diese Vorlagen zu geben, da kann ich nicht anders«, lacht er und streicht sich durch sein weich aussehendes Haar. Ich verdrehe die Augen und schultere meine Tasche. »Was für ein Gefallen?«, frage ich nebenbei und sehe mich im Flur um, in der Hoffnung dass sich dieses Szenario gerade niemand anschaut. Ich kann jetzt wirklich keine neuen Gerüchte gebrauchen.

»Das überlege ich mir noch, Aviola«, grinst er und betont meinen Namen extra lang. »Viel Spaß beim Überlegen, Livian.« Ich nehme Novas Hand in meine und zerre sie in unseren nächsten Kurs. Baff folgt sie mir einfach. Ich weiß jetzt schon, dass sie mich mit Fragen bombardieren wird. Wir setzen uns auf unsere Plätze und holen unsere Sachen raus. »Na los«, seufze ich und lege den Kopf auf meine Hand. Als hätte sie die letzten zwei Minuten nur darauf gewartet, dreht sie ihren Körper rasch zu mir um und sieht mich mit großen Augen an. »Woher kennst du ihn?«

»Das ist der Typ von gestern gewesen«, sage ich und trommle mit den Fingern auf dem Tisch. »Oh Gott«, flüstert sie und senkt ihren Blick auf ihre Stifte. »Was ist los?« Ihr Verhalten macht mich stutzig. »Nun ja..«, sagt sie zögernd, »er ist nicht gerade der Kerl, der eine weiße Weste trägt.« Ich nicke und sehe sie neugierig an. »Geht er hier auch auf die Schule?«

Tatsächlich bin ich schon seit vier Jahren auf dieser Schule, aber mir Gesichter zu merken, geschweige denn Namen zu merken, stand nie auf meiner Liste. Sie sieht sich prüfend um, als würde sie mir geheime Codes für ein nukleares Waffenarsenal geben, ehe sie anfängt zu flüstern. »Ja, er soll angeblich einen Schüler krankenhausreif geprügelt haben.« Ich verschränke nachdenklich die Arme vor der Brust. Er soll also jemanden ins Krankenhaus befördert haben? 

»Weiß man auch weshalb er das getan hat? Vielleicht hatte er ja seine Gründe«, sage ich schulterzuckend. Sie verneint es. »Ich möchte nicht urteilen, bevor ich die Geschichte nicht selbst gehört habe.« Sie nickt und holt ihre Englisch Hefte raus. Wie aufs Stichwort kommt unser Lehrer Mr. Whittemore in den Raum gelatscht. Ja, gelatscht, weil sein Gang den eines Pinguins ähnelt. »Ms. Jackson an die Tafel«, murrt er und stellt seine Tasche auf den Pult ab. Nova seufzt genervt und steht von ihrem Stuhl auf. »Verdammte Scheiße, ich wusste es.« Schmunzelnd schlage ich ihr auf den Oberarm und strecke meine zwei Daumen in die Luft. »Ich hoffe du verkackst«, gluckse ich.

Sie verdreht die Augen und zieht an einer Locke von mir. »Ich werde dich mit deinen Haaren umbringen, Arschlocke.« Ich lache leise und schubse sie nach vorne, da Mr. Whittemore ziemlich angepisst aussieht. »Ms. Jackson, ich habe nicht die ganze Stunde Zeit. Sind Sie etwa schon so alt wie ich, dass sie sich so viel Zeit beim Herlaufen lassen?«, fragt er sichtlich genervt von ihr. »Keine Sorge, alter Mann. Noch stehe ich nicht mit einem Bein im Grab«, murrt sie leise und schlendert nach vorne.

Ich lache laut auf und halte mir sofort die Hand vor den Mund, als er mich warnend ansieht. »Sorry«, murmel ich leise und grinse vor mich hin. Während ihrer Abfrage sieht sie mich öfters flehend an, da sie die Antworten auf seine Fragen nicht weiß. Ich habe versucht, ihr während der Abfrage meine neuen Handzeichen beizubringen, die sie nur noch mehr verwirrt haben und sie nach zehn Minuten auf ihr Platz geschickt wurde, mit der Aussage, es wäre mit Abstand seine schlechteste Abfrage seit vierundvierzig Jahren gewesen. 

• • •

»Das war ziemlich asozial von dir«, sagt Nova und schlägt mir auf den Kopf. »Aua!«, fauche ich und reibe an der betroffenen Stelle. »Es ist nicht meine Schuld, wenn du nie für deine Abfragen lernst«, brumme ich und schmolle über ihren absolut unberechtigten Schlag von vorhin. Sie grinst nur vor sich hin und sieht geradeaus zu Aaron, der auf uns zuläuft. »Ladys«, begrüßt er uns und wuschelt mir durch die Haare, während er seinen Arm um Nova legt. »Kanalratte«, zische ich grinsend und richte meine Haare. »Wenn ich 'ne Kanalratte bin, dann bist du die Kanalisation«, sagt er eingebildet und wirft seine imaginären Haare nach hinten. »Deine armen Eltern«, ertönt es von Nova, die bedauernd seinen Arm streichelt. Er verdreht die Augen, führt seinen Daumen und Mittelfinger zusammen, ehe er seine Hand auf ihre Stirn legt und mit dem Mittelfinger zuschlägt.

»Warum sind alle so gewalttätig heute?«, bemerke ich verwirrt und stecke meine Hände in meine Kapuzenjacke. Sie zucken beide mit den Schultern und zusammen laufen wir aus der Schule raus. Natürlich konnte es sich Aaron nicht verkneifen, mich gegen die Tür zu schubsen. »Ich bringe dich um!«, schreie ich und renne ihm hinterher. Nach zehn Sekunden höre ich wieder auf zu rennen und lege meine Arme auf meine Oberschenkel ab, um mich zu stützen. »Hör auf zu rennen, du Feigling«, rufe ich keuchend. Das waren eindeutig zu viele Meter. Nova überholt mich einfach und dreht sich lächelnd zu mir um. »Das waren nicht mal fünfzehn Meter«. Belustigt hebt sie ihre Augenbrauen und hakt ihren Arm bei mir ein. 

Wahrscheinlich denkt Aaron immer noch, dass ich ihm hinterher renne, denn er sprintet immer noch durch den Schulhof und spricht lautstark mit sich selber. Was für ein Idiot.



Weird LoveWhere stories live. Discover now