Unsicher bewegte Jessica sich im bergigen Gelände und verwünschte den Umstand, dass es mögliche Dämonen ausgerechnet an einen so unwirtlichen Ort verschlagen hatte.
Zwar bedeuteten sie hier oben sicherlich ein weitaus geringeres Risiko als unten im Tal, schließlich verirrten sich wohl nur vereinzelt Bergsteiger oder Wanderer in diese Gegend.
Aber der noch immer matschige Boden, auf dem vor kurzem noch Schneemassen gelegen hatten, würde ihnen einen möglichen Kampf sehr erschweren oder gar fast unmöglich machen.
„Wie sollen wir das schaffen? Das wird wirklich sehr schwer....,“ dachte sie missmutig und begann in ihrem Kopf bereits mögliche Pläne zu entwerfen, wie sie einen Dämon ins Tal oder zumindest auf den Wanderweg locken konnten.
„Also als Köder anbieten und dann vor ihm fort laufen können wir nicht. Wahrscheinlich kann das Ding sich im Gegensatz zu uns sehr gut hier oben bewegen,“ dachte die junge Frau und warf einen Blick ins Tal hinab.
„Wären wir nicht aus dämonischen Gründen hier, dann könnte es fast schon....sehr schön sein.“
Sie seufzte und wünschte sich, nicht zum ersten Mal, einfach nur eine junge Urlauberin zu sein, die ein paar Ferientage in Österreich verbrachte und sie wusste, dass es ihrem jüngeren Bruder, der direkt hinter ihr her stapfte, ganz ähnlich erging.
„Andy...ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie besorgt, aber er nickte fast schon grimmig,was sie bemerkte, als sie sich zu ihm umdrehte.
„Ja, es geht mir gut. Warum auch nicht? Die Vöglein zwitschern, die Sonne scheint, wir befinden uns auf einem wunderschönen Ausflug in die Berge und treffen gleich auf Dämonen! Bis auf den letzten Punkt ist doch alles perfekt. Und, nicht zu vergessen, ich muss nicht in die Schule gehen! Was will man denn mehr vom Leben? Also mir fällt da auf Anhieb wirklich nichts ein!“
„Andy, das ist nicht komisch!“, widersprach Anita, die Andy schnaufend folgte und sich des öfteren lautstark über die schlechten Wegverhältnisse beklagte.
Zu ihrem großen Bedauern achtete niemand wirklich auf sie, was sie aber nicht dazu bewegen konnte, ihre Klagen einzustellen. Schließlich ging es hier um ihre Füße...
„Ob Anita überhaupt einmal ernst sein kann?“, fragte Jessica sich, nicht das erste Mal, in Anbetracht der Dinge, über die ihre Freundin sich aufregte oder die ihr, im Gegensatz zu anderen, nicht einmal ein müdes Lächeln auf die Lippen zauberte.
Aber Anita war nun einmal Anita und man musste sie so nehmen, wie sie war.
Schließlich erreichten sie die Stelle, an der sie das Feuer in der Nacht zuvor beobachtet hatten.
Die Umgebung wirkte wie nach einem Meteoriteneinschlag. Jessica hatte in einem Fernsehbeitrag einmal eine ähnliche Gegend gesehen.
In einem Radius von mehreren Metern wuchsen weder Bäume noch Gras. Lediglich der steinige Felsboden war zu sehen....und was sich dort befand, jagte Jessica einen Schauer nach dem anderen über den Rücken....
Eine riesige Fratze, die aus der Ferne wie eine etwas merkwürdige Felsformation wirken musste, lugte aus dem Boden hervor....
„Diese Felsen dort sehen ja aus wie spitze Zähne,“ wisperte Christine und machte einen Schritt zurück.
„Das ist...unheimlich. Wie soll man das denn besiegen? Es besteht doch nur aus Kopf. Das kann man nicht enthaupten!“
„Nein, kann man wirklich nicht,“ murmelte Felix und fühlte sich ebenfalls sehr unsicher in seiner Haut.
„Es wird bald dunkel werden!“, stellte Christian fest. „Dann wird das Ding bestimmt zum Leben erwachen. Und dann dürfte es wirklich hässlich werden!“
„Vielleicht müssen wir irgendwie diesen dicken Felsen dort unten durchschneiden! Dort müsste sein Hals sein, wenn er denn einen hätte!“, vermutete Jessica und deutete auf ein Stück Felsen. In der Tat konnte es sehr gut als Halsband oder Hals durchgehen, wenn man ein wenig Fantasie besaß.
„Na gut, dann werden wir das mal versuchen...vielleicht sollten wir uns jetzt schon dort hinstellen. Jeder, der ein Schwert hat, hackte drauf los, sobald es dunkel wird und das Ding zum Leben erwacht!“, schlug Andy zu Jessicas Überraschung vor und er schüttelte schuldbewusst den Kopf. „Ich rede Unsinn, ich weiß!“
„Nein, machst du nicht!“, antwortete Jessica. „Die Idee ist gar nicht mal so schlecht und etwas Besseres fällt mir auf die Schnelle auch nicht ein!“
Sie seufzte. „Schade, dass man diese Dämonen nicht während des Tages in kleine Streifen schneiden kann. Aber sie müssen erst erwachen, ehe man sie mit den Waffen verletzen oder besiegen kann!“
Die Nacht hüllte die Berge ein und lediglich der Schein der Taschenlampen, die die „Wanderer“ glücklicherweise mitgenommen hatten, erhellte den unheimlichen Platz, an dem sich der riesige Dämon befand.
Jessica, Christine und Felix hatten sich an seinem Hals nieder gelassen und hielten die Waffen in den Händen, die Waffen, die für die Dämonenjagd geeignet waren....
Die anderen würden versuchen, den Dämon am anderen Ende abzulenken und sie wollten sich vor allem von seinem großen Maul fern halten, das wie ein harmloser, größerer Steinspalt aussah....
Anita zitterte in der Kälte, hielt aber tapfer den Mund und widerstand dem Drang, ihren Freund darum zu bitten, ihr ihre Jacke zu überreichen...
„Wir hätten auch ein Schwert nehmen sollen,“ sagte Christian nach einer Weile. „Falls der Dämon hier Schwierigkeiten macht, dann brauchen wir doch auch etwas, womit wir uns ein wenig wehren können!“
„Stimmt...aber da unten kann man es wahrscheinlich am effektivsten einsetzen,“ antwortete Anita und gähnte. „Ich bin müde!“
„Sind wir auch!“, erwiderte Andy mit leiser Stimme. „Sogar sehr müde....“
„Alles in Ordnung, Kleiner?“, erkundigte sich Anita mit einem Mal besorgt und sie vergaß sogar, in der nächtlichen Kälte zu zittern.
„Nein, es ist gar nichts in Ordnung,“ begann Andy, als ein lautes Dröhnen, das tief aus der Erde zu kommen schien, erklang.
„Was ist das?“, fragte Anita unsicher und klammerte sich an Dieters Arm, während Andy auf den Felsen, der im Schein der Taschenlampen da lag, deutete. „Das Ding wird lebendig...
Zwei runde Löcher, die sich neben einem Hügel, der wohl eine Art Nase darstellen sollte, befanden, begannen rot zu leuchten und leichter Nebel begann, von den Berghängen herab zu wabbern.
„Auch das noch,“ murmelte Christian, als eine dumpfe Stimme erklang. „So viele Seelen! Ihr ward dumm, hierher zu kommen! Ihr werdet alle sterben!“
„Das glaube ich nicht!“, rief Jessica und schlug mit ihrem Schwert nach dem vermeintlichen Hals des steinernen Gesichts. Ein dumpfer Aufschrei erklang. „Ihr wagt es?“
„Ja, wagen wir!“, sagte Felix und unterstützte die noch immer auf den Hals des Dämons einschlagende Jessica, aber dann erklang ein Schrei, denn Anita taumelte auf das steinerne Gesicht, auf das geöffnete Maul, zu.
„Er ruft mich zu sich!“, schrie sie angstvoll und ein Lachen erklang. „Ich werde sie töten...und euch auch!“
„Nicht ablenken lassen, weiter schlagen!“, schrie Jessica Felix und Christine an.
Letztere hatte sich gebückt und sie säbelte mit aller Kraft mit ihrem Dolch am Hals des Wesens herum.
„Wir müssen das hin bekommen!“, rief sie Felix zu, während Andy nun ebenfalls auf das Gesicht des Dämons lief und Jessica sich fragte, ob auch er gerufen wurde.
Aber Andy wurde nicht durch den Dämon gerufen, er wollte Anita daran hindern, noch näher an den Mund des Dämons, den dieser nun aufriss und eine Reihe scharfer Zähne enthüllte, zu zulaufen.
Er packte sie am Arm, aber sie versuchte ihn abzuschütteln und versetzte ihm schließlich sogar einen Stoß, der ihn zu Boden fallen ließ.
Nun kamen ihm Dieter und Christian zur Hilfe, auch sie packten die strampelende Anita, während Dieter gleichzeitig kleinere Steine nach den unheimlich leuchtenden Augen des Dämons warf und sogar einmal traf.
Nun endlich war es Jessica, Felix und Christine gelungen, den steinernen Hals des Dämons zu durchtrennen....und er stieß einen lauten Schrei aus, der die Menschen in seiner Nähe zu Boden gehen ließ.
Sie pressten die Hände auf die Ohren und hofften, nicht taub zu werden....
Doch dann herrschte mit einem Mal eine himmliche Ruhe und der unheimliche Felsen begann, in mehrere Teile zu zerbröckeln.
„Wir müssen hier runter!“, brüllte Christian und zog Anita hinter sich her, während ihm die anderen folgten, so schnell sie konnten.
Im letzten Augenblick gelang es ihnen, den steinigen „Dämonenboden“ zu verlassen, als dieser als kleine Steinlawine abging und mehrere blaue Lichter aufstiegen....
„Immer wieder ein schöner Anblick,“ murmelte Jessica und wandte sich an Andy, der ein wenig verloren hinter den anderen stand.
„Du hattest die Idee, es am Hals zu versuchen. Und du hast Anita geholfen...gut gemacht!“
Andy zuckte die Achseln, schien den Worten seiner Schwester aber nicht wirklich zu glauben. „Meinst du das ernst?“
„Ja, meine ich!“, sagte Jessica. „Das war gut!“