Die skeptische Schamanin

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Ein Zwischenaufenthalt in Nerjungi war leider nicht zu umgehen. Die Unterkunft wurde zwar von den Einheimischen als "Hotel" benannt, war jedoch alles andere als komfortabel. Es war mehr als deutlich, dass das 'Hotel' eher eine Unterkunft für jene Leute war, welche sich von hier anschickten Ihre Reiseziele zu finden und einfach nur ein aufwärmendes Nachtlager und etwas warmes zum Essen zu bekommen, weil man hier sonst kein anderes Obdach hatte. Die Reisenden wollten entweder mit Anschlusszügen nach Süden in Richtung Tynda oder Irkutsk oder sie kamen- wie Lonok, Bors und Marica- aus dieser Richtung und suchten eine Möglichkeit zu Siedlungen oder anderen Orten mitzufahren.

Es gab vier größere Unterkunftsräume in dieser Herberge. Drei Räume waren für Männer bestimmt und ein kleinerer Raum war nur den Frauen vorbehalten. 

Ein kleiner schmaler Verschlag mit Holzriegel diente  als Waschraum für alle. Eine Art Waschzuber schien hier bei Tag und Nacht unter Feuer zu stehen, damit der Raum etwas Wärme bot und warmes Wasser, welches wohl auch in der Küche Verwendung fand. Drei Emaille- Schüsseln mit Rostansatz waren die Waschbecken für die Leute. Das Klo waren drei enge Holzkammern mit Loch im Boden und abgerissenen Fetzen der Zeitung 'Pravda' an Nägeln, die in einem Holzverschlag hinter dem Haus waren. Ein Bewirtungsraum war vorhanden. Hier wurde den ganzen Tag aus einem Topf eine Kohlrübensuppe mit seltsamen Eigengeschmack an die Gäste ausgeschenkt.

Das 'Hotel' war dennoch willkommen. So war es Lonok und Bors ermöglicht, sich nach Möglichkeiten umzuhören, wie man von Nerjungi aus zu den Siedlungen der Ewenken kommen könnte.

Und das Bemühen der Erwählten war belohnt worden. Ein Raupenfahrzeug hatte den Auftrag mit Lebensmitteln zu zwei Siedlungen zu fahren und von einer Pelztierfarm der Sowchose Erzeugnisse nach Nerjungi zurück zu bringen. Eine schnellere und bessere Chance konnte sich nicht bieten. Lonok hatte dem Fahrer neben guten Worten auch einige Rubel versprochen, wenn er sich in Geduld fasst. So wollte er notfalls auch abwarten, falls man die 'Verwandten'- natürlich meinte Lonok damit die Schamanen der Siedlungen- nicht antraf, um die Besucher wieder zurück zu nehmen. Sollte man nichts bei den Ewenken erreichen blieb damit wenigstens eine Rückfahrt gesichert.

Der Raupenfahrzeug- Führer war auch ein Ewenken- Stämmiger, wie sich heraus stellte. Über die Fahrt stellte Lonok immer wieder Fragen- auch wo er, der selbst als Schamane seiner Sippe einen Namen habe örtliche Schamanen antreffen könnte. So bekamen die reisenden Drei ihre Informationen.

Laut röhrend bahnte sich der Raupenschlepper seinen Weg. So erfuhren die Reisenden, dass die Raupe in dieser Jahreszeit unentbehrlich sei, um hier durch die Wälder zu kommen. Sicher- man habe festgelegte Wegrouten. Aber der Winter ist unberechenbar. Die Maschine muss ständig am Laufen gehalten werden- und der fast 10 Jahre alte Motor frisst unter diesen Bedingungen eine Unmenge an gutem Treibstoff. Das sei es aber Wert für die Sowchose, denn Pelze bringen gutes Geld ein.

Erste Station wurde in Lisnuk gemacht, einem weitläufigen Siedlungsbereich von jakutischen Rentierzüchtern. Bis auf einen alten Mann traf man hier jedoch keine Menschenseele an, auch wenn dem Berichten des Schlepperführers gut zweihundert Leute Lisnuk in guten Zeiten bewohnten.

Am Tag darauf kam man an einem breiten Flussbett an und der Raupenschlepper hatte ausreichend Platz und Gelegenheit über die fest eingefrorenen Randbereiche der Uferzonen dahin zu ächzen.

Rostiak hieß das nächste Ziel- ein Dorf von Jägern und Fischern.

Drei Stunden ging es am Flusslauf- einem Nebenzufluss des Stromes Lena entlang. Dann kamen oberhalb eines abgespülten Hangabbruches einige Hütten zwischen den Bäumen in Sicht.

Dashilo, so hieß der Fahrer des Raupenschleppers, steuerte weiterhin an der Uferzone zwischen den Felsen und Eisbrocken sein Fahrzeug nahe des Hangabbruches weiter. Jedoch bemerkte er die fragenden Blicke seiner Passagiere, die eng gedrängt mit ihm im Fahrerhaus hin und her geschaukelt wurden. Daher schien es ihm wohl ratsam, seine Entscheidung - unterhalb der erkennbaren Hütten weiter am Fluss zu fahren- aus freien Stücken zu erklären.

Marica - Die Letzte der SirenenWhere stories live. Discover now