Tag 2: Heimweh, Schmerzen und Langeweile...

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Am nächsten Morgen als Dany aufwachte fühlte er sich mehr als schlecht. Es war nicht dasselbe Gefühl, das er hatte wenn er aß.

Er fühlte sich gesundheitlich schlecht. Ihm war kalt und heiß zugleich. Er wollte sich am liebsten ausziehen und sich noch mehr anziehen.
Obwohl der Junge schwitzte zitterte er wie Espenlaub und zog die Beine an, während er die Bettdecke wegschlug.
Er spürte seine Beine nicht mehr und versuchte deshalb aufzustehen. Mit seinen Armen stützte er sich am Bett ab und trat auf.
Augenblicklich brach er zusammen und landete schmerzhaft auf dem Boden. Er probierte vergebens wieder auf die Beine zu kommen und blieb schließlich fluchend liegen. Vor seinen Augen begann sich das Zimmer zu drehen und seine Umgebung wurde seltsam dunkel. So als würde jemand das Licht dämmen.
Das letzte woran sich der sechzehnjährige erinnerte waren Schritte und weit entfernte Stimmen.



Ein seltsames Geräusch, das Klang wie ein Klirren, weckte den Jungen auf. Er schlug müde die Augen auf und sah sich um. Er lag nicht in seinem Zimmer. Es roch steril und sah aus wie ein Untersuchungsraum.
Neben ihm schimpfte jemand und von der anderen Seite drangen gedämmt Stimmen zu ihm durch.
,,Ausgerechnet jetzt wachst du auf.", Ben zog sich gerade Handschuhe an und warf ihm einen mitleidigen Blick zu.
,,Wieso?"
Ben warf einen Blick zu einer Schwester, die einen dünnen Schlauch in den Händen hielt.
Nein.
Nein.
Nein.
,,Nein."
,,Das hast nicht du zu bestimmen, Dany. Deine Eltern haben uns die Erlaubnis gegeben. Wir haben es so lange wie nur möglich hinausgezögert, auch wenn es nur ein zwei Tage waren. Wir haben dich gewarnt und die gesagt, dass es passieren wird, wenn du nicht isst. Jetzt musst du eben mit den Konsequenzen zurechtkommen.", Ben nahm den Schlaun an sich und schmierte eine Art Gel auf den Schlauch.
,,Setz dich bitte auf und leg deinen Kopf in den Nacken. Je schneller du mitmachst umso schneller ist es vorbei."
Er dachte einen Moment daran sich zu weigern, solange dagegen anzukämpfen wie es nur ging, aber eine kleine, leise Stimme sagte ihm, dass er einfach gehorchen sollte.
Dass er endlich aufhören sollte sich zu sträuben und es einsehen. Alles einsehen.
,,Ist es schmerzhaft?"
,,Ein wenig unangenehm."
,,Nur ein wenig?"
Ben nickte und widerwillig setzte sich Dany auf. Einen kurzen Augenblick betrachtete er den dünnen Schlauch.
Dann beugte er seinen Kopf nach hinten und schloss seine Augen.
Als Ben dann begann, den Schlauch einzuführen begann, spürte Dany jeden einzelnen, noch so kleinen, noch so unempfindlichen Nerv in seiner Nase.
Er wäre am liebsten schreiend weggelaufen. Nach Hause. Zu Nate. Stattdessen ballte er seine Hände zu Fäusten, sodass seine Nägel sich in seine Handflächen gruben.
Es war als würde Ben mit einer Nadel seinen Kopf durchbohren und das quälend langsam. Er konnte genau spüren, wie der Schlauch durch seinen Rachen geschoben wurde und durch seine Speiseröhre, bis sie endlich saß.
,,So.", Ben klebte den Schlauch mit Klebeband an seiner Wange fest und verband ihn dann mit einem Beutel.
,,Wir sind fertig."
Der Kopf des sechzehnjährigen dröhnte, als er sich erschöpft wieder in das Bett fallen ließ und schluckte, spürte er den Schlauch wie eine spitze Nuss die in seinem Hals steckte.
Er wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und schloss dann seine Augen.
Ein wenig unangenehm.
Mhm...


Ben schob ihn zurück in sein Zimmer und ließ ihn dann alleine. Schluchzend rollte sich der Junge im Bett zusammen und schlang die Arme um sich selbst.
Er wollte diesen verdammten Schlauch herausreißen und ihn in die nächste Ecke werfen. Der stechende Schmerz in seiner Kehle, jedes Mal wenn er schluckte und das Wissen nun keinerlei Kontrolle mehr über sein Gewicht zu haben, von dem Dröhnen in seinem Kopf mal abgesehen, machten es unmöglich sich zu beruhigen.
Es frustrierte ihn nur noch mehr.

Wie lange er einfach so dagelegen hatte wusste er nicht. Als Ben mit einem Arzt und einem Klemmbrett unterm Arm in sein Zimmer kam, sah er nicht einmal auf. Er presste sich in das Bett und zog die Decke über seinen gesamten Körper um sich ein wenig geschützter zu fühlen. Er hatte hier keinerlei Privatsphäre.
,,Dany du weißt, dass du dich vor uns nicht verstecken musst oder?", der Arzt setzte sich an den Bettrand und wollte die Bettdecke etwas zurück ziehen, weshalb sich der weißhaarige daran fest krallte.
,,Verschwindet und lasst mich alleine.", fauchte der sechzehnjährige mit rauer und erstickter Stimme.
Er konnte beinahe sehen wie der Arzt einen Blick zu Ben warf.
,,Du hast ab jetzt Bettruhe, bis du 75 Pfund erreichst. Wenn du nebenbei auch noch isst, geht es schneller. Das liegt an dir. Zunehmen wirst du so oder so. besuchen dürfen dich nur Familienangehörige. Wenn du erst mal das Mindestgewicht erreicht hast, wird alles einfacher. Das Mittagessen wird dir in einer Stunde gebracht. Wenn du duschen möchtest, sag einer Schwester oder einem Pfleger Bescheid, jemand wird dir helfen.", während Ben ihm die neuen Regeln mitteilte versuchte Dany krampfhaft nicht gleich wieder loszuheulen.
Er wollte nach Hause.
Hier weg.

Er erwiderte nichts und wartete ab, bis die beiden wieder gehen.
,,Ich komme morgen wieder und wenn du dich dann wieder weigerst, dich untersuchen zu lassen, werden wir wohl eine Besuchssperre einlegen müssen.", sagte der Arzt bevor er aufstand und gemeinsam mit Ben ging.
Zumindest dachte Dany das.
Als er unter der Bettdecke hervorlugte, bemerkte er, dass Ben noch da stand.
,,Ich weiß, dass du jetzt sauer bist und noch einiges mehr, aber es geht eben nicht mehr anders."
,,Kann ich dich etwas fragen?"
,,Immer doch."
,,Warum ist Riley hier?"
,,Ich darf dir keine Auskunft über andere Patienten geben. Aber du könntest die Frage anders formulieren."
Einen Moment lang dachte Dany nach.
,,Welche Station liegt im dritten Stock?"
,,Die für Suizidgefährdete Patienten und Patienten mit starken Depressionen."
,,Okay."
Dany drehte sich wieder weg und rollte sich unter der Bettdecke zusammen. Er hörte wie die Türe geöffnet wurde und Ben ging.


Das Mittagessen rührte er nicht an und genauso wenig das Abendessen und die Zwischenmahlzeiten.
Er hatte den ganzen Tag nur im Bett gelegen und hatte sich unter eine kalte Dusche gestellt. Er vermisste Riley jetzt schon.
Am Abend, als Dany sich nachdem er sich die Zähne geputzt hatte ins Bett gelegt hatte, rief Nate an.
Und Dany hätte am liebsten geweint vor Freude.

,,Nate?"
,,Hi Dany. Wie...geht es dir?"
,,Ich will nach Hause. Ich will hier weg!", er begann wieder zu schluchzen.
,,Ich weiß, Dany. Aber es geht nun mal nicht anders. Wir wollen nur das Beste für dich und sonst nichts. Auch wenn es dir anders vorkommt."

,,Kommst du mich mal besuchen? Und kannst du Opal mitbringen?"
,,Ist das überhaupt gut für ihn?"

,,Es macht ihm nichts aus wenn du ihn richtig transportierst. Heißt das ja?"
,,Ich habe morgen ein paar Stunden früher aus und konnte dich Nachmittag besuchen kommen. Soll ich Mum und Dad auch mitnehmen?"
,,Nein. Ich will sie nicht sehen."
,,Dany..."

,,Nichts Dany."
,,Wir reden morgen darüber, ja? Ich bin müde und du solltest auch schlafen gehen. Gute Nacht, Dany."
,,Gute Nacht, Nate."

Als Nate auflegte schaltete Dany die Nachttischlampe aus und legte sich schluchzend in das Bett. Er schaffte es nicht einzuschlafen.
Die Kopfschmerzen waren unerträglich. Er war erschöpft aber nicht wirklich müde. Im Normalfall hätte er jetzt gelesen, aber da man ihm die Bücher genommen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig als sich zu langweilen.
Also lag er im Bett und starrte auf den Himmel. Keine einzige Wolke war mehr zu sehen und die Sterne schienen gemeinsam mit dem Mond auf die Stadt.
Er wollte einfach nur nach Hause zu seinen Büchern und Opal, der sich sicher schon fragte wo er war.
Ob Riley noch wach war?
Sie hatten am vorigen Nachmittag ihre Nummern ausgetauscht für den Fall, dass einer früher gehen durfte...


01:23 Dany:
Bist du noch wach?

01:40 Riley:
Ja leider. :(

01:41 Dany:
Ich nehme an, du kannst auch nicht schlafen.

01:45 Riley:
Ich habe dich heute bei den Essen vermisst. Alles o.k?


Einen Moment lang dachte Dany nach. Sollte er ihm sagen, dass man ihm eine Magensonde gelegt hatte?
Er würde es wahrscheinlich sowieso herausfinden.



01:59 Dany:
Die haben mir eine Magensonde verpasst und ich darf mein Bett nicht verlassen. Besuchen darf mich auch nur meine Familie.


02:00 Riley:
Wie lange? :'(


02:01 Dany:
Ich weiß es nicht.


02:03 Riley:
Hat es weh getan??


02:04 Dany:
JAAAAA


02:07 Riley:
Uhhhhh. Wie ist das so?


02:09 Dany:
Beschissen....ich will hier weg!


02:11 Riley:
Ich auch. Hab wieder Besuch bekommen...


02:13 Dany:
Deine Eltern?

02:13 Riley:
Nein meine Brüder. Heißt das, ich darf dich nicht besuchen kommen?


02:15 Dany:
Ich glaube nicht. Mir ist furchtbar laangweilig.


02:20 Riley:
Spielen wir ein Spiel?




Ein Lächeln breitete sich auf den Lippen des Jungen aus.



02:22 Dany:
Gerne.


02:30 Riley:
Frage und Antwort?


02:31 Dany:
Von mir aus


02:33 Riley:
Ich fange an. Hast du eigentlich schon mal mit jemanden geschlafen?


02:35 Dany:
War ja klar dass so eine Frage kommt...


02:36 Riley:
Ja oder nein


02:37 Dany:
...nein und bevor du fragst, nein mit mir hat auch noch niemand geschlafen wenn du weißt was ich meine.
Was ist mit dir?
Mit wie vielen hast du schon geschlafen?


02:40 Riley:
4. Wie lange warst du mit diesem Collin zusammen?

Collin. Der Junge der ihm das Gefühl gegeben hatte geliebt zu werden und ihn schließlich fallen gelassen hatte.



02:42 Dany:
In etwa ein Jahr. Sind das Narben auf deinen Armen?


02:50 Riley:
Ich werde schlafen gehen. Oder es zumindest versuchen. Gute Nacht Dany


02:51 Dany:
Ich weiß, welche Station im dritten Stock ist. Gute Nacht.

Wake UpWhere stories live. Discover now