Let's get this party started

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Eine Woche. Das kann einem unendlich lange vorkommen zum Beispiel kurz vor den langen ersehnten Ferien; oder ganz kurz so wie jetzt. Mir bleiben noch genau 7 Tage hier in Deutschland, bevor ich mein Heimatland für ein Jahr verlasse. Was ich dabei empfinde? In meinem Kopf ist ein heilloses durcheinander von entgegengesetzten Emotionen: Freude und Trauer, Abenteuerlust und Ich-würde-am-liebsten-hierbleiben.
Ich freue mich auf die USA, mein absolutes Traumland, doch dafür muss ich alles hier verlassen. Es geht weniger um den Ort (hier passierte sowieso nie irgendwas), sondern mehr um die Menschen. Familie, Freunde, Bekannte.
Ich bin dann mal weg-für ein Jahr. Eine lange Zeit, viel kann sich verändern. Wir, die wir teilweise schon seit dem Kindergarten in einer Gruppe/Klasse waren, gehen jetzt getrennte Wege. Das ist neu. Ich war nie allein, immer hatte ich jemanden, den ich schon kannte an meiner Seite. Doch jetzt sind die anderen nicht nur eine Klassenzimmertür entfernt, sondern ca. 6000 km. Wenn man sich dort allein fühlt, kann man nicht mal einfach rübergehen.

Angst, dass sich die anderen verändern. Das Abi geschafft – nun geht für manche direkt ins Studium, aber nicht hier in der Nähe, sondern nach Gießen, Marburg und Mannheim. Sie wohnen nicht mehr in meiner Nähe, finden neue Freunde, Kommilitonen und Mitbewohner. Jetzt kann man nicht einfach nachts mal schnell vorbeifahren und eine 3-Stöckige Torte backen. Ich fürchte mich nicht am meisten vor dem großen Unbekannten, sondern davor, dass das Bekannte hier zum Unbekannt wird, wenn ich wieder zurückkomme.
Aber man sollte sich nicht von seinen Ängsten kontrollieren lassen. Seek Discomfort ist das Motto eines Youtube-Kanals. Sich etwas trauen, obwohl man sich davor fürchtet, denn man weiß nie was einen am Ende erwartet.

Also wage ich es. Ein Jahr in einem anderen Land, weit entfernt von allem Bekannten. Warum?

Ehrlichgesagt habe ich nicht gedacht, dass es klappt. Und sonst auch niemand. Das war für mich die einfachste Lösung, denn ich habe keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Ausbildung? Nö. Studieren? Eigentlich ja. Aber das direkt nach 13 Jahren Schule? Nein, danke. Ich hatte die Schnauze erstmal voll vom Lernen. Also eine Pause. Aber nur hier Zuhause rumsitzen und als Küchenhilfe arbeiten? Nein, ich wollte was erleben, die Welt sehen.
Ich war natürlich viel zu spät: hab mich erst im Dezember beworben. Alle sagten mir: Das wird nichts.
Es sah wirklich schlecht aus. Im Sommer hatte ich mich für Kanada beworben, 80 Stunden Kinderbetreuung, das würde ich schaffen. Die Herbstferien für ein Praktikum im Kindergarten opfern und einmal die Woche beim örtlichen Kinderturnen helfen. Soweit, so gut. Aber natürlich fällt der Agentur kurz vor Weihnachten ein die Stundenzahl zu erhöhen. Auf 200. Bis Januar. Unmöglich. Ich sah mein Traum schon als geplatzt an.

Doch dann fand ich eine Agentur, AIFS, bei der 200 Stunden Kinderbetreuung als Qualifikation ausreichten. Für die USA. Davon hatte ich immer geträumt. Ich hatte Kanada nur deshalb gewählt, weil man dort auch nur 6 Monate bleiben konnte und weniger Kinderbetreuungsstunden brauchte. Aber jetzt hatte ich ein neues Ziel. Die USA. Warum nicht? Dachte ich mir, ziemlich sicher, dass ich zu spät für den Bewerbungsprozess war, da ich eben erst 80 der 200 Stunden hatte. Mit der Hilfe und Unterstützung meiner Freunde und Familie (Dank geht raus an Mama, das Team vom Kinderturnen & dem Kindergarten und meine AIFS-Betreuerin) hatte ich doch bis Ende März die 200 Stunden voll.

Aber das war längst nicht alles, die Bewerbung war extrem zeitaufwendig und einfach nur ein riesengroßer Haufen Arbeit. Über ERWEITERTE Polizeiliche Führungszeugnisse, internationale Führerscheine, Bewertungen von Lehrern und einem sehr peinlichen, aber höchst unterhaltsamen Bewerbungsvideo (professionell gefilmt by Anna-Lena) war alles dabei. Die letzte Hürde stellte der Medical Report dar. Mein Arzt, geschätzte 150 Jahre alt mit äußerlicher Ähnlichkeit zu Dr. Stethoskop aus Jim Knopf, weigerte sich die banalsten Fragen auszufüllen. Nach einem unterdrückten Wutausbruch und nicht laut geäußerten Morddrohungen füllte er den Report, mehr schlecht als recht, aus.
Dann kam das Matching, also die Suche nach einer Gastfamilie. Bei AIFS läuft der Matching-Prozess über die Amerikanische Partnerseite Au Pair In America. Ausgewählte Gastfamilien erhalten deine Bewerbung und können sie behalten oder ablehnen. Ich hatte meist an die 8 interessierte Familien gleichzeitig. Da war wirklich alles dabei: von Leute aus Seattle, die auf einer Insel lebten, über Gesundheitsfreaks und Marathonläufer bis hin zu einer Anwältin mit einem Apartment mit Blick auf den Central Park und einem Haus in den Hamptons.

Ich hielt viel E-Mail Kontakt und mein Englisch wurde immer besser, durch die vielen Skype Anrufe. Besonders Gefallen fand ich an einer Familie aus New York mit 3 Kindern von 9-13. Die Enttäuschung darüber, dass die Familie mich später einfach, ohne eine Erklärung löschte, wog schwer. Insgesamt meldeten sich über 20 Familien und ich hatte den Luxus wählen zu können. Dabei achtete ich weniger auf die Vorteile (eigenes Auto, viel frei Zeit, guter Wohnort etc.) sondern einfach auf mein Gefühl. Ich würde mit dieser Familie ein Jahr zusammenleben, was nutzt da ein eigenes Auto, wenn ich mich nicht mit ihnen verstand?

Es wurde schließlich eine Familie aus Virginia, 30 Minuten von Washington D.C. entfernt. Die Familie, 3 Mädels mit 8,10 und 14 Jahren, war mir schon nach dem Lesen des Briefes sympathisch. Auch der Skype-Anruf, bei dem gleich die ganze Familie + Katze dabei war, bestätigte den Eindruck. Dabei wurde gleich wichtige Themen wie der Lieblings Marvel Held (Iron Man) und das beste Percy Jackson Buch diskutiert. Wir telefonierten noch ein weiteres Mal und beschlossen zu Matchen. Deshalb Tipp an alle zukünftigen Au Pairs: ihr merkte es, wenn ihr die richtige Familie gefunden habt und die Familie merkt es ebenfalls. Klammert euch nicht an coole Wohnorte, wie ein Apartment mitten in New York City, sondern seht zu, dass ihr euch bei der Familie wohlfühlt.
Dann war es also tatsächlich passiert: Ich hatte eine Familie und würde wirklich für ein Jahr in die USA reisen. Der Gedanke an meine zukünftige Familie machte es mir leichter, auf einmal wollte ich am liebsten sofort los und sie kennenlernen. Doch natürlich stand sowas lästiges wie Abi-Prüfungen im Weg.

Jetzt ist es fast soweit. Eine Woche noch. Ich beschloss nochmal alles zu machen was ich dort nicht machen kann: viel mit meinen Freunden unternehmen, Nudeln in der Shisha-Bar essen, feiern und auf jeden Fall genügend Alkohol trinken ;)

American Horror Story - Mein Leben als AuPairWhere stories live. Discover now