Die letzte Nevanam

By MorganKingsman

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Was haben die Mutter eines Straßengauners, eine Heilerin und eine ausländische Prinzessin gemeinsam? In Esla... More

Rotes Gift
Maraden Lösung
Kaseia Paste Portion 1
Kaseia Paste Portion 2
Colorissaft Glas 1
Colorissaft Glas 2
Kosotus-Kerne
Kosotus-Kerne Teil 2
Kosotus-Kerne Teil 3
Nachtkresse Büschel 2
1 Boschus Busch Kern
2 Boschus Busch Kerne
Kaspian Sträucher 1
Kaspian Sträucher 2
Kaspian Sträucher Teil 3
Ein Trauerweiden Sätzling
Zwei Trauerweiden Sätzlinge
Drei Trauerweiden Sätzlinge
Qell Kristall
Senieren-Beeren
Adraneda Beeren
Ein Popplet-Kraut
Zwei Popplet-Kraut
✧Bonus ✧
Wolfskraut
Sailhalb Blatt Nr. 1
Sailhalb Blatt Nr. 2
Sailhalb Blatt Nr. 3
The End
Also gut, Epilog.

Nachtkresse Bündel 1

537 79 69
By MorganKingsman


●▬▬▬▬๑۩۩๑▬▬▬▬▬●
Nachtkresse; tötet Dämonen
und vertreibt böse Geister aus
Gewässern und Flüssigkeiten,
die sonst die Trinkenden krank
machen würden. Oder so.
●▬▬▬▬๑۩۩๑▬▬▬▬▬●

          Das Gebäude, auf das wir zu galoppierten, war ein großes Gehöft, mit holzgedeckten Dächern und einer hohen Mauer aus unterschiedlichen Steinen. Man hatte Naturalien aus der Umgebung genommen, um es aus dem Sumpf zu heben und es passte in die triste Landschaft, als hätte Kaar selbst es dort platziert.
Was natürlich Blödsinn war. Kein Gott wachte über diese trostlose Gegend. Und keine himmlische Kraft griff ein, als ein lauter Pfiff oberhalb des Tores unsere Ankunft verkündete.

Der trommelnde Hufschlag über den befestigten Boden hallte durch meinen ganzen Körper, als das Pferd ungebremst zwischen den hölzernen Flügeltüren hindurch preschte und in der Mitte eines kiesbestreuten Innenhofs schlitternd zum Stehen kam.

Eine erstaunlich große Anzahl Leute hatten sich dort versammelt, alle in ähnlichen Kleidern wie der Botschafter, und noch weitere ließen ihre Arbeit liegen und eilten herbei. Ihre Erleichterung war in der Luft greifbar. Die ausgestreckten Hände und Jubelrufe brachen mir das Herz über den Verlust meiner eigenen Heimat. Eine merkwürdige Art den Gesandten eines Hofes zu begrüßen.

Ich hätte erwartet, dass der König informiert werden würde.

Vor mir schwang sich der Mann vom Pferd. Als er sich mir zuwandte und die Hände ausstreckte, wurde es um uns herum still. Ich spürte die starrenden Blicke auf meiner Haut, als er mir vom Pferd half. Leises Wispern strich um uns herum und ließ mich kleine Dreckklumpen von meinem Gewandt zupfen.

Der Gesandte bemerkte davon nichts. Kaum, da ich den Boden erreicht hatte, wandte er sich wieder den Umstehenden zu. Er erwiderte den Gruß der Leute mit ähnlicher Liebe, doch ich bemerkte, wie er mich mit seinem Rücken immerzu von ihnen abschirmte.
Seine große Hand fand meinen Arm und schloss sich darum. Nicht grob oder besitzergreifend, sondern vielmehr als müsse er sichergehen, dass ich mich nicht hinter ihm in Luft auflösen würde.

Dann endlich lief er los. Die Leute wichen vor ihm zurück, doch ihre Aufmerksamkeit galt mir. Nur ein Mann blieb an seiner Seite, der ihn in gedrückter Lautstärke über die Vorkommnisse in seiner Abwesenheit in Kenntnis setzte. "... Bachar war hier und hat seine Drohungen wiederholt."

Haben wir irgendwen an die Krankheit verloren?", ich hörte den Satz nur, weil es eine so merkwürdige Frage als Begrüßung war, die der Botschafter stellte.

Der Steward schüttelte den Kopf und murmelte eine Antwort, die ich nicht verstand.

Doch selbst über sein Raunen erwischte ich eines der Worte, das in den gewisperten Sätzen immer wieder zurückkehrte.
Nevanam." Doch es klang nicht ehrfürchtig oder bewundernd, sondern ängstlich. Wütend. 

Im Augenwinkel sah ich die kraus gezogene Nase einer Wäschemagd, deren Augen an mir klebten wie Teer. Der schützende Arm einer Mutter schlang sich um ihren Sohn und zog ihn aus meinem Umfeld.

Ich schluckte ungemütlich und sah schnell geradeaus, doch ihre Blicke folgten mir. Während sich die Menge hinter mir wieder schloss, hatte ich das Gefühl ihre Schatten würden über mir schweben, wie drohende Gestalten. Die alten Götter existierten hier auch nicht mehr, oder?

Die Luftzufuhr meiner Lunge fühlte sich ungenügend an. Ich sollte nicht hier sein. Warum hatte er mich hierher gebracht? In meiner Rocktasche drehte ich den Ring hin und her.

Todesengel", raunte ein anderer Mann und machte einen bedrohlichen Schritt auf mich zu. Seine Hand umklammerte eine Mistgabel wie eine Waffe.

Wussten sie, dass ich sie verstand? Erschrocken stolperte ich fort und in den Rücken meines Entführers hinein. Dieser hielt so abrupt inne, als erinnere er sich jetzt erst, dass er mich hinter sich her schliff. Sorge verdunkelte die Augen, die mich eindringlich musterten, ehe er sich an den Steward wandte.
Und meine Schwester, Andrew?"

Andrew ließ ebenfalls einen kritischen Blick über mich wandern. Graue Haare sprenkelten seine Schläfen und er berührte den sternförmigen Anhänger seiner Kette, aber seine Stimme klang respektvoll, als er sich an seinen Meister wandte.
Hältst du das wirklich für weise, Yessaia? Sie ist eine..." Statt dem Ende seines Satzes machte er ein vielsagendes Gesicht, als würde allein mein Name Unglück bringen. Anscheinend wusste er nicht, dass Magie erstens niemals Schaden anrichten konnte und zweitens ausgestorben war.

Yessaias Brauen schoben sich zusammen, doch er zeigte ein beeindruckendes Maß an Selbstbeherrschung, als er sich nicht noch einmal zu mir umdrehte.
Genau deswegen habe ich sie mitgebracht. Entweder sie kann Cini retten oder niemand mehr."

Die Worte allein ließen mich nervös mein Standbein wechseln. Das klang nach einem Problem für eine richtige Nevanam. Ich zog den Mantel um meine Schultern enger.

Man musste mir meine Gedanken ansehen, denn Andrews Falten auf der Stirn sahen alles andere als überzeugt aus. Er biss sich jedoch auf die Zunge.
Ich hoffe wirklich, dass du nicht irrst, Yessi." Er öffnete uns die Tür zum Haupthaus.

Während die Luft draußen beinahe zu kalt für meine Kleidung gewesen war, war es im Inneren des Hauses warm und windgeschützt.
Sofort fehlten mir die Leichtigkeit des Palasts, die hohen Säulen und die hellen Farben.
Andrew führte uns durch schmale Gänge, deren Böden dieselbe Tönung hatten wie ihre Wände. Hier und da wuchs sogar Moos zwischen den Steinen. Schwere Türen gingen nach links und rechts ab. Sie sahen einander so ähnlich, dass ich mich an den geschwungenen Kerzenhaltern und Kronleuchtern orientieren musste, wenn ich jemals zurückfinden wollte. Niemand hatte Bilder aufgehängt oder Teppiche verteilt.

In hastigen Schritten versuchte ich, mit Yessaia mitzuhalten, der mein Handgelenk immer noch umklammert hielte, als bestünde der Boden ebenfalls aus Marschland, das mich verschlucken könne.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stoppte Andrew an einer Tür kurz vor dem Ende des Ganges und wechselte einen letzten fragenden Blick mit seinem Herrn, ehe er die Klinke herunterdrückte.

Für den Bruchteil einer Sekunde erhaschte ich Sicht auf eine weiße, wächserne Miene.

Ich gefror auf der Türschwelle. Mein Körper kapselte sich effizient von jeglicher Kontrolle meines Verstandes ab, der panisch versuchte, einen Weg aus dieser verzwickten Lage zu finden. Hätte Yessaia mich nicht immer noch am Handgelenk gehalten, ich hätte den Raum niemals betreten.

Ich sah mich nicht einmal um. Allein das breite Bett und die riesigen weißen Kissen nahmen mein komplettes Blickfeld ein, fokussierten meine Gedanken auf eine einzige Furcht: Ich konnte nicht noch jemanden sterben lassen. Mit Moira hatte alles angefangen und ihr Ableben war meine Schuld.

Ein merkwürdiger Schmerz breitete sich in meiner Brust aus.

„Das ist meine Schwester Cini", Yessaia drehte sich zu mir um und sein Gesicht machte mir Angst. Da war zu viel Hilflosigkeit und zu viel Schmerz darüber, „Sie hat sich selbst bei einer Jagd verletzt. Ein Schnitt am linken Oberarm." Er bedeutete mir, näherzukommen, um mir selbst ein Bild zu machen, doch meine Beine gehorchten mir nicht.

„Wir kennen die Krankheit ... aber das ist sie nicht", fuhr der Botschafter etwas verunsichert fort, "... und sie hatte schon öfter Verletzungen... aber als sie nach drei Tagen immer noch nicht aufwachte..."

Mein Puls pochte laut in meinen Ohren und vibrierte bis in meine Fingerspitzen. Ich konnte sie nicht mehr spüren. Meine Zunge klebte trocken an meinem Gaumen.
Jagdunfall. Fieber. In meinem Kopf herrschte gähnende Leere. Ich versuchte, ihr Gesicht zwischen all den Erinnerungen an Moiras Tod zu sehen, doch jedes Mal, wenn ich blinzelte, sah ich Blut im Mundwinkel und blaue Äderchen in ihren Augen.

Rastlos durch mein bewegungsloses Starren, deckte Yessaia die Wunde auf, den Blick fragend auf mich gerichtet. Andrew lehnte sich abwartend zwischen zwei Fenster, die Arme fest vor dem Oberkörper verschränkt, seine Kette mit dem Sternanhänger zwischen den Fingern. Aber seine Augen durchdrangen selbst meine Knochen.

Meine Kehle wurde eng. Ich musste hier fort.
Violette Adern. Eine kleine Phiole mit rotem Gift. Sie jagten meine Gedanken und lösten mich von dem Geschehen. Ich wusste, dass ich mich bewegen sollte, doch ich konnte nicht. Alle Muskeln verkrampften sich, rebellierten gegen meine Kommandos. Ich würde hier sterben, wenn ich ihr nicht helfen konnte.

Violette Adern, rotes Gift. Es stahl mir die Sicht. Ich bekam keine Luft mehr. Der Stein des Rings kratzte über meine Haut. Sie war eingeschlossen mit mir in diesem Zimmer. Es war die Luft der Toten. Sie verfestigte sich in meinen Lungen, blockierten jeden Weg. Stahl ich ihr den Atem? Würde sie sterben, wenn ich weiter hier drinnen blieb? Ein höllischer Schmerz breitete sich zwischen meinen Schläfen aus, bis die Kissen und das Gesicht des Mädchens zu einer Masse verschwammen. Die Knie wurden weich und unstetig, als stünde ich immer noch im Marschland und nicht auf festem Boden. Ich stahl ihr die Luft, die sie benötigte-...

„Hey! Hol wieder Luft!" Finger schnippten vor meinen Augen, so nahe der Nase, dass ich zurückzuckte. Es war ein Reflex, nicht mehr, doch er durchbrach die Blockade der Muskeln. Alle Bilder lösten sich in kleine Rauchschwaden auf.
Die Sicht schärfte sich auf Yessaia ein, der auf einmal nur noch wenige Handbreit von meinem Gesicht entfernt stand und mich anstarrte. Wann war er dort hingekommen?
„Auf mein Kommando: Einatmen...", er wartete einige Sekunden, „...Ausatmen."

Ich blinzelte einmal und er wiederholte seine Anweisungen. Es war beinahe unmöglich, meine hektische Atmung an die ruhige Stimme anzupassen. Alles in mir schrie, dass ich ersticken würde, stranguliert von der Schuld und den Lügen, die ich mit hierher gebracht hatte. Doch sein forsches Auftreten hatte zumindest meinem Verstand eine kurze Pause gegeben, um mich selbst zu sammeln.

Einatmen.

Der Raum war nicht halb so dunkel und beengend, wie ich erwartet hatte. Das Fenster neben Andrew stand offen und ließ frische Luft herein, die das Mädchen sichtlich benötigte.

Ausatmen.

Sie hatte blonde Haare, die sich über die Kissen räkelten, ein schönes Gesicht, jung, aber von Schmerz und Fieber verzerrt. Ihre flatternden Lieder standen im harschen Kontrast zu ihrer sonst leblosen Erscheinung. Sie war ein bildschönes junges Mädchen.

Ausat-... nein warte! Einatmen.

Ihr Bruder hatte das Laken zurückgezogen und eine verbundene Wunde am Arm freigelegt, deren Sekrete durch den hellen Stoff sickerten. Außerdem hatte jemand eine violette Paste um die Ränder geschmiert. Moira hätte einen Anfall von unangemessenem Temperament bei so einem Anblick bekommen. Die Erinnerungen an ihre flegelhafte Wortwahl, drängten die Kopfschmerzen schrittweise zurück.

Yessaias Hände hatten sich fest um meine Oberarme geschlossen und hielten mich aufrecht. Seine großen Pranken brannten ihren eigenen Abdruck auf meine Haut. Sie sollten mich stabilisieren, doch dies war der Kerl, der mich aus meiner Heimat gerissen und vielleicht Henrics Leben auf dem Gewissen hatte. Innerhalb eines Herzschlages fühlte ich mich unwohl.
Mit einem kleinen Nicken bedeutete ich ihm, dass ich wieder alleine stehen konnte und machte einen wackeligen Schritt auf das Bett zu. Wo es Nevanam gab, gab es auch Wunder. Galt das vielleicht auch für falsche Nevanam?

„Ich brauche heißes Wasser und neues Verbandszeug", wandte ich mich an Andrew. Mit unsicheren Fingern ließ ich Jacs Ring los und nestelte stattdessen an meiner Bauchtasche herum. Wollten wir hoffen, dass es sich in der Tat nur um eine infizierte Wunde handelte.

Der Steward tauschte einen fragenden Blick mit seinem Herren, ehe Yessaia nickte und hinter ihm die Tür schloss. Das zufallende Geräusch kam einem Gefängnisriegel gleich, doch ich ließ meine Gedanken nicht noch einmal diesen Pfad herunter wandern, sondern konzentrierte mich dagegen auf meine Patientin. Wenn ich hier rauswollte, würde ich ihr helfen müssen. Und obwohl ich das Zittern erfolgreich zurückkämpfte, galoppierte mein Puls immer noch vor mir fort, als fürchte mein Herz, dass die Bilder wiederkehren könnten.

Eine Stunde später schloss ich die Zimmertür leise hinter mir, ein Tuch in einer Hand, an der ich die Überreste meiner Tinktur abwischte. Yessaia saß an die Wand gelehnt, neben der Tür. Kaum da er mich erkannte, sprang er auf die Füße, die allgegenwärtige Unruhe in seinen Augen neu entfacht.

„Ich habe ihre Wunde oberflächlich gereinigt und neu verbunden", erklärte ich, unfähig, die Erschöpfung aus meiner Stimme zu halten. Sofort war der Botschafter an meiner Seite, als befürchte er, dass ich jeden Moment wieder zusammenbrechen könnte. Tatsächlich war ich weit davon entfernt. Das dort drinnen war vielleicht keine alltägliche Situation für Moira und mich gewesen, doch ich hatte sie zu meiner eigenen Zufriedenheit gemeistert und genau in diesem Augenblick hätte ich nicht erleichterter sein können.
Auch wenn die Wunde mehrere Fragen für mich aufgeworfen hatte, bei denen ich zögerlich war, sie laut auszusprechen. Irgendwie passte seine Geschichte nicht zusammen. Der Winkel des Einstichs und der Heilungszustand...

Yessaia sah sie trotzdem hinter meinen Augen. Mit einem beinahe unmerklichen Bewegung des Kinns, forderte er mich stumm zum Sprechen auf, doch sein Ausdruck blieb abwartend und zurückhaltend. Er traute mir nicht.

Ich erwiderte das Gefühl. Deshalb entschied ich mich für die harmloseste Frage.
„Wann hatte sie ihren Unfall?" Der schlechte Zustand der Wunde hatte es schwierig gemacht, einen Zeitpunkt festzulegen.  Sie sah frisch aus- die Ränder gerötet, das Blut kaum getrocknet. Aber zweifelsohne musste sie schon mindestens sechs Tage alt sein, oder? Etwas stimmte hier nicht. 

„Vor neun Tagen." Da war kein Zögern in seiner Antwort, kein verräterisches Zucken seiner Augen, die seine Lüge verraten würde. Wahrscheinlich hätte ich ihm einfach geglaubt.
Wenn ich es nicht besser wusste.

Stumm rechnend, blieb ich stehen. 
„Seid Ihr Euch sicher?" Ich hätte mir auf die Zunge beißen können, doch mein Mund war schneller als jede Vorsicht, die Henric von mir erwartet hätte. Warum sollte er lügen? Ich hatte ihn bisher als sehr besorgt um seine Schwester empfunden.

Sofort richtete sich der Botschafter neben mir auf, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Sein Blick verfinsterte sich bedrohlich.
„Wie kann ich mir nicht sicher sein? Ich habe sie durch dieses Tor hereingetragen."

Weil er zu diesem Zeitpunkt als Abgesandter in Eslaryn gewesen war. Und ich mich nicht an die Anwesenheit einer blonden bewusstlosen Frau erinnerte. Wenn er sie in dem Moment nicht kurz irgendwo verstaut hatte, wurde er noch nicht einmal rot beim Lügen. 

Ich atmete sehr langsam aus. Es gab nur einen Grund, warum er lügen sollte. 
"Jeder wird verstehen, warum Ihr zögerlich wart, eine Nevanam zu entführen", versuchte ich so ruhig wie möglich zu erklären, "Ihr habt nicht zu lange gewartet. Wenn ihr weiterhin den Verband sauber haltet, wird es ihr hoffentlich bald besser gehen."

Yessaia verschränkte abweisend die Arme.  Es war schwierig auszumachen, was in seinem Kopf vor sich ging, doch eines war außer Zweifel: Aus ihm würde ich kein Geständnis bekommen. 
"Ob ich zu lange gewartet habe, wird ihre Heilung zeigen." Die Augen zusammengekniffen lehnte er sich näher. „Aber wenn wir schon merkwürdige Fragen stellen: Was ist in Cinis Zimmer passiert?"

Ich war bestimmt nicht klein, doch er überragte mich um ein ganzes Stück und wenn er sich so vor mir aufbaute, musste ich den Kopf in den Nacken legen, um sein lauerndes Temperament standhaft erwidern zu können. Seine Frage war allerdings berechtigt. Was war das gewesen? Für einen kurzen Moment war ich mir sicher gewesen, an Ort und Stelle ohne Fremdeinwirkung zu ersticken. Es hatte mir mehr Angst gemacht, als jede Entführung es gekonnt hätte. Und ich verstand es selbst nicht.
Doch nichts von all dem würde ich ihn wissen lassen. Er konnte abblocken. Ich auch. 
„Entschuldigung, wenn ich nicht mein persönliches Hoch abliefere, nachdem ich entführt und in ein anderes Land geschleppt werde", erwiderte ich.

„Persönliches Hoch? Das hier ist keine Entführung. Ich brauche deine Hilfe." Sein Akzent wurde mit jeder Sekunde härter.

Meine Augenbrauen schoben sich bis an meinen Haaransatz. Keine Entführung? Hier ging doch irgendwas in der Übersetzung verloren. Hatte ich mich eben noch kraftlos gefühlt, kehrte jetzt etwas in mich zurück, dass das Bedürfnis hatte, ihm eine zu verpassen.
„Dann entführt mich doch bitte heim, denn ich habe getan, was ich konnte."

Für einen kurzen Augenblick sah er aus, als wolle er einfach umdrehen und mich an Ort und Stelle stehen lassen. Seine Augen funkelten im lodernden Feuer der nächsten Fackel, bereit mich zu verschlingen. Es lag so viel Leben darin, so viele Emotionen, dass ich glaubte, mich zu verbrennen.
Sich selbst bewusst werdend, zog er einen Atemzug ein und löste seine verkrampften Schultern: „Keine Sorge, ich werde dich nicht länger hierbehalten als unbedingt notwendig. Lichi wird dir dein Zimmer zeigen. Morgen früh brechen wir auf."

Im Verlauf unseres Streits hatte ich nicht mitbekommen, wie eine junge Magd zu uns gestoßen war. Sie hatte die Stirn gerunzelt von der Lautstärke unserer Worte und den Blick stur auf ihre Füße gerichtet. Ihr Ausdruck gab meinem Zorn einen Dämpfer und ich schluckte jegliche Antwort herunter. Was sowieso überflüssig wurde, als Yessaia sich wortlos umdrehte und zurück in das Zimmer seiner Schwester verschwand.

Natürlich wollte er mich loswerden, bevor sein Herr von der ganzen Aktion Wind bekam.

Meine Unterkunft erinnerte mich schmerzlich an Moiras altes Zimmer. Es hatte zwei Türen, eine zum Küchengarten ausgehend, eine im Bediensteten-Flügel des Hauses. Sie war karg möbliert, sah man einmal von einem riesigen Regal ab, das sich vorzüglich für Bücher oder Tinkturen eignen würde.

Lichi hatte auf unserem gesamten Weg hierhin jedes Gespräch oder Augenkontakt vermieden und sich wieder entfernt, kaum da ich eine Hand auf die Klinke legte.
Was genau erwarteten die Bewohner hier eigentlich von mir? Nevanam hatten eigentlich nicht den Ruf Dorfjungen in Ziegenböcke zu verwandeln, sonst hätte Moira das bestimmt mehr als einmal gemacht. Und wenn jemand das Recht hatte verängstigt zu sein, dann ja wohl ich.
Ließ sich nur hoffen, dass Yessaia seinem Wort treu bleiben würde und ich mir morgen schon meine Standpauke von Henric oder Madame Acó anhören durfte.

Henric. Ich überlegte das zweite Mal in meinem Leben zu beten. Er musste das überlebt haben. Er musste Boltier überlebt haben. Wollte ich sonst noch nach Hause kommen? Ich könnte im Sakella Wald leben und Hirsche pflegen.

Das Bild des Tieres kehrte zu mir zurück, als ich mich auf das Bett legte. Ich war dankbar, dass die Frau noch nicht zurückgekehrt war. Es bedeutete, dass sie noch nicht erfolgreich meine Entführung vertuscht hatte und irgendjemand vielleicht noch darauf hinarbeitete, mich zu retten. Vorsichtshalber tastete ich noch mal nach meinem Ring.

Ich blieb genauso lange ungestört, wie es für mich dauerte, entgegen meiner ruhelosen Gedanken einzuschlafen. Das eindringliche Klopfen an meiner Tür ließ mich gegen das weiche Licht der Morgensonne blinzeln, die ihre trüben Strahlen durch meine Fensterscheibe schickte. Ich brauchte eine Sekunde, um mich zu orientieren.
Eine Sekunde zu viel, denn schon im nächsten Augenblick stürzte Yessaia in mein Zimmer herein.

Mein erster Gedanke beschäftigte sich mit der Ungerechtigkeit, dass er sich ganz eindeutig die Nacht um die Ohren gehauen hatte und trotz wirr abstehender Haare besser aussah als ich. Dann fiel mir ein, wo ich war und das Adrenalin weckte mich vollständig. Ich fuhr aus dem Bett, nur um zu bemerken, dass ich mir für die Nachtruhe den grünen Überwurf ausgezogen hatte und mit nichts, als einer dünnen Hose und einem bauchfreien Oberteil vor ihm saß und dümmlich blinzelte.

Was auch immer der Gesandte aus Tacia zu mir hatte sagen wollen, er verschluckte prompt seine Zunge. Für einen Moment, der sich in meinem Kopf zu einer kleinen Ewigkeit ausdehnte, wanderten seien Augen über meinen Aufzug, bis sie in meinem Gesicht und den gelösten Haaren hängen blieben. Seine grauen Augen verdunkelten sich mit jedem Stück meines Körpers, das er für einen zeitlosen Moment förmlich trank. 

Hitze schoss erst in mein Gesicht und dann in meine Handflächen. In einer ruckartigen Bewegung schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper. Irgendwas darin, gab ihm ein wenig Klarheit zurück. Mit einem Räuspern fuhr er sich durch die rotbraunen Haare. 
„Es ist meine Schwester. Sie hat wieder einen dieser Anfälle."

Mit einem Satz war ich aus dem Bett. Das durfte nicht passieren.
„Was für Anfälle?", fuhr ich Yessaia an, während ich meinen Überwurf und meine Schuhe vom Tisch riss.

Meine plötzliche Hektik ließ ihn ebenfalls schwungvoll kehrt machen, damit ich mich mit meinem letzten bisschen Anstand anziehen konnte. 
„Sie-... ", er räusperte sich noch einmal, "Sie bekommt Fieber-Krämpfe, die sie im ganzen Bett herumwerfen. Andrew versucht sie zu beruhige-..."

„Warum sagt mir das niemand vorher?" Ich gab mir keine Mühe den Ärger aus meiner Stimme zu halten. Wenn das Fieber wirklich so schlimm war, brauchte sie deutlich mehr Medikation als nur einen säubernden Verbandswechsel! So etwas musste ihnen doch klar sein!
„Sagt dem Steward, dass ich einige Kräuter brauche, um ihr zu helfen. Und betet, dass wir sie auch in Eurem Garten finden!"

Vielleicht hatte Yessaia doch zu lange gewartet. 

"Wusstet ihr, dass Sterne den Garten beleuchten, wenn man darin Kräuter sucht?" - Andrew, muss auch mal im Dunkeln herumkriechen. 

I DID IT! Prüfung 2 &3 von 5 geschafft! 

Seht das als gutes Zeichen für eure eigenen Prüfungen :D

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