Regeln

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Jodie fing an sich zu einzugewöhnen. Langsam aber stetig. Gewöhnte sich an ihre Zelle in der sie schlief. Gewöhnte sich an die Zäune im Gefängnis und die Beißer darum. Gewöhnte sich an die stetigen Arbeiten im Gefängnis, an Coles kleine Mitbringsel für sie, wenn er von einer Tour wieder kam, an das Baby, die anderen Bewohner, die Hänseleien der anderen Kinder wegen ihrer Stummheit. Doch leider gewöhnte sie sich nicht daran mit welcher Kreativität und wann diese Hänseleien an ihr stattfanden. Und es gab noch etwas anderes, an dass sie sich nicht gewöhnte. Diese innere Rastlosigkeit in ihr. Als wäre sie gefangen. Sie wusste, dass die Zäune und Mauern des Gefängnisses sie beschützten, aber gleichzeitig fühlte sie sich dadurch auch eingeengt und gefangen. Vor ihr konnte sie immer wieder die Wälder sehen, die verlockend grün vor ihr lagen, wenn sie an den Zäunen stand. Die Zäune waren das Einzige, was sie davon trennte. Was gäbe sie nicht dafür mal wieder in den Wald zu gehen, die Luft dort einzuatmen, vielleicht auch mal wieder Fallen aufzustellen um Tiere zu fangen oder einfach nur die Stille und auch Geräusche dort zu genießen. Aber der Ausgang wurde allen Kindern verwehrt. Nur die Leute die hin und wieder auf Tour gingen oder Daryl, der jagen ging, durften nach draußen. Alle anderen war der Ausgang versperrt.

Jodie wusste, dass es zu ihrer eigenen Sicherheit war, aber sie vermisste die Freiheit draußen.

Deshalb versuchte sie sich von diesem Gedanken so oft, wie möglich abzulenken, indem sie verschiedene Arbeiten annahm. Die meisten Kinder in ihrem Alter halfen nur in der Küche, bei der Wäsche oder passten auf Judith auf. Da Jodie aber auch schon aus eigenem Antrieb geholfen hatte Beißer am Zaun zu töten und Cole außerdem schon Rick erzählt hatte, dass sie bereits bestens mit Schusswaffen umgehen konnte, durfte Jodie als eine der einzigen unter den Kindern auch dabei helfen, die Waffen zu reinigen und eben Beißer am Zaun zu erledigen.

Und Rick hatte Jodie versprochen darüber nachzudenken, ob er sie nicht auch mal zum Wachdienst einteilen würde. So hatte Jodie immerhin ein wenig Abwechslung im Gefängnis und freute sich darüber. Mittlerweile waren schon drei Monate vergangen, seit sie hier im Gefängnis angekommen waren. Jodie machte für jeden Tag einen Strich in ihr Tagebuch. Jeder Tag ein weiterer Erfolg. Sie hatte überlebt. Die Beißer, andere Menschen, die Hänseleien der Kinder.

In letzter Zeit machte ihr das doch mehr Sorge. Sie hatte einfach gehofft, dass es aufhören würde, wenn sie Roderick und die anderen nur lang genug ignorierte. Aber mittlerweile wurde es immer schlimmer und Roderick war scheinbar völlig egal, wie weit er mit seinen Streichen und anderen Demütigungen ging. Genau wie die anderen Kinder. Sie verstanden Jodie einfach nicht. Verstanden nicht ihre Stummheit und ihre Distanz. Sie wirkte fremd auf sie und auch auf andere Erwachsene. Auch wenn diese sich schon längst mit Jodies Schweigen abgefunden hatten. Wochenlang hatten es alle möglichen Erwachsenen mit allen möglichen Mitteln versucht. Aber irgendwann gab man auf, auch weil Cole eingeschritten war und gesagt hatte, dass es bei ihr keinen Sinn hatte und Jodie reden würde, wenn sie sich dazu bereit fühlte.

Jodie war Cole dankbar dafür, dass er sie so akzeptierte und scheinbar nicht als verrückt betrachtete, so wie die anderen. Er war wie ein großer Bruder für sie.

Er war einer der wenigen, bei dem Jodie es noch wichtig war, wie er über sie dachte. Er war ihre einzige Familie, ihre Stütze. Aber mittlerweile gab es auch andere Leute, die ihr wichtig geworden waren. Sie konnte Carl und Beth gut leiden, da sie die einzigen in ihrem Alter waren, die sich nicht viel aus ihrer Stummheit machten und trotzdem so normal wie möglich mit ihr umgingen. Sie hatte bereits sehen können, dass beide schon viel Schlimmes gesehen haben mussten, auch wenn sie nicht wusste, was beide schon durchgemacht hatten.

Auch Rick mochte sie. Er war autoritär, schien immer die richtige Lösung zu finden und war nett und verständnisvoll, wenn man mal einen Fehler machte. Er konnte allerdings auch hart durchgreifen, was Jodie richtig fand, ihr gleichzeitig aber auch etwas Angst einflößte, da es sie ein Stück weit an Melvin erinnerte.

Silent FighterWhere stories live. Discover now