Anstieg in die Berge

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Vom 'Auspija'- Tal war es ein leichter Anstieg in die Berge. Dennoch zerrte der Weg an den Kräften der Teilnehmer.

Der gestrige Tag, der 30. Januar 1959, wird den Teilnehmern der Wanderung wohl in unvergessener Erinnerung dieser Tour bleiben.

Juri Olbekin hatte seinen Willen erklärt, über einen auf der Karte verzeichneten Bergpass gleich direkt vom Tal der 'Auspija' in das benachbarte Tal der 'Loswa' zurück zu wechseln. Man hatte nun die östlich gelegenen und ausschweifenden Flussschleifen der 'Loswa' durch diese Abkürzung umgangen.

Der Leiter der Gruppe wollte nun diesen Zeitgewinn auch sofort umsetzen. Doch daraus wurde nichts. Sahen sich alle schon am Abend im Flusstal der 'Loswa' lagern, so hatten sie die Rechnung ohne Mutter Natur gemacht. Starke Winde hatten sich der Gruppe auf den kahlen Pass- Hängen entgegen gestellt- eisig und fast stürmisch. Sich schon nahe am Ziel hoffend, wurde gegen Mittag in einer Gruppenbesprechung entschieden, zurück in das Tal der 'Auspija' umzukehren. Auch auf dem stürmischen Pass zu lagern kam wegen des Starkwindes kaum in Betracht. So waren die Mühen des Tages fast umsonst. Erst wieder unterhalb der Baumgrenze in den Fichtenwäldern nahe der 'Auspija' hatte man das Lager aufgeschlagen und nur drei Kilometer an diesem Tag an Strecke gewonnen.

Heute bewegte sich die Gruppe durch enge Fichtenwälder. Doch nun wechselten sich die Nadelhölzer mit Birkenwald ab.

Die Natur hatte hier eine Grenze markiert- eine Grenze, die sie nicht nur durch den Wechsel des Baumbestandes anzeigte. Der Schnee war hier höher und auch im Oberbelag fester. Und das Wetter wurde unfreundlicher. Die am Uralgebirge aufsteigenden Wolkenschichten schienen hier niedrig- fast zum Greifen nahe. Feuchtigkeit der Luft machte das Atmen beschwerlicher. Ein leichter Schneegriesel schien die gesamten Hangflächen zu den Bergen hinauf hier einzuhüllen. Man konnte zwar noch gut durch diese nebelartigen Schauspiele sehen, doch hier im Wald schien alles endlos und zeitlos gleich.Zumindest war das Tal der 'Auspija' durch den nördlich verlaufenden Bergkamm hier noch vor den Hangwinden geschützt.

Mit jedem Schritt auf den Skiern wurde der Anstieg schwerer.

Durch die harte Deckschicht brach man häufig in den Schnee ein und es raubte Kraft, sich daraus zu befreien um den Weg fortzusetzen.

Nur noch die Männer zogen hier die Lastschlitten bergan. Die Frauen- Natasha war hier die Bittstellerin- hatten gebeten, sich zurücknehmen zu dürfen. Sie schlugen vor, beim Berg-an-schieben der Schlitten ihren Teil hier zu leisten. Sie sprachen sich dafür aus, später auf der Reise dann die Schlitten wieder zu ziehen, wo es ebener wurde- oben auf den Plateau- Flächen wollten sie es wieder versuchen.

Doch auch das Schieben kostete Kraft.

Pausen wurden kaum gemacht. Keiner sprach groß miteinander, um Kräfte und Atem zu sparen.

Juri Olbekin trieb unerbittlich die Gruppe voran. Georgi Warjakow unterstützte Juri dabei, die Gruppe voran zu scheuchen. Hier zeigte sich auch erneut, dass Boris Russeaux, der 'Franzmann' wohl das schwächste Glied in der Skierwanderer- Gruppe war. Boris ging bereits hier in den Anstiegen bis an seine Grenzen.

Auch wenn dieses Bemühen von den anderen Teilnehmern bemerkt wurde, so fragten sich Juri Olbekin und sein Freund Wassili Koroljow in einem Moment der Unbeobachtetheit schon gegenseitig, warum sich der 'Franzmann' dieser starken Herausforderung freiwillig gestellt hat.

„Boris schwächelt. Er japst wie ein Hund.", stellte Wassili fest.

„Ja. Ich weiß. Hoffentlich schafft er es über den Kamm.", entgegnete Juri.

„Er hält uns auf. Ständig müssen wir uns umsehen, ob er noch dranbleibt. Und die Schlitten kann er auch nicht mehr ziehen!"

„Ja, Wassili. Seine Kraft ist weg."

„Ich frage mich wirklich, warum er sich gleich diese Tour der höchsten Schwierigkeit ausgesucht hat? Er hätte doch noch ein wenig in den anderen Kategorien bleiben müssen. Hätte noch üben müssen!"

Wassili war ungehalten. Die Ausrüstung zu schleppen und die Schlitten zu ziehen war eine Teamaufgabe. Jeder Schwache war da keine Unterstützung.Doch Juri versuchte wie immer das Gute im Menschen auch hier zu sehen. Er beschwichtigte den Freund.

„Groll ihm nicht. Vielleicht ist er ja wirklich noch nicht so weit, um hier mitzuhalten. Trainiert ist er schon, auch ein erfahrener Wanderer. Und er hat schon mehrere Kategorien geschafft! Möglich, dass er sich ja austesten wollte, ob ihm auch diese schweren Kategorien liegen?"

„Angefangen haben wir ja alle irgendwann, aber das halbe Jahr als Bauleiter in Swerdlowsk hat ihn doch schon aus dem Training gebracht."

„Komm. Lass gut sein, Wassili. Es bringt nichts, ihm jetzt Vorhaltungen zu machen. Wir müssen zusehen, dass wir heute noch so weit wie möglich vorankommen in die Berge."Juri wollte weiter.

Doch Wassili setzte noch einmal nach.„Ist doch so, nicht wahr? Sieh dir mal den alten Georgi an. Der Warjakow scheint besser trainiert als wir alle! Und das mit seinen fast vierzig Jahren! Der hängt sogar Uns zwei noch ab!"

„Hmm, ja. Aber bitte sag nichts zu dem Franzmann. Ich glaube, er wird es schon schaffen."

Ungläubig rollte Wassili mit den Augen. Dann setzte er seine Schneebrille schnell wieder auf und zog das Stoffstück des Atemschutzes wieder über sein Gesicht, um sich nicht noch länger der beißend kalten Nässe auszusetzen.

Es ging weiter bergan.Direkt an der 'Auspija' konnte man jetzt schon kaum noch voran. Aus dem Fluss war hier ein breiterer Bach geworden, der sich unerbittlich seinen Weg durch Eis und Geröll bahnte- ja manchmal sogar komplett für einige Meter unter einer Eisschicht verschwand, um kurz darauf wieder sein Gesicht an anderer Stelle zu zeigen.

Sascha Resutkin, der 'Boxer', hatte bis soeben über eine lange Strecke den größeren Lastschlitten gezogen und diese Aufgabe nun an Iwan Gregorov abgeben können. Wie ein kraftvoller Bulle vor einem Gespann hatte er stoisch gezogen. Nun ließ er sich auch zurückfallen, bis er nahe an den 'Franzmann' kam.

„Wie geht's, Genosse?"

„Es geht.", keuchte Boris Russeaux durch seinen Atemschutz. Nach kurzen Atemstößen fügte er noch hinzu: „Könnte besser gehen."

„Wirst nicht mehr lange durchhalten müssen, Boris Nikolaiitsch. Die obere Waldgrenze haben wir schon erreicht. Denke, wir werden bald das Lager aufbauen."

„Hmm.", schnaufte der 'Franzmann' nur zurück.

Die Gruppe kam in eine kahle Gegend, in der die einzigen Erhebungen am Hang schroffe Felsen waren, welche in den Himmel aufragten. Doch wenngleich man hier niedrigen Schnee vorfand, der vom Wind und der Nässe guten Untergrund für die Skier gab, hatte Juri Olbekin ein Einsehen und bestimmte einen Platz nahe einem Felsen für das Zelt im diesen Talauslauf.

Die Leute waren erschöpft.

Dennoch musste das wenige an Brennholz für ein Feuer herangeschafft werden.

Zwei Holzstämme lagen hier einsam und umgestürzt am Hang und wurden herangezogen. Ein Feuer wurde mit den Stämmen angezündet.

Und noch etwas war anzulegen: Ein Vorratslager war zu schaffen für den Rückweg- als mögliche Reserve eignete sich diese übersichtliche Gegend dafür.

Das Letzte, was ein Jeder nun noch brauchte, war ein Abendessen und viel Ruhe.

Doch auch hierzu sollte die Gruppe nicht ohne weiteres kommen.

Marica - Die Letzte der SirenenWhere stories live. Discover now