Akzeptierte Entscheidungen

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Endlich wurden die Tage in Ost- Sibirien erträglicher. Die Temperaturen gingen nach oben- und damit über den Gefrierpunkt.

Abschied ist nie einfach.

Lonok, der sein Leben als Erwählter verbracht hatte und Marica am Längsten beigestanden hatte, war schon Anfang Mai zurück in die Länder der Mansen gereist. Es würde vermutlich ein dauerhafter Abschied von ihm sein. Er bestand jedoch darauf, dass Bors bei Marica blieb. Und er ließ Marica und Bors nicht mittellos zurück- die Mansen hatten sehr großzügige Spenden für die Erwählten und die Herrin gegeben. Und jetzt waren sie von Nöten.

Es war weniger ein Misstrauen gegen das Volk der Ewenken und deren Schamanin, was Lonok nur schweren Herzens abreisen lies- es war eher die Sorge, dass die Herrin Marica eine kleine Starthilfe benötigen würde.

Bors sollte alle Aufgaben erledigen, welche um Marica herum zu bewerkstelligen waren.

Noch hatte Marica nach den Ereignissen im Februar im Ural nicht zu ihrer alten Stärke gefunden. Dies konnte noch Jahre andauern.

Die Schamanin kannte nun die Wahrheit um Marica's wahre Herkunft. Sie schützte Marica und Bors und unterstützte die 'Legende' von dem jungen Paar. Sie hatte sogar dafür Sorge getragen, dass Marica eine leere Ewenkenhütte nutzen durfte, bis der Winter ging und eine bessere hergerichtet werden konnte. Dafür war nun die Zeit.

Gabuna führte endlose Gespräche mit Marica, hatte Fragen über die alten Zeiten und Marica's Wirken auf die Natur. Die Schmanin gab ihrerseits auch über ihren Schamanenkult und die Seelenwiderkehr der Ewekengeister ihre Auskunft. Bors lauschte ihren Geschichten sehr gern, denn die alte Gabuna wusste leidenschaftsvoll vorzutragen. Wenn Gabuna redete, wurden die Geschichten sehr lebendig.

Man lernte in er Dorfgemeinschaft der Ewenken in Rostiak die zwei Neuankömmlinge zu akzeptieren. Bors machte sich im Magazin nützlich und zeigte sowohl als Jäger als auch bei der Ausbesserung von Hütten sein Geschick. Gabuna hielt es nicht für ausgeschlossen, das Bors von ihr zu einem Schamanen ausgebildet werden konnte.

Marica zog sich zumeist zur Meditation zurück.

Doch nicht Jederman akzeptierte die Neuankömmlinge. Besondere Vorsicht war geboten, wenn sich Fremde im Dorf aufhielten oder Bürokraten ihr erscheinen ankündigten, um einige Stammdaten der Nomaden zu erfassen. Irgendwo gab es immer kleine Reibungsflächen, die Besorgnisse mit sich brachten.

So vergingen drei Jahre letztlich ruhig.

Die Sowjetunion entwickelte sich. Rohstoffe wurden gesucht. Immer neue Geologen kamen - auch nach Rostiak. Sie nahmen zwei Hütten in Beschlag im Sommer des dritten Jahres, waren mit neuen Geräten erschienen und wollten von Rostiak aus mit einem Motorboot die Nebenarme der Lena nach Mineralienlagerstätten erkunden. Doch die Geologen tranken auch- einer machte offen und zum Leidwesen von Bors und Gabuna auch Marica, der schönen jungen Frau, die so gar nicht wie eine turkstämmige Einheimische aussah den Hof.

Gabuna sorgte dafür, dass Bors und Marica eine abseits liegende Hütte beziehen konnten. Damit war vorerst jedoch Ruhe geschaffen.

Doch Alle wussten, dass dies nicht eine Lösung auf Dauer sein würde.

Marica hatte im vierten Jahr in Rostiak zu Beginn des Sommers eine Entscheidung getroffen: Sie wollte allein in die Wälder gehen- weithin abseits jeder Menschen. Dort wollte sie sich ein neues Zuhause erschaffen- ein neues Tschum.

Bors verstand dies, verfiel jedoch in Trauer.

Gabuna gab Marica hilfreiche Hinweise, die von den Nomaden kamen. Weiter nordöstlich gab es tiefe und kaum betretene Landstriche. Waldreich sei es dort und es gäbe Felsenhöhlen. Dorthin solle sie ihren Weg lenken, um für das Weltliche unentdeckt zu bleiben.

Auch dieser Abschied war schwer.

Marica war seitdem- seit diesem Sommer im Jahr 1963- nicht mehr gesehen worden.

Für die Ewenken in Rostiak war sie eine Frau, die mit den Rauheiten des Sibirischen Lebens nicht mehr leben konnte und zurück in den europäischen Teil gereist ist. Die Gabuna Matchi erklärte die 'Ehe' auch offiziell danach für geschieden.

Bors hätte gehen können- zurück in das Mansi- Land, wie es Lonok vorher tat. Doch entschied er sich, in Rostiak zu verbleiben.

Er heiratete nie. Und er wurde der Schamane des Ewekendorfes, nachdem die Gabuna Matchi zu den Geistern gegangen war. In Rostiak gilt er bis heute als ein 'großer Mann der Geister'.

Von Marica- der Letzten der Sirenen- hat man bis heute nichts mehr gehört.



Marica - Die Letzte der SirenenWhere stories live. Discover now