Die Ritter der Krone โ€’ Der ne...

By spaceseokie

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โBis in den Tod.โž ๐ƒ๐š๐ฌ ๐‰๐š๐ก๐ซ ๐Ÿ๐Ÿ“๐Ÿ— ๐ฌ๐ž๐ข๐ญ ๐๐ž๐ ๐ข๐ง๐ง ๐๐ž๐ซ ๐Š๐ข๐ฆ-๐ƒ๐ฒ๐ง๐š๐ฌ๐ญ๐ข๐ž: Auch der graus... More

VORWORT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FรœNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWร–LF
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FรœNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL DREIZEHN

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By spaceseokie

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»Hallo Taehyung.«

Taehyung spürte, wie sein Herz bei den Worten aussetzte. Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, aber kein Wort, kein einziger Laut, wollte über seine Lippen kommen. Er schloss seinen Mund und presste seine Lippen hart aufeinander. Kraftlos rutsche der Knauf seines Schwertes, nachdem er aus Reflex gegriffen hatte, aus seiner Hand.

Wie war das möglich?

Jeongguk war seit über sechs Jahren tot.

»Wie—«, presste Taehyung hervor, aber seine Stimme brach. »Du bist tot.«

Jeongguk ließ seinen Helm achtlos zu Boden fallen. »Ich schätze nicht«, sagte er.

»Du bist tot!«, entkam es Taehyung, diesmal lauter. »Du bist gestorben!«

Er verstand nicht, wie Jeongguk vor ihm stehen konnte. Er hatte ihn betrauert. Er hatte sich nie von Jeongguk verabschieden können, es war ihm unendlich schwergefallen, um Jeongguk zu trauern. Er hatte es nicht verstehen können. Wie sollte man auch den Tod eines Menschen verstehen? Auch wenn man es gesagt bekam, wenn man es wusste — es hatte lange gedauert, bis Taehyung die Realisation gepackt hatte, dass Jeongguk wirklich gestorben war. Er hatte niemals die Hoffnung gehabt, dass er es möglicherweise überlebt hatte, denn der Tod war ihnen bestätigt worden.

Er war nach Kirin aufgebrochen, im Gepäck die tiefe Trauer um den Mann, in den er verliebt gewesen war. Und diese Trauer hatte ihn bis heute begleitet, war das Einzige gewesen, was nie von seiner Seite gewichen war.

Aber nun stand Jeongguk vor ihm.

»Sie haben uns gesagt, dass du an deiner Verletzung gestorben bist!« Er war aufgestanden und stand Jeongguk mit geballten Fäusten gegenüber. »Sie haben gesagt, dass du tot bist! Ich habe geglaubt, dass du tot bist!« Seine Stimme wurde immer lauter, bis sie schließlich brach und die letzten Worte kaum noch mehr als ein Flüstern waren: »Ich habe für sechs lange Jahre daran geglaubt, dass du tot bist.«

Heiße Tränen brannten in Taehyungs Augen.

»Es tut mir leid, Taehyung«, sagte Jeongguk. »Ich wollte nicht, dass du das glaubst. Ich wollte dir keinen Schmerz bereiten.« Er trat auf ihn zu. »Bitte glaub mir, wenn ich dir sage, dass du die letzte Person auf dieser Welt bist, der ich Schmerzen zufügen wollte.«

Jeongguk fing seinen Blick auf, aber Taehyung wandte seinen Kopf ab. Er wollte nicht, dass Jeongguk sah, dass er weinte.

»Ich hatte keine andere Wahl«, fuhr Jeongguk fort. »Wäre ich mit in den Osten geschickt worden, hätte König Jaesun mich umbringen lassen. Dabei war es nicht einmal meine Idee und Jimin dachte wirklich, dass ich sterben würde. Für ihn war die Verkündung meines Todes die einzige Möglichkeit, damit ich nicht von den kirinischen Soldaten mitgenommen werde.«

»Jimin wusste, dass du noch lebst?«, fragte Taehyung tonlos. »Er wusste, dass du nicht tot bist?«

Vor mehr als sechs Tagen, hatte er Jimin wieder getroffen und er hatte ihm nicht einmal einen Hinweis darauf gegeben, dass Jeongguk noch lebte. Mit keinem Wort hatte er Taehyung eine Ahnung davon gegeben, dass Jeongguk damals nicht verstorben war.

Der Ritter nickte. »Jimin hat mir damit mein Leben gerettet. Und er hat mir anschließend dabei geholfen, unterzutauchen.« Jeongguk schien sich unsicher darüber zu sein, ob er näher an Taehyung herantreten durfte. Er verlagerte sein Gewicht, blieb dann aber doch stehen. Sein Arm zuckte, so als wolle er nach Taehyung greifen, besann sich dann aber etwas Besserem. »Ich wollte dich benachrichtigen, Tae. Wirklich. Aber ich konnte nicht.«

Taehyung hatte das Gefühl, als könne er nicht atmen. Sein Brustkorb fühlte sich schwer an, seine Sicht verschwamm. Er konnte nicht glauben, dass Jeongguk leben sollte. Dass er wirklich vor ihm stand.

Bildete er sich Jeongguk vielleicht nur ein? Hatte er durch die Verletzung seiner Schulter ein Fieber bekommen, hatte er Wahnvorstellungen? Jeongguk war tot!

Sein Blick fokussierte sich erst wieder, als er Jeongguks Hand an seiner Wange spürte. »Taehyung? Heh, Taehyung. Schau mich an.«

Heiße Tränen brannten in seinen Augen und bahnten sich ihren Weg seinen Wangen hinunter, als er seinen Blick zu Jeongguk wandte. Jeongguk hatte sich verändert. Er war älter geworden. Dunkle Schatten ummantelten seine Augen und seine Wangen waren viel markanter, als Taehyung sie in Erinnerung gehabt hatte. Auch seine Haare waren anders. Sie waren viel länger als früher, Jeongguk trug sie nach hinten in einem Knoten gebunden, aber einige der langen, dunklen Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten nun sein hübsches Gesicht.

»Ich hätte nie gedacht, dass du mal so ein grandioser Schwertkämpfer werden wirst.« Jeongguk versuchte sich an einem Lächeln, welches zaghaft seine Lippen umspielte. »Wenn ich daran denke, wie unsere ersten Übungskämpfe verliefen, kann ich es kaum glauben. Ich bin stolz darauf, wer du geworden bist, Taehyung.«

»Lass mich!«, fauchte Taehyung und schlug kraftlos seine Hand weg. »Du bist tot!«, wiederholte er sich selbst. »Du kannst hier nicht einfach tauchen und mir erzählen, dass sei alles nur eine Lüge gewesen! Ich habe dich betrauert, Jeongguk!«

»Ich konnte dich nicht kontaktieren, ich konnte das einfach nicht riskieren! Niemand außer Jimin und der Lord, dem ich diene, weiß von mir. Weiß, wer ich bin. Glaub mir, wenn ich dir sage, wie oft ich darüber nachgedacht habe, dir ein Pergament zukommen zulassen, oder dir irgendwie eine Nachricht zu übermitteln, aber es war zu riskant. Ich konnte niemanden trauen, Taehyung. Es gibt unzählige kirinische Spione in Raellé, wenn meine Identität rausgekommen wäre, hätte König Jaesun unmittelbar davon erfahren, dass ich noch lebe.«

Diesmal ließ Taehyung es zu, dass Jeongguk seine Wange sanft umfasste. »Erst als ich gehört habe, dass du an den raellischen Hof kommst, habe ich daran geglaubt, dich endlich wiedersehen zu können. Jimin hat mir von dem Fest erzählt und vermutet, dass du dich bei dem Turnier anmelden würdest. Das war meine einzige Gelegenheit, irgendwie an dich ranzukommen. Es ging nicht anders.« Jeongguks Stimme brach. »Bitte glaub mir, Taehyung. Ich wollte dir das nicht antun, ich wollte dir niemals wehtun.«

Taehyung wollte daran glauben, dass es so war. Dass Jeongguk ihn nicht kontaktiert hatte, weil es ihm unmöglich war. Dass es zu gefährlich gewesen wäre. Aber sechs Jahre lang hatte der Kummer um Jeongguk sein Herz belastet, ihn gepeinigt und gequält. Was wäre aus ihnen geworden, wenn es die Forderung von seinem Onkel nie gegeben hätte? Wenn Jeongguk vermeintlich nicht gestorben wäre? Taehyung erinnerte sich noch genau den letzten Moment, vor Beginn der Schlacht, den sie zusammen verbracht hatten. Er hatte gedacht, dass Jeongguk ihn küssen würde. Er hatte nicht verstanden, was zwischen ihnen war, aber er hatte die Spannung gespürt. Die Gefühle, die unausgesprochen zwischen ihnen gestanden hatten. Er hatte die Sorge in Jeongguks Augen gesehen. An was erinnerte sich Jeongguk in der Zeit nach seiner Verletzung? Er war kaum bei Bewusstsein gewesen, nie bei klarem Verstand, war von immerwährendem Fieber gequält worden. Hatte er bemerkt, dass Taehyung kaum von seiner Seite gewichen war? Dass er alles dafür gegeben hatte, Jeongguk am Leben zu erhalten?

»Ich kann nicht glauben, dass du lebst«, gestand er leise. »Ich habe es so lange nicht begriffen, dass du vermeintlich tot bist, aber irgendwann hat mein Herz es verstanden. Und jetzt soll ich einfach so realisieren, dass du lebst?« Taehyung schluckte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, in seinem Kopf herrschte reines Chaos. Es war unverständlich für ihn.

Jeongguk strich eine der heißen Tränen von seiner Wange. »Ich will nicht lügen, ich weiß nicht, wie sich dieses Gefühl anfühlt, Tae«, sagte er mit gedämpfter Stimme.

Taehyung fühlte sich gefangen zwischen einem unglaublichen Gefühl der Erleichterung, der Euphorie, dass Jeongguk lebte und purem Schock über sein Auftauchen. Es fühlte sich unbegreiflich an. Unwirklich.

Als er seine Hand zögerlich nach Jeongguks Wange ausstreckte, zitterten seine Finger merklich. Jeongguks Wange war warm unter seinen Fingerspitzen und langsam machte sich in Taehyung die Realisation breit, dass Jeongguk wahrhaft vor ihm stand. »Es ist verrückt«, kam es ihm flüsternd über die Lippen, »als wärst du von den Toten wieder auferstanden.«

»So hat es sich auch angefühlt. Jimin hat mich zwei Tage nach deiner Abreise aus dem Armeelager in eine Kutsche in Richtung Arenz gesetzt, ich war kaum bei Bewusstsein und wenn ich es war, hatte ich höllische Schmerzen. Wir sind dort untergetaucht und Jimin hat mir dabei geholfen, zu genesen.« Jeongguk hielt für einen Moment inne, ehe er fortfuhr: »Wir waren Gäste bei Lord Park Jungsoo, aber er wusste nicht, wer wir sind. Ich war für ihn ein gesichtsloser Soldat, der das Glück gehabt hatte, eine furchtbare Verletzung zu überleben und einen Platz brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Hast du schon einmal von den Parks gehört?«

Taehyung schüttelte seinen Kopf. Er wusste nichts über das Adelsgeschlecht, welches in Arenz seinen Sitz hatte. Er wusste, dass Arenz direkt am Meer lag, bei der Drei-Zahn-Bucht und dass sie, abgesehen von der Fischerei, von der Herstellung von Wein lebten. Über den Lord selbst oder gar keine Familie war ihm rein gar nichts bekannt. Aber er schaffte es auch kaum, den Worten von Jeongguk zuzuhören, seiner Erzählung zu folgen. Stattdessen starrte er den Ritter vor sich einfach stumm an. Beobachtete seine Lippen, die sich mit Worten bewegten, seine Nase, die sich leicht kräuselte. Entdeckte Staub von dem Sandplatz, der seine Wange verdreckte.

»Die Parks sind ein kleines Haus, welches unmittelbar den Mins untersteht. Park Jungsoo hat sowohl seine Frau als auch seinen Sohn an der Pest verloren und auch seine Schwester hat ihren Mann verloren. Der Familie ist nichts erspart geblieben. Sie waren aber sehr gütig zu uns, als wir da waren. Ich durfte bleiben, bis ich wieder gehen konnte, ohne dass mich bei jedem Schritt ein furchtbarer Schmerz im Bauch und Rücken ereilt.«

»Und dann?«, fragte Taehyung und riss sich aus seiner Starre heraus. Er konnte nicht glauben, dass Jeongguk es seit mehr als sechs Jahren schaffte, unerkannt zu bleiben. Zugegeben, die einzigen die ihn erkennen konnten, waren Soldaten und Offiziere aus der Armee. Jeongguk hatte seines Wissens davor kein Land besessen, er war unter den Adelsfamilien also nie bekannt gewesen. Und ein Großteil der Soldaten und Offiziere der Krone waren bei der Schlacht gestorben.

»Jimin musste dann nach Mávros zurückkehren, weil er noch der Knappe von General Kim war. Ich habe mich in den folgenden Monaten als Söldner durchgeschlagen, ich war ein Niemand, habe mich in Tavernen und Schankräumen für Gold anheuern lassen und bin sogar einige Male auf See gestochen.«

Taehyung versuchte, sich Jeongguk als einen Matrosen vorzustellen, der Taue einholte und Segel hisste, allerdings fiel ihm das schwer. Jeongguk gehörte auf einen Pferderücken mit einem Schwert in die Hand. Nicht am Mast eines Schiffes kletternd.

»Jimin ist in der Zeit zum Ritter geschlagen worden und wurde in Sabora stationiert. Dort hat er den Lord kennengelernt, dem ich nun diene«, fuhr Jeongguk fort.

Taehyung wusste, dass Jeongguk ihm das alles erzählte, damit er verstand, dass der Ritter keine Wahl gehabt hatte, als Taehyung nicht zu kontaktieren. Dennoch war er davon überrascht, dass Jeongguk ihm das anvertraute. Er hatte sich sechs Jahre lang bedeckt gehalten, niemand wusste, wer er war, und nun offenbarte er sich nicht nur vor Taehyung, sondern er erklärte ihm auch, was ihm widerfahren war. Dabei war Taehyung nun ein Mitglied der Familie, die nichts lieber wollte, als Jeongguk tot zu sehen, weil er für den Tod des ursprünglichen kirinischen Thronfolgers verantwortlich gewesen war.

Was Jeongguk hier gerade tat, war mehr als nur riskant. Und dennoch schien er keinen Zweifel dabei zu verspüren, das alles vor Taehyung zu offenbaren.

Seine Tränen trockneten auf seinen Wangen. Er starrte Jeongguk an, ohne dass ihm etwas über die Lippen kam. Seine Zunge fühlte sich wie gelähmt an und sein Herz schlug so schnell, dass er das Gefühl hatte, es würde jeden Moment in seinem Brustkorb in unzählige kleine Teile zerspringen.

»Ich bin froh, dass du noch lebst«, flüsterte er. »Aber glauben kann ich es immer noch nicht.«

Was war nun zwischen ihnen? Er hatte nie mit dem Gedanken gespielt, Jeongguk jemals wiederzusehen, aber er war damals zu dem Bewusstsein gekommen, dass er etwas für den älteren Ritter empfunden hatte. Dass er in ihn verliebt gewesen war. Nun hatte er Jeongguk aber lange Jahre für tot gehalten und er war sich über seine eigenen Gefühle unsicher. Er hatte Jeongguk schmerzlich vermisst. Und auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, wie es seinem Gegenüber ergangen war, so ruhte dessen Hand immer noch sanft an Taehyungs Wange und er machte keine Anstalten, sie dort wegzuziehen.

»Ich weiß«, erwiderte Jeongguk ebenso leise. »Ich kann es auch kaum glauben, dich endlich wiederzusehen. Dich vor mir stehen zu haben.«

Als Jeongguk ihn zaghaft küsste und ihre Lippen sich zum ersten Mal berührten, war das alles, was Taehyung sich je in seinem Leben gewünscht hatte. Wonach er sich gesehen hatte. Egal wessen Hände auf seiner Haut gewesen waren, wen er geküsst und gefickt hatte, er hatte immer gehofft, es wäre Jeongguk gewesen. Und jetzt küsste der Ritter ihn. Dabei war er so sanft, als hätte er Angst, Taehyung würde in seinen Händen einfach zerbrechen, wie feines Glas, das drohte, in tausend einzelne Teile zu zerspringen. Jeongguks Hand lag immer noch an seiner Wange, Taehyung spürte seine Wärme, die Fingerkuppen, die sanft über seinen Wangenknochen glitten.

Jeongguks Lippen schmeckten nach schalem Wein und all der Trauer, die sie beide verspürt hatten. Nach der Sehnsucht, die Taehyung verspürt hatte.

»Das habe ich schon vor sechs Jahren machen wollen«, raunte Jeongguk gegen Taehyungs Lippen. »Ich habe mich in den Jahren immer dafür verflucht, dass ich mir diese Gelegenheit damals habe entgehen lassen. Und ich habe nie zu träumen gewagt, doch noch eines Tages die Gelegenheit zu bekommen, den Jungen zu küssen, nach dem es mich immer gesehen hat.«

Jeongguks Atem stieß heiß auf seine Lippen, während der Ritter sprach. Noch bis vor einem Moment, hatte Taehyung ihn für tot gehalten, jetzt aber küsste er ihn. Es kam ihm surreal vor. Vielleicht träumte er wirklich. Dann konnte er nur hoffen, dass er niemals aus diesem Traum aufwachen würde. Er hatte versucht, in einer Welt zu leben, in der Jeongguk tot war. Und er hatte es gehasst. Es hatte ihn fast zerstört. Doch nun stand Jeongguk vor ihm, ganz gleich ob real oder nicht real.

Taehyung vergrub seine Hände in Jeongguks langem Haar und küsste ihn erneut. Er presste ihre Lippen zu stark aufeinander, spürte wie Jeongguks Zähne seine Unterlippe streiften und ihr Atem sich vermischte. Wie Jeongguks Hände sich mit zu viel Kraft um seine Taille legten und dort in das Fleisch gruben. Wie sein eigenes Herz so schnell schlug, dass es drohte ihm aus dem Brustkorb zu springen. Er zog so stark an Jeongguks Haaren, dass diesem ein kaum hörbarer Laut des Schmerzes über die Lippen kam, der gegen Taehyungs prallte. Taehyung hatte noch nie so eine Sehnsucht, so eine Begierde, so ein Schmerz in einem Kuss gefühlt und er nahm die Tränen kaum wahr, die ihm dabei über die Wangen rannen. Er fühlte sich, als würden all die Emotionen, seine Gefühle, der Schmerz, den er seit Jahren spürte, plötzlich aus ihm freibrechen.

Taehyungs Atem ging angestrengt und er nahm war, dass auch Jeongguks Brustkorb sich schnell hob und senkte, als sie sich voneinander lösten. Seine Lippen brannten von dem ungehaltenen und gierigen Kuss, aber er genoss dieses Gefühl. Nach all den Jahren hatte Taehyung das erste Mal das Gefühl, als sei er wirklich am Leben. Er wollte plötzlich die Emotionen fühlen, die ihn erfüllten, anstatt sie von sich zu drängen, anstatt sich vor ihnen zu verschließen.

Seine Hände waren immer noch in Jeongguks dunklem Haar vergraben, als sie sich gegenseitig in die Augen schauten und Taehyung sich in den bernsteinfarbenen Augen Jeongguks, die unruhig über Taehyungs Gesicht huschten, so als wollte er sich jeden Fleck von Taehyungs Gesicht genaustens einprägen, verlor.

»Als ich hörte, du seist nach Osten gebracht worden, hatte ich die Befürchtung, du wärst gegangen und hättest dabei noch Hass mir gegenüber empfunden«, gestand Jeongguk leise. »Ich war mir nie sicher, ob du deine anfänglichen Gefühle der Abneigung mir gegenüber, nicht immer noch beibehalten hast. Ich wusste nicht, ob ich mir es nicht eingebildet habe, wenn du mit roten Wangen zu mir gesprochen hast. Ich dachte, ich hätte es vielleicht nur so wahrgenommen, weil ich es mir gewünscht habe.«

»Ich weiß nicht, was ich für dich empfinde«, flüsterte Taehyung gegen Jeongguks Lippen, »aber es ist gewiss kein Hass.«

Jeongguk blieb es verwehrt, etwas darauf zu erwidern. Das Geräusch der Zeltplane, die zur Seite geschlagen wurde, ließ sie schweratmend und schockiert auseinanderstoben.

»Taehyung, Yohan hat mir gesagt—« Vila blieb erstarrt am Eingang des Zeltes stehen. »Ich dachte Ihr seid verletzt, Eure Hoheit«, schob sie langsam hinterher. »Soll ich hinaus gehen? Ich kann aber auch bleiben, mich stört das nicht.«

Zunächst war Taehyung von Angst überwältigt worden — Angst, dass sie Jeongguk erkennen würde und sein Untertauchen in der Spanne eines Herzschlages zunichte gemacht wurde. Aber als Vila weitersprach, wurde Taehyung bewusst, dass Vila Jeongguk gar nicht erkannte. Wie auch, wenn sie nicht auf dem Schlachtfeld dabei zugesehen hatte, wie Jeongguk gegen seinen verstorbenen Cousin gekämpft hatte, dann hatte Vila keinen Schimmer davon, wie Jeongguk aussah. Für sie war er irgendein Ritter, mit dem Taehyung sich vergnügte. Was hervorragend in das Bild passte, was jeder von ihm hatte.

»Ich sollte gehen«, ertönte es mit rauer Stimme von Jeongguk, der den Helm vom Boden aufklaubte und aufsetzte. »Verzeiht, Eure Hoheit.«

Taehyung starrte Jeongguk wortlos nach. War er nun einfach verschwunden? Einfach so? Wann würde er ihn wiedersehen? Würden sie sich überhaupt erneut treffen können? Wohin ging Jeongguk? Tausend Fragen kreisten in Taehyungs Kopf umher.

»Wer war er?«, fragte Vila neugierig, als sie zu ihm trat. Sie schien dabei nichts davon mitzubekommen, dass Taehyungs ganze Welt vor einem Moment völlig auf den Kopf gestellt worden war. »Er sah gut aus«, fuhr sie fort. »Ein Ritter? Hat er ebenfalls bei dem Turnier mitgekämpft? Ich bereue es, dass ich nicht anwesend war, ich habe nach dem nächtlichen Dienst noch geschlafen, aber ich war nicht überrascht, als mir Yohan mitteilte, dass du gewonnen hast. So tut die Neiderlage gegen dich auf der Reise weniger weh, weißt du?«

Sie inspizierte seine verletzte Schulter und schaute dann zu ihm hoch. »Warum bist du so still? Ist etwas passiert?«

Taehyung hatte Mühe, sich aus der Starre zu befreien, die ihn umklammerte. »Nein«, erwiderte er, wobei seine Stimme heiser klang. »Die Schulter hat nach den Kämpfen geblutet, aber von selbst wieder aufgehört.«

»Ich bin erstaunt, dass Yohan dich hat mitkämpfen lassen, obwohl du noch verletzt bist.« Vila hatte einen Wasserschlauch und saubere Stoffstreifen in der Hand, die sie nun hochhielt. »Ich säubere die Wunde vorsichtig und verbinde sie neu. Ich glaube nicht, dass wir das nähen müssen. Setz dich hin.«

Wortlos gehorchte Taehyung. Aber während Vila vorsichtig das getrocknete Blut abwischte und die Schulter frisch verband, waren Taehyung Gedanken ganz woanders. War Jeongguk wirklich hier gewesen oder war es eine Einbildung? Taehyung fasste mit seinen Fingern an seine geschwollenen Lippen. Es war keine Einbildung gewesen, Jeongguk lebte.

»Ich wollte dir nicht die Möglichkeit nehmen, nach deinem grandiosen Kampf noch etwas Spaß zu haben, hätte ich gewusst, dass du von so einem ansehnlichen Kerl Besuch hast, wäre ich vor dem Zelt geblieben. Du hättest mich einfach hinausschicken können.«

»Hm«, machte Taehyung abwesend.

»Ich hätte gedacht, du wärst nach dem Sieg des Turniers etwas euphorischer. Wo ist dein triumphales Grinsen? Dein Übermut, der dich diesmal nicht zu Fall gebracht hat?« Vila grinste und Taehyung versuchte es mit einem milden Lächeln.

»Es war doch von vornerein klar, dass ich siegen würde.« Dass er nur gewonnen hatte, weil Jeongguk das zugelassen hatte, sprach er nicht aus. Das würde nur Fragen aufwerfen, die er Vila nicht beantworten konnte.

»Genau diesen Hochmut meinte ich«, erwiderte Vila lachend und reichte ihm ein frisches Wams, welches sie vorausschauend mitgebracht hatte. »Fühlst du dich jetzt besser, wo nun jeder am Hof weiß, was ein brillanter Schwertkämpfer du bist? Dafür hast du doch teilgenommen, nicht wahr?«

»Etwas«, sagte Taehyung und knüpfte das Wams mit zitternden Fingern zu. Auch sein Herz raste seit Jeongguks Auftauchen immer noch und schien sich nicht zu beruhigen. Würde er ihn treffen können? Wo hielt sich Jeongguk wohl auf? Taehyung wurde bewusst, dass er den Ritter nicht gefragt hatte, welchem Lord er am Königshof diente. Es konnte nicht General Kim Namjoon sein, oder doch? Vielleicht Laurenz Marcess, der Jeongguk nicht kennen konnte?

»Steht Yohan vor dem Zelt?«, fragte Taehyung, plötzlich alarmiert. Hatte der alte Mann Jeongguk gesehen? Zu seiner Erleichterung schüttelte Vila ihren Kopf.

»Nein, er meinte ich sollte den Dienst übernehmen, wenn ich sowieso zu dir gehe. Ich vermute ja«, sprach Vila und sammelte die Rüstungsteile ein, »dass sich Yohan nun die Plauze vollschlägt. Ich habe auf dem Weg hinaus zwei Soldaten darüber reden hören, dass es Eintopf mit Hirsch in den Schlossküchen gibt, auch wenn ich das kaum glauben kann. Vielleicht hat Yohan das auch aufgeschnappt.«

Taehyung schnaubte. Sein Körper war von den kräfteraubenden Schwertkämpfen erschöpft und protestierte bei jeder Bewegung, aber am meisten machte ihn die Verwirrung in seinem Kopf zu schaffen. Eigentlich sollte er nach dem Turnier einen unbändigen Hunger verspüren, aber dafür war gar kein Platz in seinen Gedanken. Konnte er womöglich Jimin nach Jeongguk fragen? Danach, wo er sich aufhielt? Aber wie sollte er mit Jimin sprechen, ohne dass einer der Leibwachen davon etwas mitbekam? Dass er am Mittag die Chance bekommen hatte, für einen Moment allein mit Jimin zu reden, war eine Seltenheit gewesen.

Konnte er Vila dazu überreden, ihn allein zu lassen? In Aratolén würde sie dies gewiss tun, weil sie keine Angst haben musste, dass ihn jemand im Hinterhalt umbrachte, aber hier am raellischen Hof? Taehyung bezweifelte, dass sie das Risiko einging. Und wenn sie es nicht tat, dann gewiss auch keiner der anderen Leibwachen, ganz gleich wer. Während er darüber nachdachte, traten sie aus dem Zelt hinaus. Die Sonne sank bereits hinter den Zeltreihen hinab und warf lange Schatten. Auf dem Sandplatz zeigten nun eine Handvoll Feuerkünstler ihr Können, aber Taehyung hatte noch nie daran Interesse gefunden. Er wusste, dass am Abend noch Dompteure mit dressierten Tieren auftraten, aber auch wenn er am Morgen noch darüber nachgedacht hatte, dorthin zu gehen, so war es ihm nun völlig gleichgültig.

Stattdessen dachte er an Jeongguk. Während sie zwischen den Zelten hindurch schlenderten, hielt er nach dem Ritter Ausschau, aber wie zu erwarten, schien dieser wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Natürlich, er hielt sich bedeckt, er wollte nicht erkannt werden. Dennoch regte sich der winzige Funke Hoffnung in Taehyungs Innerem, Jeongguk irgendwo finden zu können.

Doch während die Sonne weiter sank und schlussendlich völlig am Horizont verschwunden war, hatte Taehyung den Gesuchten nicht entdeckt. Eine Mischung aus Ungewissheit und Nervosität machte sich in seinem Inneren breit. Jeongguk wusste, wo er zu finden war, aber Taehyung hatte selbst keinen blassen Schimmer davon, wie er ihn kontaktieren konnte.

Vila, die die Rüstung bereits einem Pagen in die Hand gedrückt hatte, schlenderte schweigend hinter ihm her und schaute sich die Zelte an. In vielen von ihren brannten kleine Feuer, es wurde Fleisch gegrillt, Brot und Fladen gebacken und an beinahe jeder Ecke stand ein Musiker, ein Sänger oder ein Narr, der Geschichten zum Besten gab und die umher stehenden Menschen unterhielt. Taehyung blieb bei einem Geschichtenerzähler stehen und lauschte für einen Moment seinen Worten.

»Es gab Drachen in jeder Farbe, die man sich vorstellen kann. Welche mit grünen Schuppen, mit blauen, mit blutroten und sogar in einem strahlenden Gelb! Ihre Schuppen schillerten wie helle Sterne, doch es gab nur einen Drachen, der sich mit allen Farben des Regenbogens kleidete! Es heißt, dass seine Schuppen eigentlich weiß waren, aber sobald auch nur ein Lichtstrahl auf seinen Körper traf, so erstrahlten alle Schuppen in unterschiedlichen Farben!« Der Geschichtenerzähler machte eine gekonnte dramatische Pause und ließ seinen Blick vielsagend über das gespannte Publikum gleiten. Geschichten über Drachen waren rar, Taehyung selbst hatte noch nicht viele gehört. Es hatte damals in Darent das Gerücht gegeben, es habe mal ein gewaltiger Drache in den Bergen des Vouná-Gebirges gelebt und als Kind hatte Taehyung dieser Erzählung gerne gelauscht, aber mittlerweile wusste er, dass dies nur noch Geschichten waren, denn die Drachen waren schon lange tot. Sie waren gejagt worden, für ihre Schuppen, die scharfen, niemals brechenden Zähne, aus denen Waffen gemacht worden, und nahrhaftes Fleisch, welches die Menschen tagelang satt gemacht hatte. Zumindest wurde dies so erzählt.

»Dieser weiße Drache mit den bunten Schuppen wurde Geist genannt, weil er selbst zu seinen Lebzeiten nur von einer Handvoll Menschen gesichtet wurde! Er soll in den Tiefen des Sabora-Sees gehaust haben und nur selten hervorgekommen sein. Aber wenn!«, der Geschichtenerzähler wusste genau, wie man das Publikum packte, als er dramatisch seine Stimme hob, »dann hat er gefunkelt! So sehr, dass man den Blick von ihm abwenden musste!«

Taehyung vernahm ein ungläubiges Schnauben von Vila. »So ein Schwachsinn«, murrte sie. »So ein Drache wird niemals gelebt haben. Und auch kein anderer Drache wird das je getan haben, das sind doch nur Erzählungen, damit Kinder besser einschlafen können.«

Der Prinz zuckte mit den Schultern, wobei seine Verletzung sich mit einem schmerzhaften Pochen bemerkbar machte. »Ich glaube schon, dass es einst Drachen hier in Raellé gegeben hat«, erwiderte Taehyung, als sie sich von dem Geschichtenerzähler abwandten. »Woher sollten denn sonst all diese Erzählungen kommen? Die Menschen haben nicht genug Fantasie, um sich so etwas auszudenken.«

»Und die Menschen sollen sie alle getötet und verjagt haben? Oder glaubt Ihr, die sind einfach so von der Bildfläche verschwunden?« Vila schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Wenn diese Drachen wirklich waren, wie in den Erzählungen, dann hätten die Menschen sie nicht alle töten können.«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Taehyung lediglich. Ihm gefielen die Geschichten über die Drachen, aber in seinem Kopf war gerade kein Platz, um sich weitgehende Gedanken um sie zu machen. »Ich habe genug von dem Fest gesehen«, sagte er. »Lass uns zum Schloss zurückkehren.«

An diesem Abend kreisten Taehyungs Gedanken noch lange um das Auftauchen von Jeongguk, bis er schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel.




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authors note:

Ich muss hier einmal etwas loswerden: In den letzten 1-2 Kapiteln sind vermehrt Leser*innen aufgetaucht, die ich vorher NOCH NIE gesehen habe. Über 60 Kapitel einer Dilogie lesen und sich erst bei Kapitel 11 oder 12 vom zweiten Band zum allerersten Vote herabzulassen finde ich — ganz ehrlich gesagt — eine Frechheit, die mich auch etwas fassungslos macht. Ist ein Klick zu viel verlangt? 

Das betrifft zum Glück aber nur einen kleinen Teil der Leserschaft. Den anderen Leser*innen möchte ich an dieser Stelle ein ganz dolles Dankeschön aussprechen, dass ihr so aktiv seid und mir damit eine riesen Motivation gebt! ♡

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