Die Ritter der Krone โ€’ Der ne...

By spaceseokie

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โBis in den Tod.โž ๐ƒ๐š๐ฌ ๐‰๐š๐ก๐ซ ๐Ÿ๐Ÿ“๐Ÿ— ๐ฌ๐ž๐ข๐ญ ๐๐ž๐ ๐ข๐ง๐ง ๐๐ž๐ซ ๐Š๐ข๐ฆ-๐ƒ๐ฒ๐ง๐š๐ฌ๐ญ๐ข๐ž: Auch der graus... More

VORWORT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FรœNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWร–LF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FรœNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL ACHTZEHN

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By spaceseokie

DIE MATSCHIGE ERDE UNTER seinen Stiefeln gab groteske Geräusche von sich und Min Yoongi spürte, wie sich die Nässe langsam durch das Material seiner braunen Stiefel bahnte. Die Nadelbäume um ihn herum sprossen hoch hinauf in den Himmel, jeder einzelne Baum schien darum zu ringen, mit seiner Spitze am höchsten zu ragen und am meisten von der schwachen Sonne zu erhaschen, die in Dásos normalerweise schien. Am heutigen Tag hielt sich die Sonne jedoch zurück, wie auch schon in den vergangenen Tagen. Stattdessen bevölkerten dunkle Wolken den Himmel und Regen fiel unaufhörlich und ohne Nachgeben, so als würde der Himmel weinen und seine Aversion darüber kundtun, dass Min Yoongi in die Heimat seiner Familie zurückgekehrt war. Die Nadelbäume boten nur wenig Schutz vor dem prasselnden Nass und der Lord hatte sich aus dem Grund unter der schützenden Baumkrone einer einzelnen Esche gestellt, eine von wenigen Laubbäumen, die zwischen den unzähligen, immergrünen Nadelbäumen wuchs. Dennoch waren sein Umhang und Wams bereits durchnässt, seine Kapuze ebenso nass wie sein dunkles Haar und seine Extremitäten bereits verkühlt.

Den Holzfällern erging es nicht besser als ihm. Resignation zeichnete sich auf ihren wettergegerbten Gesichtern wieder, Schlamm zierte ihre Kleider und der barsche Ton zwischen ihnen wurde immer ungehaltener. Die Männer waren das Arbeiten bei dem mäßigen Wetter in Dásos gewöhnt, aber ein so bitterlicher Regen war unüblich und der aufgeweichte Boden erschwerte ihre Arbeit. Die schweren Hufe der Zugpferde, welche die Bäume aus dem Wald hinausschleppten, wirbelten den Schlamm und Morast auf, hinterließen mit Wasser gefüllte Furchen und die Tiere kamen immer wieder ins Rutschen.

Beschweren tat sich jedoch niemand. Die Holzfäller arbeiteten grimmig, aber tüchtig. Und auch die Pferde gaben unter den erschwerten Bedingungen ihr Bestes. Yoongi konnte nicht abstreiten, dass sein älterer Bruder sich gut um diesen Teil des Holzhandels in Dásos gekümmert hatte. Jede nötige Stelle war besetzt, die Holzfäller mit ihrem Lohn so weit zufrieden, dass keiner von ihnen auf die Barrikaden ging, und die Pferde für ihren Job gut ausgebildet. Umso rätselhafter war es für Yoongi, dass Kibum wie vom Erdboden verschluckt war.

Als er in Dásos angekommen war, hatte niemand so recht mit ihm sprechen wollen. Weder seine Mutter, seine ältere Schwester, noch die Holzfäller oder die Verwalter des Familiengeschäfts. Jeder hatte ihn betreten angeschwiegen und ausweichende Antworten gegeben. Niemand hatte über Kibum reden wollen, darüber, dass der Erbsohn und der Verantwortliche für den gesamten Holzhandel, den Dásos reich und berühmt gemacht hatte, verschwunden war. Es hatte einiges an Geduld und Faustschlägen benötigt, bis schließlich einer der Verwalter, ein Mann mit fleckigem, schwarzem Bart namens Go Namgun, angefangen zu reden hatte. Und was Yoongi da erfahren hatte, bereitete ihm Kopfschmerzen und bitterböse Sorgen.

Er wollte nicht glauben, dass Kibum seine Familie ohne ein Wort einfach zurückgelassen hatte, um sich abzusetzen. Sein älterer Bruder war immer schon ein Geschäftsmann gewesen, hatte das übernommen, was ihr Großvater in Dásos aufgebaut hatte, und hatte das Geschäft sogar noch erweitert. Er war ein Mann, der stehts gewusst hatte, wie man mit Gold umgeht, wie man seine Gewinne steigert, wie man seine Arbeiter verwaltete. Kibum hatte jahrelang sein Herzblut in den Holzhandel seiner Familie gesteckt und Yoongi wollte, nein er konnte nicht glauben, dass sein Bruder freiwillig gegangen war. Egal wie er es dreht und wendete, es ergab keinen Sinn. Doch die unterschlagenen Holzmengen, wie er herausgefunden hatte, sprachen für sich.

Ein kehliger Seufzer entkam Yoongi und er wandte sich von den Holzfällern ab. Er war erst wenige Male in seinem Leben in Dásos gewesen und hatte keinerlei Verbindung zum Holzhandel seiner Familie aufgebaut. Mit Kibums Abwesenheit war es jedoch nun ihm auferlegt worden, das Geschäft der Familie zu verwalten und dieser neuen Verpflichtung kam er nur widerstrebend nach. Er hatte nicht die Zeit, sich in Dásos um alles zu kümmern und zeitgleich seinen Verpflichtungen am Königshof und gegenüber Seokjin nachzukommen. Als Leiter des Familiengeschäfts musste er vor Ort sein und es lagen zu viel Strecke zwischen Dásos und Sabora. Dabei war es gerade — ausgerechnet jetzt, wenn der kirinische Prinz in Sabora residierte — umso wichtiger, dass er an Seokjins Seite stehen sollte. Der König sollte nicht ohne seinen engsten Berater solche Verhandlungen führen. Es schickte sich nicht, es war riskant und es warf ein schlechtes Bild auf sie. Ein König ohne eine rechte Hand war angreifbar, zeigte Schwäche. Sein Herz brannte schmerzhaft bei dem Gedanken daran, dass er Seokjin im Stich gelassen hatte. Und auch wenn er es niemals laut ausgesprochen hätte, zweifelte Yoongi an seiner Entscheidung, nach Dásos gereist zu sein.

Er wusste, dass seine Familie das Wichtigste für ihn sein musste. Doch seine Mutter war tot, sein Bruder spurlos verschwunden, seine Schwester kannte er kaum, so hatten sie ihr ganzes Leben getrennt voneinander verbracht — und das Familiengeschäft interessierte ihn nicht. Das einzige, was ihn mit Dásos und dem Sitz seiner Familie verband, war sein Familienname. Er hatte seine Schwester nicht im Stich lassen-, hatte nicht riskieren wollen, dass das Familiengeschäft sich ruinierte.

Nun war er hier, aber er hatte unentwegt das Gefühl, sich am falschen Ort zu befinden.

Die Feuchtigkeit in seinen Stiefeln nahm zu, als er sich zum Gehen wandte. Seine Stute stand nicht unweit entfernt und auf ihrem Rücken machte er sich zurück auf den Rückweg nach Dásos. Seine Schwester hatte darauf bestehen wollen, dass er Wachen mitnehmen sollte, aber Yoongi hatte sich vehement dagegen ausgesprochen. Er wollte niemanden, der ihm folgte. Er fiel viel weniger auf, wenn er allein unterwegs war, viele bemerkten ihn gar nicht oder erkannten nicht, wer er war. Er war zu wenige Male in Dásos gewesen, als dass die Menschen hier wussten, wer genau er war und wie er aussah. Er war immer schon der vergessene Sohn seiner Familie gewesen, obwohl er die mit Abstand höchste Position seiner Familie bekleidete. Die Anwohner und Holzfäller von Dásos interessierten sich nicht dafür, dass er ihm weit entfernten Sabora an der Seite ihres Königs arbeitete. Für sie war er gesichtslos, ein Mysterium, viele wussten nicht einmal seinen Namen. Dabei würde er offiziell der Erbsohn sein, wenn Kibum als Tod erklärt werden würde. Er hatte angenommen, dass Kibum noch ihren jüngsten Bruder, ihren Halbbruder Hyeong-Joon legitimieren würde, aber das hatte er nie getan. Und Yoongi wollte dem kleinen Jungen, der kaum 10 Jahren zählte, nicht bereits die Bürde einer Lordschaft, einer gesamten Stadt und dem Familiengeschäft aufbürden. Wäre ihre Mutter noch am Leben, hätte er die Verantwortung an sie weitergegeben, seine Mutter war stehts eine ehrgeizige, fokussierte Frau gewesen, die sich nicht vor den Aufgaben ihres verstorbenen Gattens gedrückt hatte. Aber seine Mutter, Lady Juhee, war im vorigen Jahr ihrem langen Krankheitsweg erlegen und nun konnte sie nicht mehr die Familienpflichten erfüllen. Und allein, nur mit einigen Beratern an der Seite, wagte Yoongi es nicht, seinem kleinen Bruder all diese Last aufzubürden.

Yoongi stand vor einem gewaltigen Problem und er versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, während er sich diesem stellte.

Der Regen prasselte stärker auf ihn hinab, als er auf dem Rücken seiner Stute aus dem Wald ritt. Dásos erstreckte sich im Tal vor ihm, umringt von Waldhängen. Während auf der Seite des Waldes, aus der er kam, größtenteils Nadelbäume wuchsen, erstreckten sich auf den Hängen auf der anderen Seite von Dásos vermehrt Laubbäume, deren Kronen sich im beginnenden Herbst langsam in unzähligen Farben zu verfärben begannen. Die Hänge hinunter nach Dásos waren rutschig, aufgewühlt von den Hufen der Arbeitspferde, welche die Bäume hinab in die Stadt transportierten. Seine Stute hatte Mühe, in dem aufgewühlten Morast Halt zu finden und Yoongi entschied, es dem Tier etwas leichter zu machen und von ihrem Rücken zu steigen. Dabei versank er Knöcheltief mit seinen Stiefeln im Morast.

Es überraschte ihn nicht, als die Wachmänner am westlichen Tor der Stadt ihn nicht erkannten und ihn erst passieren ließen, als er ihnen den Siegelring seiner Familie zeigte, der seine Hand schmückte. Dásos war ganz anders als die Hauptstadt, in der er aufgewachsen war. Während in Sabora, ganz oben im Nordwesten des Königreiches, Holz rar war und die Häuser fast ausschließlich aus Stein gebaut wurden, reihte sich in Dásos ein Holzhaus an das nächste. Die Häuser und Geschäfte waren kleiner, nicht so hoch gebaut wie in Sabora, dafür mit mehr Charme erbaut und Yoongi konnte nicht abstreiten, dass ihm die Fachwerkhäuser gefielen.

Er ritt die Hauptstraße entlang, wich vereinzelt Händlern mit ihren Karren und einigen Bewohnern aus, doch der Regen scheuchte die meisten Menschen nach drinnen und so waren die Straßen erstaunlich leer. Ihm begegnete eine Patrouille aus drei Soldaten seiner Familie und er nickte den Männern zu, ehe sie an ihm vorbeizogen. Die Burg seiner Familie befand sich im Osten der Stadt und er musste noch einen Großteil von Dásos durchqueren, ehe er dort ankommen würde, doch ein kleines Etablissement erweckte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn von dem Rücken seiner Stute absteigen. Für einen Moment überkam ihm Zweifel, ob das wirklich der Laden war, den er vor all den Jahren mit seinem Vater zusammen einen Besuch abgestattet hatte, aber nachdem er Sheera draußen angebunden hatte und die Tür aufstieß, verflüchtigte sich der Zweifel so schnell, wie er ihm zuvorgekommen war.

Der Geruch nach herbem Tee versetzte ihn in der Zeit zurück. Für einen Moment fühlte er sich wieder wie ein Kind, kaum zehn Sommer zählend, an der Seite seines Vaters, bei seinem zweiten Besuch von Dásos. Es war ein kalter Wintertag gewesen, Yoongi erinnerte sich noch an den Schnee, der die Baumwipfel und Häuserdächer bedeckt hatte und daran, wie sehr er sich als Kind über den Becher brennendheißen Tee gefreut hatte, der seine frierenden Hände gewärmt hatte, als sein Vater, um mit einem seiner Verwalter zu reden, mit ihm in dem Teeladen eingekehrt war.

Nun war jedoch kein Winter, kein eisiger Wind hatte seine Hände und Nase vor Kälte gerötet, dennoch brannte ein wohlig knisterndes Feuer am Ende des kleinen Raumes.

»Einen Becher Tee, bitte«, sagte Yoongi zu dem älteren Herrn hinter dem Tresen. Der Mann hatte bereits lichtes, ergrautes Haar und seine Schultern waren nach vorn gebeugt.

»Natürlich, mein Herr«, entgegnete der Mann. Yoongi ging an ihm vorbei und setzte sich in die Nähe des Feuers, in der Hoffnung, die Wärme würde seine durchnässten Kleider trocknen. Außer ihm war es leer, es waren kaum Reisende auf den Straßen, die wohl sonst hier einkehrten. Der Mann schien ahnungslos, wer sich in seinem kleinen Teeladen niedergelassen hatte, brachte aber rasch einen dampfenden Becher nach Kräutern duftenden Tee. Als Yoongi seine Kapuze absetzte und nach dem Tee griff, fiel der trübe Blick des Mannes auf den Siegelring und ließ ihn erstarren.

»Seid Ihr etwa...«, entkam es dem alten Mann, Überraschung zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab. »MyLord, verzeiht mir, dass ich Euch nicht erkannt habe. Ich muss gestehen, es ist schon viele Jahre her. Aber es ist offensichtlich, Ihr seid Eurem Vater aus dem Gesicht geschnitten, ein wahres Abbild von Lord Min Jong-Hun.«

»Es gibt nichts zu verzeihen«, sprach Yoongi mit rauer Stimme. »Wollt Ihr Euch setzten?«

Das Angebot schien den alten Mann nicht erwartet zu haben und vor Überraschung brachte er nicht mehr als ein Nicken zustande, ehe er sich dem jungen Lord gegenüber hinsetzte.

Tiefe Furchen zierten das Gesicht des Alten und Yoongi meinte sich daran zu entsinnen, dass sein Vater einst erwähnt habe, dass der Mann ehemals als Baumfäller gearbeitet hatte, bevor er den Teeladen seines Vaters übernommen hatte.

»Sagt«, setzte Yoongi an, »Ihr habt gewiss von dem Verschwinden von meinem Bruder gehört, nicht wahr?«

Der Alte kniff seine Augen zusammen, dann nickte er. »Die Einwohner reden seit dem von nichts anderem, MyLord.«

Ein Schnauben entkam Yoongi. »Nur mit mir scheint niemand darüber sprechen zu wollen. Was wisst Ihr, alter Mann? Die Menschen, die hier einkehren und sich beim Tee unterhalten, was sagen sie über einen Bruder und sein Verschwinden?«

»Ich kann Euch nichts mit Gewissheit sagen«, sprach der Alte. »Ich weiß nicht, ob etwas dran ist.«

»Spuckt es schon aus. Was habt Ihr gehört?«

»Es ist schon einige Wochen her, Ende des Sommers. Wenn die Tage warm sind, kehren nur wenige zum Tee trinken hier ein, aber an dem besagten Abend saß hier eine Gruppe von Männern...«

Yoongi kribbelte es in den Fingern, den Alten barsch daran zu erinnern, auf den Punkt zu kommen. Aber wenn er in einem geübt war, dann seine Gedanken für sich zu behalten. Er musste den Alten reden lassen, ganz egal wie viel Geschwafel er erdulden musste, nur so würde er etwas erfahren. Und er brauchte nichts Händeringender als Informationen über Kibum.

»Ich glaube es waren vier oder fünf, ich kannte sie nicht, sie waren zuvor noch nie in meinem Laden gewesen und auch ihre Stimmen und Kleider waren fremd. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, die Männer stammten nicht aus Raellé, aber Dásos liegt nicht unmittelbar am Meer, eigentlich haben wir hier nur wenige Fremde. Hier gehen dieselben Händler ein und aus, man sieht nur selten ein neues Gesicht.«

Yoongi versuchte sich geduldig zu geben, auch wenn er dafür nicht die Zeit hatte. Anstatt den alten Mann zu unterbrechen, nickte er bekräftigend.

»Nun, ich möchte gegenüber meinen Gästen natürlich nicht aufdringlich sein, sie sollen nicht den Eindruck bekommen, ich würde ihre Gespräche belauschen. Aber MyLord, sie haben so laut gesprochen, so unbefangen, selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte dem Gespräch der Fremden nicht entgehen können. Der eine von ihnen, das war ein großer Mann, MyLord, ich habe selten so einen großen Mann gesehen, nun, der sagte etwas davon, dass sie einen wichtigen Transport überwachen würden.«

Zweifel hatten sich bereits in Yoongis Innerem geregt. Zweifel daran, etwas über Kibums Verschwinden von diesem Alten zu erfahren. Aber bei den letzten Worten des Mannes wurde sein Interesse geweckt.

»Was für ein Transport?«, hakte er nach.

»Das ist es ja, MyLord, was mir so komisch vorkam. Es waren Fremde, aber sie sprachen davon, große Mengen an Holz zu transportieren. Aber ich kenne die Männer, die unser Holz in das Königreich bringen, hinauf nach Sabora, nach Therenz und Mávros, das waren keine von denen.«

»Raellé verkauft kein Holz nach Übersee«, entkam es Yoongi. »Mein Bruder bräuchte eine Genehmigung der Krone, um Holz in andere Königreiche zu verkaufen.«

»Ich weiß, MyLord«, nickte der Alte eifrig, »das hat mich hellhören werden lassen, ich weiß ja, dass Holz in Raellé recht rar ist.«

Min Yoongi war sich absolut sicher, dass kein Antrag von seinem Bruder diesbezüglich bei der Krone eingegangen war, denn es wäre seine Aufgabe gewesen, diesen abzulehnen oder anzunehmen. Und beim Durchsehen der Aufzeichnungen der Holzverkäufe, waren auch keine Verkäufe nach Übersee aufgeführt gewesen. Konnte es sein, dass es sich bei der fehlenden Holzmengen um das Holz handelte, was die Fremden transportiert hatten?

Yoongi ließ den nun erkalteten Tee achtlos vor sich auf dem Tisch stehen und erhob sich.

»Habt dank«, sprach Yoongi und legte einige Kupfertaler auf den Tisch. »Gebt Euch auf Acht, alter Mann. Falls Euch noch etwas einfallen sollte, ich bin noch einige Tage in Dásos. Zögert nicht, mich aufzusuchen.«

»Natürlich, MyLord. Habt Dank.«

Es regnete immer noch, als Yoongi aus dem kleinen Teeladen herauseilte. Er zog fahrig seine Kapuze über sein noch feuchtes Haar und schwang sich dann auf den Rücken seiner Stute.

Wenn er zuvor schon besorgt über Kibums Verschwinden gewesen war, so machte sich nun Fassungslosigkeit und Entsetzen in seinem Inneren breit. Vielleicht gab es eine plausible Erklärung für die Fremden und ihre Mitnahme von Holz, doch die einzige Person, die ihn das beantworten konnte, war spurlos verschwunden. Und so lag es am ihm, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was dies bedeuten könnte.






SEINE SCHWESTER WAR eine atemberaubende Frau. Min Su-Bin trug ihr schwarzes Haar ungewöhnlich kurz für eine Frau aus adeligem Haus, jedoch passte dies herausragend zu ihren markanten Gesichtszügen und der hochgewachsenen, schmalen Figur. Sie erwartete ihn bereits, als er vom Regen durchnässt in die Eingangshalle trat.

»Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst«, begrüßte sie ihn mit kühler Stimme. Ihr aufmerksamer Blick fing ihn augenblicklich ein und ihm starrten dieselben katzenhaften Augen entgegen, die er jedes Mal im Spiegel erblickte. So selten er seine Schwester sah, so wenig er sie kannte — niemand konnte leugnen, dass sie blutsverwandt waren.

»Ich habe gerade keine Zeit—«

Zu seiner Überraschung legte seine Schwester ihren Kopf schief und unterbrach ihn. »Ich denke, dass du dir hierfür Zeit nehmen willst«, entgegnete sie und hielt eine Pergamentrolle hoch. »Sie ist eben eingetroffen, mit dem Siegel der Krone. Ein weißer Rabe hat sie gebracht.«

Yoongi wusste, dass er schnellstmöglich herausfinden musste, welches Spiel sein Bruder mit den Holzlieferungen spielte, es war unheimlich wichtig. Aber er zögerte keinen Augenblick, ehe er Su-Bin die Pergamentrolle abnahm und das Siegel aufbrach. Es war noch nicht allzu lange her, dass er aus Sabora aufgebrochen war, lediglich einige Tage. Was musste passiert sein, dass Seokjin ihm bereits schrieb? War etwas mit dem kirinischen Prinzen vorgefallen? Er trat mit klopfendem Herzen näher an eine der Öllampen, um das Geschriebene lesen zu können. Wenn Seokjin etwas in seiner Abwesenheit zugestoßen war, dann konnte es sich das niemals verzeihen.

Das Pergament fühlte sich klamm in seinen Händen an, aber die kleine Rolle, in der es gesteckt hatte, hatte das Papier glücklicherweise vor dem unnachgiebigen Regen geschützt. Erleichterung durchströmte ihn, als er Seokjins Handschrift erblickte. Ein Toter konnte nicht schreiben.

Er wusste, dass seine Schwester ihn beobachtete, während er die Zeilen hastig überflog. Die Panik, die zunächst sein Herz zum Klopfen hatte, ebbte ab. Doch was er las, brachte ihm keine sonderliche Erleichterung. Er setzte noch einmal von Anfang an, las diesmal langsamer, mit mehr Sorgfalt. Doch die Botschaft der Zeilen veränderte sich nicht. Ihre Bedeutung blieb gleich.

Yoongi schluckte. Die Zeilen sollten ihn nicht bekümmern, er hatte immer gewusst, dass seine Liebe für Seokjin keine Früchte tragen würde. Egal wie lange er warten würde, egal mit welcher Hingabe er darauf hoffte. Er trug dieses Wissen, diesen Schmerz, ununterbrochen in seinem Herzen. Jeden Tag am Hof sah er Seokjin, sprach mit ihm, arbeitete mit ihm und wurde mit seinen Gefühlen konfrontiert. Und auch wenn es ihm schwerfiel, so hatte er es in den Jahren akzeptiert. Er hatte akzeptiert, dass er für immer unglücklich in den König von Raellé verliebt sein würde. Doch dass er nun ausgerechnet von dem Mann, den er so sehr liebte, aufgefordert wurde, jemand anderen zu heiraten, schmerzte wie ein Dolchstich ins Herz.

»Ich nehme an, dass es keine guten Nachrichten sind«, durchbrach Su-Bin die Stille zwischen ihnen und machte einen Schritt auf ihn zu. »Was steht da, dass es dich so bekümmert?«

Yoongi hatte nicht bemerkt, dass er weinte.

Eine Träne fiel hinab auf das Pergament zwischen seinen Händen. Dann rollte Yoongi es zusammen und wischte sich über die Wangen.

»Ich schätze, dass ich mich freuen sollte«, sagte er leise. Auch wenn er Su-Bin kaum kannte, so war sie dennoch seine Schwester. Seine einzige, noch überbleibende Familie neben Hyeong-Joon. Er wusste, dass sie immer für ihre Familie handelte und dass er ihr vertrauen konnte. Dennoch fiel es ihm schwer, die folgenden Worte über seine Lippen zu bekommen: »Ich werde heiraten.«

Seine ältere Schwester war eine Meisterin von gleichgültigen Mienen, ganz gleich was man ihr offenbarte. Doch nun sah Yoongi Überraschung auf ihrem Gesicht. Ihre Augen weiteten sich, ein leiser Laut der Überraschung entkam ihr. »Heiraten? Ich weiß, dass du nie besonders erpicht darauf warst, zu heiraten, aber...«

»Aber meine Reaktion darauf überrascht dich«, vollendete er den Satz seiner Schwester. »Ich komme mir wie ein Narr vor.«

»Emotionen machen aus einem keinen Narren«, widersprach seine Schwester und trat näher zu ihm. Sie legte ihm ihre Hand auf seine Schulter. »Ich hatte damals großes Glück, dass ich meinen Verlobten geliebt habe. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, ich habe mich auf ein gemeinsames Leben mit ihm gefreut. Es tut mir leid, dass es dir nicht so ergeht.«

Yoongi hatte den Verlobten seiner Schwester nie kennengelernt. Er hatte einige wenige Geschichten über ihn gehört, wusste von ihrer Mutter, dass Su-Bin unsterblich in ihn verliebt gewesen war. Yoongi hätte ihn auf ihrer Hochzeit kennenlernen sollen, aber dem Paar war dies nie vergönnt gewesen, als ihr Verlobter in einem Gefecht seinen Wunden erlag. Su-Bin hatte sich danach vehement dagegen gewehrt, einen anderen Mann zu heiraten, ganz zum Missfallen ihrer Mutter. Sie hatte Su-Bin in den Jahren danach unzählige Männer vorgestellt, die gewillt waren, die Tochter der damaligen Hand des Königs zu ehelichen, aber Su-Bin hatte jeden einzelnen von ihnen davongejagt und hatte nicht mehr geheiratet.

»Kennst du Sie denn?«, fragte seine Schwester und deutete auf den Brief. »Gefällt sie dir nicht?«

Yoongi entkam ein freudloses Lachen. »Ich kenne sie gar nicht«, gestand er.

»Ohne Kibum bist du der Kopf unserer Familie, Yoongi. Du kannst dir aussuchen, welche Frau du heiraten willst. Natürlich würde es sich schicken, wenn sie aus gutem Haus käme, aber wenn du eine andere liebst, dann mach dich nicht selbst unglücklich.« Für einen Moment lag es ihm auf der Zunge, ihr zu sagen, dass sie zwar Recht damit hatte, dass er bereits Gefühle für jemanden hegte, aber für keine Frau. Dann verbiss er es sich und schüttelte nur langsam den Kopf.

»Wenn der König mich darum bittet, werde ich sie heiraten. Politisch gesehen ist es die beste Entscheidung, sowohl für unsere Familie als auch für Raellé.«

»Und wer ist die Glückliche?«

»Prinzessin Yuri aus Kirin«, antwortete Yoongi und blickte auf.

Für einen Augenblick war der Gesichtsausdruck seiner Schwester ausdruckslos, dann nahm sie ihre Hand von seiner Schulte und verzog ihr Gesicht.

»Sag mir, dass das nicht stimmt.«

Yoongi hielt ihr die Pergamentrolle entgegen. »Lies selbst.«

Seine Schwester griff nicht nach dem Pergament. »Ich dachte, du seist mit ihm befreundet, mit dem König«, zischte sie. »Warum sollte er dir das antun? Warum ist er so grausam und zwingt dich dazu, die Tochter des Mannes zu heiraten, auf dessen Befehl hin unser Vater ermordet wurde?«





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