20. Kapitel - Josephine

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Als ich am nächsten Morgen aufstehe, tapse ich auf kalten nackten Füßen zu meiner Zimmertür. Ich nehme mir den silbernen Schlüssel von dem weißen Siteboard, neben meiner Tür und schließe diese auf. 
Seit ich zwölf bin, schließe ich jede Nacht meine Zimmertür ab und auch immer, wenn ich außer Haus bin, was so gut wie nie vorkommt. 
Ich schleiche die Treppe runter und springe über die letzte Treppenstufe, die sonst knarzen und meine "Eltern" aufwecken würde, was ich unbedingt vermeiden möchte. 
Im Wohnzimmer gucke ich mich um, um zu checken, dass niemand unten ist. Dann laufe ich weiter zu Kühlschrank und hole den Multivitaminsaft aus dem Kühlschrank, den meine Mutter immer kauft. 
Ich fülle mir ein Glas voll und lasse meinen Blick kurz durch das Wohnzimmer meiner Eltern gleiten.
Alles ist eintönig weiß und grau. An den Wänden hängen viele unterschiedliche farbenfrohe Bilder, die vermutlich den Raum verschönern sollen, aber sie bewirken eher das Gegenteil. 
An der Wand befindet sich auch der protzige Flachbildfernseher. Es war vermutlich der neuste und der teuerste, den meine Eltern finden konnten. 
Auf dem teuren Glastisch stehen dutzende Bierflaschen, die mein Vater vermutlich letzte Nacht hier stehen gelassen hat, weil er zu betrunken war sie wegzuräumen. 
Meiner Mutter wird das nicht gefalle, höchstwahrscheinlich werden sie sich später darüber streiten und mein Vater wird versprechen sich zu ändern und meine Mutter wird wieder darauf hereinfallen. Dabei müsste sie langsam mal verstehen, das mein Vater sich nicht ändern will und wird. 
Es ist schon irgendwie komisch, ich lebe seit meiner frühsten Kindheit in diesem Haus, dennoch ist es mir so fremd und ich scheine hier auch eher eine Fremde zu sein. 
Ich weiß nicht, wann ich mich hier zuletzt so richtig Zuhause gefühlt habe. Das muss wirklich Ewigkeiten her sein. Oder vielleicht habe ich mich ja nie Zuhause hier gefühlt. 
Man sagt immer, dass man dort Zuhause ist, wo man bei den Menschen ist, die man liebt und die einen lieben, aber wenn das stimmt habe ich vermutlich kein Zuhause. 
Bei Lars ist das alles so anders. Er ist bei Leuten, die ihn verstehen, die ihn lieben. Er hat ein Zuhause und ich würde gerade so gerne mit ihm tauschen. 
Ich frage mich, warum ich mir erst jetzt auffällt, dass ich kein Zuhause habe und warum mich das überhaupt stört. 
Letzte Woche wäre mir das alles noch so egal gewesen, doch das liegt jetzt in der Vergangenheit. Sollte ich traurig darüber traurig sein? 
Ich wende meinen Blick von dem trotzlosen Wohnzimmer meiner Eltern ab, schleiche wieder leise nach oben und schließe mich in meinem Zimmer ein. 
Ich muss Lars anrufen, um mit ihm die Sache mit dem Trip zu klären. 
Dieser Trip wird meine Möglichkeit sein, endlich von hier zu verschwinden und alles zu vergessen, zumindest für eine kurze Zeit. 
Ich will nicht nochmal runtergehen, deshalb nehme ich mein Handy von meinem Nachttisch. 
Ich lese Lars Festnetznummer von der Klassenliste, die über meinem Schreibtisch hängt, ab und tippe sie in mein Handy ein. 
Mein Handy piept eine Weile, bis endlich jemand dran geht. 
"Hallo, wer ist da?", fragt eine kindliche, hohe und piepsige Stimme, die höchstwahrscheinlich Emma gehört. 
"Hallo Emma, hier ist Josephine", sage ich. 
"Hallo Josephine!", antwortet Emma erfreut. 
"Könntest du mir vielleicht Lars ans Telefon holen?", frage ich. 
Emma kichert. 
"Klar, ich gebe ihn dir. Warte kurz", sagt sie. 
Kurze Zeit später meldet sich Lars, mir mittlerweile vertraute Stimme, am anderen Ende.
"Hallo? Bist du noch dran?"
"Ja. Hey", sage ich etwas unbeholfen. 
Kurze Zeit herrscht Schweigen, jeder wartet darauf, dass der andere etwas sagt. 
"Ähm, also, ich wollte dich nur nochmal wegen des Tripes anrufen, um eben zu fragen, wann es denn losgeht und was ich mitnehmen muss", versuche ich es. 
Gott, telefonieren ist echt furchtbar! Man kann den anderen nicht sehen und muss irgendwas erzählen. Höchstwahrscheinlich wurde das Telefon nur erfunden, damit den Leuten nicht so schnell langweilig wird! Ich weiß, dass das vollkommener Quatsch ist. Deshalb habe ich auch keine Ahnung, warum ich sowas nur denke. Ich bin gerade einfach nur verwirrt! 
"Äh, also, ich würde sagen, dass du einfach alles mitnimmst, was du normalerweise zu einer Übernachtung mitnimmst. Nur halt mehrere Klamotten und auch wärmere", sagt Lars. 
"Ich war noch nie auf einer Übernachtung", unterbreche ich ihn. 
"Oh, ok. Dann nehme einfach Klamotten für eine Woche, festes Schuhwerk, einen Schlafsack und halt Zahnbürste und so Zeugs mit", sagt Lars. 
"Alles klar. Und wann treffen wir uns und wo?", frage ich. 
So macht man das doch bei Telefonieren, oder?
"Ich würde sagen. Wir treffen uns übermorgen bei mir, also, wenn dir das passt"
"Natürlich, dass passt bei mir. Ich habe sowieso nichts in den Ferien vor", sage ich. 
"Gut", sagt Lars und seine Stimme klingt aus irgendeinem Grund erleichtert, "Ich muss jetzt auch Schluss machen, es gibt bei uns gleich Frühstück"
"Kein Problem. Guten Appetit!", sage ich. 
"Ja, danke", sagt er. 
Wir schweigen wieder. 
"Tschau", sagt er dann. 
"Tschüss", murmele ich und lege auf.
Ich lasse mich auf mein Bett sinken. 
Übermorgen... Es ist noch so lange bis dahin!
Ich glaube, dass ich noch nie so unbedingt wollte, dass ein Ereignis endlich näherkommt.
Es sind noch ungefähr 38 Stunden. 
38 Stunden, die ich irgendwie überleben muss. 

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Hallo! Es tut mir echt leid, dass so lange kein neues Kapitel mehr raus kam, aber mir fehlten einfach die Ideen und vielleicht auch ein wenig die Motivation. 
Fragst du dich auch, warum Josephines Verhältnis zu ihren Eltern so schlecht ist? Und was könnte ein Grund dafür sein? Und warum schließt Josephine ihre Zimmertür ab?

Niemals... VielleichtOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz