Bleib bei mir

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Carol und Beth hatten Jodie umarmt, als hätten sie sie jahrelang nicht gesehen und als wäre Jodie eine gute Verwandte.

Es war als wäre Jodie ein Teil einer Familie. Und irgendwo waren sie das auch. Eine Familie.

In dieser Welt kamen so viele unterschiedliche Leute zusammen und bildeten eine neuen Familie und das war auch das schöne daran. Aber es gab eben auch nie eine Garantie, dass man einander wiedersah, wenn man erst mal getrennt voneinander war.

„Wir hatten schon geglaubt, wir sehen dich nie wieder. Warum bist du einfach weggelaufen?", fragte Beth.

„Ich hatte Angst", schrieb Jodie auf ihren Arm.

Carol umarmte sie erneut und hielt sie lange fest.

„Jetzt brauchst du keine Angst mehr haben", meinte sie sanft und strich ihr übers Haar.

„Wir sind da und wir passen alle aufeinander auf. Okay?", meinte Beth sanft und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

Ihr Blick war ebenso sanft, aber auch eindringlich. Jodie nickte schließlich, obwohl sie sich nicht sicher war. Sie würde bleiben. Zumindest solange, bis Daryl wieder vollständig auf den Beinen war und dann würde sie nachdenken, ob sie bleiben würde.

Alle wollten, dass sie hierblieb, sahen sie als Teil einer Familie. Aber Jodie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich war. Sie fühlte sich nicht so. Auch wenn diese Menschen hier eine Familie geworden waren, so fühlte sie sich nicht, als wäre sie ein Teil davon.

„Geh dich duschen, dann mach ich dir die Haare und dann ruhst du dich aus, okay?", fragte Beth. Jodie nickte und Beth drückte kurz ihre Schulter, ehe sie mit Carol ging. Jodie ging zu ihrer Zelle, nahm sich ein Handtuch, was Carol dort für sie bereit gelegt hatte und suchte sich frische Kleidung heraus. Dann ging sie zur Dusche und zog sich dort aus und stellte sich unter den Strahl. Obwohl ihre letzte Dusche nur zwei Tage her war, genoss Jodie das Wasser, das den Dreck abwusch und ihre Muskeln entspannte. Nachdem sie sich angezogen und ihre nassen Haare gekämmt hatte, ging sie zu Beth. Sie setzte sich vor Beth auf den Boden, und Beth setzte sich hinter ihr auf das Bett und begann ihr die Haare zu einem eleganten Zopf zu flechten.

Jodie ließ es schweigend geschehen, sie fühlte sich wie ein Roboter. Mechanisch. Als müsste sie das alles tun, um weiter zu überleben. Sie hätte es heute in der Hand gehabt. Hatte über Rodericks Schicksal entscheiden können und das der Anderen. Sie hätte sagen können, dass sie fortmussten oder sterben sollten. Aber das war nicht ihre Art. Jodie war nicht mehr das selbe verängstigte Mädchen wie damals. Sie war nicht mehr unschuldig, so wie früher. Sie hatte getötet. Mehr als einmal. Und es würde wieder passieren. Und vielleicht war es diesmal Roderick. Vielleicht war es ein Fehler ihn hierzulassen. Aber Jodie wollte nicht, noch mehr Menschen töten. Wollte nicht für noch mehr Tode verantwortlich sein. Roderick, seine Freunde und sein Dad waren keine Überlebenskünstler. Sie würden da draußen nicht weit kommen.

Jodie wollte menschlich bleiben und hatte sich deshalb gnädig entschieden. Aber ob es letztendlich die richtige Entscheidung gewesen war, das wusste sie nicht.

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Daryl konnte nicht schlafen. Seine Schulter ging es dank Jodie und Doktor S. schon viel besser. Aber nun quälten ihn andere Sorgen. Jodie.

Ging es ihr gut? Würde sie diesmal bleiben? Würde sie vielleicht über Nacht abhauen? Oder sich diesmal verabschieden? Sie hatte so verflucht unentschlossen ausgesehen, als Daryl sie heute mit den Augen gefragt hatte, ob sie blieb.

Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher als das. Sie sollte bleiben. Bei ihm und den anderen. Er brauchte sie.

Seufzend richtete er sich auf und fuhr sie müde über die Augen. So würde er heute keinen Schlaf mehr finden. Er sah zur Zellentür und kaute nachdenklich auf seiner Wangeninnenseite.

Silent FighterWhere stories live. Discover now