Einmal Fraktionslos, Immer Fr...

By billie88-

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Marla Parker ist 20 Jahre alt und sie führt ein Leben auf der Straße. Nie gehörte sie einer Fraktion an, denn... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92 - Epilog

Kapitel 18

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By billie88-

Zum wiederholten Male sitze ich in dem metallenen Stuhl. Ich atme tief ein, als Eric mir das Serum verabreicht. Ich rieche sein derbes Aftershave und es kribbelt seltsam in meinem Bauch. 

Eigentlich will ich das hier nicht mehr tun. Ich will nicht wissen, welcher Horror schon wieder in den Tiefen meines Gehirns auf mich wartet. Ich blinzle und sehe in Erics ernstes Gesicht, in blinzele nochmal - 

- Es ist dunkel. Ich weiß nicht, wo ich bin. Wie bin ich hierher gekommen? Es ist so düster, dass ich meine eigene Hand vor dem Gesicht nicht erkennen kann. Ich bleibe eine Weile ruhig stehen und warte darauf, dass meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen.

Meine Hände tasten umher. Direkt vor mir ist eine Wand. Ich greife etwas nach unten, zur Seite, dann nach oben. Ich versuche etwas wie ein Fenster oder eine Tür auszumachen. Doch vor mir scheint nur eine Wand zu sein. 

Ich trete vorsichtig einige Schritte zur Seite. Nach fast drei Schritten pralle ich sacht gegen eine weitere Wand. Ok, hier war das Ende. Dann beginne ich in die andere Richtung zu gehen. Ein Schritt, zwei Schritte, drei, vier, fünf, sechs. Wieder pralle ich dagegen. Der Raum war klein. Sehr klein.

Dann sehe ich in meinem Augenwinkel etwas flackern. Ich drehe mich um und sehe eine winzige Flamme auf dem Boden. Ich trete sie aus, so schnell ich kann. Mein Atem geht nun etwas schneller. Ich merke, wie mir heiß wird. Wieder gehe ich ein paar Schritte, diesmal aber nach links. Ein Schritt, zwei, drei, vier, fünf. Wieder treffe ich auf die Wand. Verdammt, denke ich, als ich eine weitere Flamme sehe. 

Wieder trete ich danach. Daneben flammt wieder etwas rot-orangenes auf. Ich trete auch darauf. Dann gibt es hinter mir eine Stichflamme. Ich reiße meinen Arm hoch und schütze mein Gesicht. Etwas hat Feuer gefangen. An der Wand steht ein Schrank, ganz aus Holz. Ich rieche, wie er verbrennt. Ich ziehe meine viel zu dicke Jacke aus und beginne damit auf die Flammen einzuschlagen. Versuche sie auszumachen. Erfolglos. Der Saum meiner Jacke fängt Feuer.

Nun werfe ich sie auf den Boden und versuche sie zu löschen. Es gelingt mir. Der Schrank hingegen brennt lichterloh. 

Jetzt ist es hell im Raum, doch der entstehende Rauch nimmt mir die Sicht. Ich halte eine Hand vor mein Gesicht und beginne nun mit der anderen gegen die tür- und fensterlosen Wände zu schlagen. Ich beginne nach Hilfe zu rufen. Jemand muss mich hören. Man muss mich einfach hören. 

Auf meiner Haut kocht es. Es fühlt sich an, als würden meine Wimpern langsam verschmoren. Ich trete nun so fest ich kann gegen die Wand, werfe mich dagegen. Doch es passiert nichts.

Ich lege mich nun auf den Boden. Irgendwo habe ich mal gehört, dass man so am längsten überleben kann. Ich beginne mit den Füßen gegen die Wand zu treten, um einen schwachen Punkt zu finden. Doch nichts gibt nach. Ich japse nach Luft und drehe mich auf den Bauch. Ich packe meine halb verbrannte Jacke und ziehe sie mir über den Kopf. Ich versuche so langsam wie möglich zu atmen, um das bisschen verbliebende Sauerstoff nicht zu verbrauchen. Doch ich werde immer panischer. 

Es wird immer heißer. Es fühlt sich an, als würde meine Kleidung sich in meine Haut fressen. Noch einmal drehe ich mich auf den Rücken und trete verzweifelt gegen die Wand vor mir. Ich schreie nach Hilfe. Ich schreie nach jedem der mir einfällt. Maddie, Tessa, Carter, Shepherd und Feretti. Ich schreie nach ihnen und hoffe, dass einer mich hört.

Der Rauch füllt meine Lungen. Ich bin kurz davor zu ersticken, ich fühle es. Wieder drehe ich mich auf den Bauch und halte meine Hand vor Mund und Nase. Als würde das irgendetwas nützen. Der ganze Raum steht nun in Flammen. Ich sehe auf meine Hand. Sie beginnt Blasen zu bilden. Ich will weinen, aber alle Flüssigkeit scheint aus meinem Körper verschwunden zu sein. Auch kann ich nicht mehr schreien.

Ich warte auf eine Ohnmacht. Eine rettende Ohnmacht. Doch ich bleibe bei Bewusstsein. Meine Hand findet ihren Weg zu meinem Herzen. Es rast. Es rast so schnell, dass ich kaum mitzählen kann. Nun bekomme ich keine Luft mehr. Ich röchle, huste zwischendurch, dann röchle ich wieder. Ich warte darauf, doch endlich das Bewusstsein zu verlieren. Es geschieht nicht. 

Ich drehe mich abermals auf den Rücken und stampfe mit letzter verbliebener Kraft gegen die Wand. Ich spüre das Blut in meinen Venen pumpen. Immer mehr Blasen bilden sich auf meiner roten Haut. 

Maddie! Tessa! Carter! Shepherd! Feretti! Eric! Ich schreie, ich schreie so laut ich kann. 

-----

"Beruhig dich! Beruhig dich!"

Eric. Er hält meine Arme fest. Offenbar habe ich um mich geschlagen.

Was ist passiert? Wo bin ich? 

"Atme!", sagt er mir. Ich sehe in seine Augen, die nah an meinen sind. Ich höre auf zu schreien. 

Es war eine Simulation. Ich verbrenne nicht. Alles ist gut. Ich sehe an mir herunter. Meine Haut ist weiß. Sie ist geradezu blass und überzogen von Schweiß. Ich atme schnell und ruckartig.

Er beäugt mich skeptisch, dann sieht er zur Tür, die aufgerissen wird. Es ist Four.

"Was ist hier los?", will er wissen. Er will reinkommen, doch Eric springt geradezu auf ihn zu.

"Gar nichts. Du musst nicht immer schnüffeln kommen! Ich schaffe das gut ohne dich!", zischt er ihn an. Four geht ein paar Schritte zurück und sieht mich fragend an. 

Ich bin viel zu verwirrt, um irgendwas zu tun. Four verschwindet, allerdings nicht ohne Eric einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.

Noch immer rast mein Herz. Ich merke, dass es mir schwer fällt zu atmen. Ich halte meine Hand an meinen Hals und versuche langsamer zu atmen. Auch Eric merkt es. 

"Langsam atmen. Versuch runterzukommen.", sagt er streng. Leichter gesagt, als getan. Er kommt schnellen Schrittes zu mir. Ich sehe seine kalten Hände auf meinen Knien liegen. Das hilft mir nicht. 

"Atmen.", sagt er nun ruhiger. "Du bist in Sicherheit."

Ich nicke und versuche mir genau das klar zu machen. Nichts kann mir hier passieren. Ich merke, wie mein Herzschlag langsamer wird. Eric hält mir ein Glas Wasser vors Gesicht. Dankbar nehme ich es. Meine Hand zittert.

"Das war schlimmer, als alle andere Sachen vorher zusammen.", sage ich ihm, nachdem ich meinen Atem endlich im Griff habe. Er sagt kein Wort. Er sieht mich nur an.

"Was - was ist passiert?", will ich wissen. Ich schaue zum Computer.

"Ich hab das Programm beendet.", sagt er.  Langsam erhebt er sich. Offenbar sieht er keine Gefahr mehr. 

"Das kannst du? Als ich dich fragte, sagtest du, das Programm kann nicht unterbrochen werden.", sage ich.

"Nicht im Regelfall. Aber wenn es zu gefährlich für den Organismus wird, kann ich es abbrechen.“, gibt er zurück. 

"Wieso gefährlich?", hake ich nun nach. Ich stemme mich an den Lehnen nach oben und komme wieder in ein aufrechtes Sitzen.

"Dein Puls war gefährlich hoch.", sagt er nun. Er setzt sich wieder und beginnt etwas in den Computer zu tippen.  "Da musste ich abbrechen."

Was bedeutet das für mich und meine Ergebnisse? Für meinen Rang?

"Wir machen morgen weiter. Vielleicht haben wir Glück und dieselbe Angst kommt nochmal.", sagt er mir. 

Ich bekomme erneut Herzrasen. Dann entlässt er mich.

--------------

Ich sitze gerade im Schlafsaal, als ich draußen lautes Gebrüll höre. Irgendwer streitet sich. Ich stehe auf, auch Tessa und Maddie machen sich auf den Weg. Wir laufen ein Stück, dann kommen wir anscheinend an. 

Erst sehe ich nicht viel. Eine Menschtraube hat sich gebildet. Um wen auch immer.

Wir drängeln uns durch. Die Streitenden werden lauter.

"- du bist mein Freund!", höre ich nur. Immer weiter drängle ich mich durch, dann komme ich endlich an.
Vor mir steht Carter. Er wird von Feretti gestützt. Er zittert. Vor ihm steht Shepherd. Hinter den Dreien ist ein Geländer. Eric lehnt dagegen. Seelenruhig beobachtet er die Szenerie. 

Ich verstehe nicht, was los ist. 

"Wieso? Was hab ich dir getan?", schreit Carter jetzt. Seine Stimme ist brüchig. Er spricht voller Enttäuschung.

Was ist hier los? Tessa und Maddie schaffen es nun auch endlich. Sie kommen neben mir zum Stehen.

Shepherd sagt kein Wort. Er steht auf der Stelle und hält sich an einem Arm fest. Er kaut nervös auf seiner Unterlippe.

"Wieso antwortest du nicht?", mischt sich Eric nun ein. "Du hattest doch auch genug Mumm, ihm fast den Schädel einzuschlagen."

Ich starre Eric an. Was hat er da gerade gesagt?

"Warum hast du das gemacht, Shepherd? Das ergibt doch keinen Sinn.", sagt Carter. Er schüttelt den Kopf. Feretti hält ihn immer noch am Arm fest. Er sieht wütend aus. 

Shepherd sagt absolut kein Wort. Langsam verstehe ich. Ich will etwas sagen, da prescht Maddie vor. Auch sie scheint verstanden zu haben.

Sie rennt auf Shepherd zu und reißt ihn zu Boden, dann schlägt sie auf ihn ein.

"Du feiges Schwein!", schreit sie ihn an. Ich bin geschockt. Auch ich laufe nun nach vorne und versuche Maddie von ihm runterzuziehen. 

Feretti kommt dazu. Eric bewegt sich nicht von der Stelle.

Ich zerre Maddie nach oben, da stößt sie mich mit aller Kraft weg. Ich falle und versuche mich mit meiner linken Hand abzufangen.

Ich komme auf, ein Schmerz durchfährt mein Handgelenk. Es knackt laut. Ich schreie kurz und schrill auf und fasse an meine Hand. 

Maddie dreht sich um und sieht mich fragend an. Feretti nutzt die Gelegenheit und zerrt sie von Shepherd weg. Er rafft sich auf und ist wieder völlig starr. 

Eric kommt zu mir. Ich spüre einen unglaublichen Druck auf meinem Handgelenk. Es pocht, als wolle etwas darin explodieren. Ich kann es nicht bewegen.

"Zeig mal her.", sagt Eric. Er greift nach meinem Handgelenk, doch ich ziehe meinen Arm weg und stehe auf. 

"Schon gut. Nichts passiert.", gebe ich zurück.

„Ja, klar. Gib mir die Hand, los!", sagt er gebieterisch. Ich will eigentlich nicht, aber schließlich halte ich ihm widerwillig meine Hand hin. Er legt seine Hand auf meinen Handrücken, die Andere legt er auf meinen Ellenbogen. Vorsichtig dreht er meine Hand und sieht sie sich genau an.

"Es schwillt an.", meint er. "Das muss geröntgt werden. Aber ich tippe mal auf einen Bruch."

Das darf nicht sein, nicht jetzt. Nicht meine Hand. 

"Ihr könnt gehen, hier gibt‘s nichts mehr zu sehen.", sagt er zu der schaulustigen Meute. Ein Stöhnen geht durch die Ferox.

Alle drehen sich um, auch Shepherd will gehen.

"Du glaubst nicht echt, du kannst hier rausspazieren, oder?", will Eric nun wissen. Seine Augen sprühen geradezu Funken vor Wut.

Eric schickt mich auf die Krankenstation, dann packt er sich Shepherd und verschwindet mit ihm.

Maddie, Tessa, Carter und Feretti kommen zu mir. Sie begleiten mich auf die Krankenstation.

Ich muss zum Röntgen und wie Eric schon vermutete, ist mein Handgelenk gebrochen. Als ich herauskomme, sitzt Carter wie ein Häufchen Elend in der Ecke. Er tut mir leid. Shepherd war sein Freund. Er war unser aller Freund.

Wieso hat er das getan? Ich verstehe es nicht. 

Ich sehe nach rechts. Eric steht zusammen mit Karen. Er nickt ihr zu, dann kommt er zu uns.

"Was passiert jetzt mit Shepherd?", will Feretti wissen.

"Er wird vor ein Gericht gestellt. Danach ist er fraktionslos. Wenn er Glück hat, kommt er in ein Gefängnis.", erklärt uns Eric. Maddie sitzt neben Carter und nimmt tröstend seine Hand in ihre. 

Die Anderen müssen gehen, während mir noch der Arm vergipst wird. Ich bekomme eine bestimmte Medizin. Ich weiß, dass die Medizin der Ken sehr fortgeschritten ist. Aber sie sagt mir, dass es mindestens zwei Wochen dauern wird, bis es geheilt ist.

Als ich wieder aus dem Behandlungszimmer komme, sitzt Eric auf einem der Krankenbetten. Er betrachtet gerade mit einer Lupe seine Hand.

"Parker!", sagt er, als ich schon halb aus der Tür geschlüpft bin. Ich seufze, gehe zwei Schritte rückwärts, drehe mich und sehe ihn erwartend an.

"Was gibt‘s?", frage ich schließlich, als er kein Wort sagt.

"Was denkst du. Wieso hat Shepherd es getan?", will er wissen. 

Ich denke gar nichts, weil es einfach keinen Sinn ergibt. Ich frage mich eher etwas anderes.

"Wie ist es rausgekommen?", stelle ich eine Gegenfrage.

"Die Simulationen. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass Shepherd sich geweigert hat, sich anschließen zu lassen.", meint er nun. Ich nicke. "Naja, wir haben ihn gezwungen."

Nein, echt? , denke ich nur.

"Jedenfalls, scheint er eine neue Angst gewonnen zu haben. Die Angst davor, dass die Wahrheit rauskommt. Ich hab alles mit angesehen.“, sagt er mir.

Und danach ist er mit Shepherd im Schlepptau gleich zu Carter gegangen? Wie überaus nett von ihm. Ich schüttle den Kopf.

"Ist das jedes Jahr so?", frage ich ihn. "Dass die Leute sich gegenseitig umbringen?", will ich wissen. 

Eric nickt. Diese Leute - alle - reden schlecht über Fraktionslose. Sie wären primitiv, zurückgeblieben und dreckig. Plötzlich fällt mir noch eine Fraktion ein, auf die diese Attribute zutreffen. 

Er sieht mich an. Vielleicht sieht er die Abscheu in meinen Augen. Vielleicht sieht er, dass mein Fass kurz vor dem Überlaufen ist. 

"Komm mal mit.", sagt er. Er wartet erst gar nicht auf eine Antwort von mir, sondern geht vor. Ich überlege kurz, dann folge ich ihm.

Wir laufen an der Grube vorbei. Ich sehe eine Treppe, die rechts hinauf führt. Ich laufe fast jeden Tag daran vorbei, aber ich lasse ihr nie Aufmerksamkeit zukommen. 

Eric läuft darauf zu und nimmt gleich drei Stufen auf einmal. Ich laufe ihm nach, so schnell ich kann. Wir kommen auf einem dunklen Korridor an. Links und rechts steht alle paar Meter eine Tür in der Wand. Vereinzelt stehen davor Schuhe.

Wir sind bei den Quartieren.

Wir laufen an drei Türen vorbei, dann bleibt Eric stehen, sucht einen Schlüssel hervor und dreht sich zu einer Tür rechts. 

Er schließt die Tür auf, dann tritt er ein. Ich zögere kurz, schließlich folge ich ihm.

Grauer Teppich liegt auf dem Boden. Direkt gegenüber an der Wand, unter einem Fenster, steht eine dunkelblaue Couch. Ich gehe in das kleine Apartment und sehe nach links. Hinter einer Trennwand, etwas versteckt, steht ein Bett. Es ist fein säuberlich gemacht. Rechts steht in einer kleinen Nische eine Küche. Eine Tür daneben führt wahrscheinlich ins Bad.

An der Wand rechts hängen dunkle Regale. Eines davon ist verglast. Eric schließt die Tür, zieht seine Jacke aus und wirft sie auf die Couch. Dann geht er zu dem Regal und holt eine Flasche heraus. Irgendetwas Hellbraunes ist darin. Dann geht er zu der kleinen Kochnische und holt zwei flache Gläser heraus. 

"Die Couch beißt nicht.", sagt er. Ich verstehe die Anspielung und setzte mich.

Er kommt zu mir. Er hat einen Stuhl bei sich, den er vor den Tisch stellt. Eric setzt sich mir gegenüber und stellt mir eines der Gläser hin, dann gießt er mir etwas ein.

Ich nehme das Glas und rieche daran. 

„Whiskey.“, sagt er knapp, dann hebt er das Glas, prostet mir zu und trinkt es leer. 

"Ich erzähl dir mal was.", sagt er. Er stellt das Glas ab und gießt sich nach. Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas. Es ist so stark, dass mir kurz der Atem wegbleibt. "Die Ferox sind kein Witz. Wir sind keine lustige kleine Truppe, in der man Spaß haben kann. Wir sind eine Militärgruppe und kein Vergnügungspark."

"Das weiß ich.", gebe ich zurück. Ich nehme wieder einen Schluck.

"Du vielleicht. Aber fast alle, die herwechseln, denken, dass sie hier „ach so frei“ sein werden. Sie denken, wir haben den ganzen Tag Spaß, rennen durch die Stadt, springen von und auf Züge. Sie denken, wir tätowieren und piercen uns den ganzen Tag. Die haben keine Ahnung, was hier abgeht. "

Ich weiß nicht genau, was er mir mit dieser Predigt sagen will, aber ich höre weiter zu.

"Ich hasse es. Diese Verherrlichung. Diese Romantisierung der Ferox. Diese Kinder kommen hier her und haben keine Ahnung, was wirklich dahintersteckt, ein Ferox zu sein. Sie denken, alles wird leicht. Deswegen hasse ich jeden einzelnen Initianten, der hier her kommt. Weil ich ganz genau weiß, dass es nur eine Handvoll Leute verdient haben, wirklich hier zu sein."

Er gießt sich ein drittes Glas ein.

"Also. Ja. Es kommt jedes Jahr vor, dass sich Leute hier gegenseitig umbringen. Weil sie nicht wissen, was es bedeutet, hier zu sein. Sie ahnen nichts von dem Druck und den Aufgaben, die hier auf sie warten. Und schließlich drehen sie durch und verlieren den Kopf. Sie heulen in der Nacht rum und wollen wieder nach Hause und ich wünsche mir, dass sie einfach abhauen. Einer weniger, um den ich mich kümmern muss. "

"Das ist sehr negativ. Wieso bist du Ausbilder, wenn du die Leute so verabscheust?", will ich wissen. Er zuckt mit den Schultern und lacht. Er sieht kurz so aus, als würde er es selber nicht wissen.

"Nicht alle sind schlecht. Für manche lohnt es sich, zu kämpfen. Es lohnt sich, da zu sein und sich zu kümmern.", er sagt es mit fester und ernster Stimme.

Mein Glas ist leer, er schenkt mir nach.

"Wobei ich sagen muss, dieses Mal ist es ganz besonders brutal. Das erlebt man nicht jedes Jahr.", sagt er lachend. 

Er sieht so viel freundlicher und menschlicher aus, wenn er lacht. Wenn er wahrhaftig lacht. Nicht aufgesetzt. 

Sein Lachen zieht sich über sein halbes Gesicht, so breit ist es. Er hat sogar kleine Grübchen. Seine Augen funkeln. Ich erwische mich dabei, dass ich ihn gern ansehe.

"Du darfst das nicht so an dich rankommen lassen. Das ist es, was ich dir sagen will. Auch, wenn es deine Freunde sind. Wenn du hier bleibst, wird es immer wieder zu Intrigen kommen. Das hört nie auf. Glaub mir. Es wird eher schlimmer. Die kommen mit den Jahren, auf immer fiesere Ideen.", erklärt er mir.

"Du kannst einem echt Mut machen.", gebe ich zurück. Ich nehme mein Glas und leere es in einem Zug. Ich gewöhne mich langsam an das Zeug. 

Ich beginne, mich weiter in Erics Zimmer umzusehen. Ich finde nichts Persönliches von ihm. Keine Fotos an den Wänden oder den Regalen. Alles ist sauber, sogar die Küche blitzt.

Plötzlich senkt sich die Couch neben mir. Ich erschrecke mich, als ich sehe, dass es Eric ist. Klar, wer sollte es sonst sein. Mein Herzschlag beschleunigt sich merkbar.

"Willst du den Zahn eigentlich mal ausbessern lassen?", fragt er mich auf einmal. Meiner Meinung nach, beugt er sich ein wenig zu nah an mich heran. Ich rieche seine Alkoholfahne.

"Hab ich bisher nicht vor. Wieso, stört es dich?", frage ich, wobei ich ein Stück zur Seite rutsche. Leider werde ich von der Couchlehne aufgehalten.

"Nicht wirklich. Es hat was, um ehrlich zu sein. ", er lehnt sich zurück und lässt sich stattdessen gegen die Rückenlehne fallen. 

Ich starre ihn an.

"Ok, ich glaub es ist an der Zeit zu gehen.", sage ich. Ich stelle mein Glas zurück auf den Tisch und will aufstehen. Eric hält mich fest, auch wenn es nicht sehr fest ist.

"Ach komm, Parker.", meint er. "Setz dich wieder."

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich hier noch soll. Ich weiß nicht mal, wieso ich generell mit hergekommen bin.

"Was sagt die Hand?", fragt er mich. Auf einmal fällt mir ein, das ich wahrscheinlich keinen Alkohol hatte trinken dürfen. Nicht mit den Pillen, die Karen mir gegeben hat.

Ich sehe sie an. Jetzt wo er es sagt. Ich spüre keine Schmerzen mehr.

"Scheint alles gut zu sein."

Er lächelt. Es ist aufrichtig. Kein fieses Lächeln, kein gespieltes Lächeln. Einfach nur ein echtes Eric Lächeln. Er wirkt so freundlich und harmlos, wenn er nicht einen auf harten Ausbilder macht.

"Du solltest öfter mal lächeln. Oder nett sein. Dann könnten dich mehr Leute leiden.", sage ich ihm. Ich schaue ihn aufmerksam an und erwarte fast schon, dass er wütend wird. Er nimmt nur einen Schluck von seinem Whiskey und zuckt mit den Schultern.

"Ich will nur, dass Leute mich leiden können, die ich auch leiden kann. Und ich kann die wenigsten Leute leiden.", gibt er zurück. 

"Das fasse ich jetzt mal als Kompliment auf.", erwidere ich. Eric sagt kein Wort. 

"Die Anderen werden sich fragen, wo ich bleibe.", sage ich nun. Wieder stelle ich mein Glas ab. Eric sieht mich an.

"Die kommen auch mal einen Abend ohne dich aus.", gibt er zurück.

Einen Abend? Was denkt er, wie lange ich hier bleiben werde?

"Aber Carter. Nach der Sache mit Shepherd -", fange ich. In Erics Mimik hat sich etwas verändert.

"Ah, ja. Carter. Den hab ich ja fast vergessen. Deinen Märchenprinzen.", sagt er. Den letzten Satz sagt er besonders abfällig.

"Nochmal. Er ist nicht mein Märchenprinz.", erkläre ich ihm. "Und wenn er es wäre, was interessiert es dich?", will ich wissen. Noch immer lehnt er gegen die Rückenlehne der Couch. Er trinkt wieder einen Schluck.

"Es interessiert mich nicht. Es stört mich!", sagt er ehrlich. Die Erkenntnis trifft mich hart. Tessa hat Recht.

Ich zwinge mich, ihn anzusehen. Er erwidert meinen Blick tot ernst . So ernst, wie er mich anschaute, als ich im Ring stand und gegen Danielle kämpfte. So ernst, wie er mich immer ansah, wenn ich aus der Simulation erwachte.

Nun ist es eindeutig an der Zeit zu gehen. Ich stehe auf und gehe zur Tür. Er steht so schnell auf, dass ich mich erschrecke, als er sich mir in den Weg stellt.

"Wo willst du hin?", fragt er mich. Er wirkt bedrohlich auf mich. Was vor allem daran liegt, dass er einen Kopf größer ist, als ich. Er legt den Kopf schief und sieht mich an.

"Ich sollte wirklich gehen.", meine ich. Ich will ihn mit meiner gesunden Hand sanft zur Seite schieben. Doch er lässt sich nirgend wohin schieben.

Wieder rieche ich sein derbes Aftershave. Mein Herz beginnt noch stärker pochen.

"Denkst du, ich hab dir das Buch ohne Grund gegeben? Weil es mich einfach so überkam?", fragt er mich plötzlich. "Sicher nicht."

Wieder trifft mich der Schlag. Er war es wirklich. Ungläubig starre ich ihn. Er war es. Ausgerechnet er. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die ganze Zeit, hatte ich ihn für einen gefühllosen Klotz gehalten. Jemanden, dem ich solche liebevollen Gesten niemals zutrauen würde. 

Fast schon unbewusst greife ich nach oben, an seine Wange. Er muss sich seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert haben. Ich spüre die Stoppeln an seiner Haut. 

Dann ziehe ich sie schnell zurück. Sein Blick hat sich verändert. Er ist klar und ernst. Fast schon skeptisch mustert er mich an. Seine Stirn liegt in Falten. Es sieht aus, als kämpfe er mit sich selbst.

"Ich war so sicher, dass du es nicht warst.", sage ich ihm ehrlich. Einen Moment sieht er mich noch an. Er atmet schnell. Dann geht er endlich einen Schritt von mir weg. Ich atme erleichtert aus. Noch länger hätte ich nicht ruhig vor ihm stehen können. 

"Dann weißt du es jetzt.", sein Ton ist plötzlich besonders hart. Was ist los mit ihm? Er geht noch einen Schritt, diesmal allerdings zur Seite. Unschlüssig bleibe ich stehen. Es ist, als würde ich meine Beine nicht bewegen können. In meiner Hand kribbelt es.

Dann reiße ich mich los und verlasse seine Wohnung.

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Ich hoffe, es hat gefallen ;)

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