Spekulationen

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Die Skierwanderer bahnten sich ihren Weg - nun- und obwohl untersagt- am westlichen Ufer der 'Loswa'.

Eng stehende Fichtenwälder und Schnee- und dies hatte sich die Gruppe ja nun ausgesucht.

Es zerrte an den Kräften, sich hier eine Loipe bahnen zu müssen. Man wechselte den Führungsläufer stetig ab. Zu anstrengend war es, über längere Zeit für die Anderen den Weg vorgeben zu müssen.

Die Richtung war jedoch immer gleich: Nach Norden vorerst, bis man den Zulauf des Flusses 'Auspija' erreichen würde, dann nach Westen, zu den Bergen des Ural hin. Und dies hier war ein flaches Stück. Anstiege gab es hier direkt am Fluss noch nicht. Und wenn man den Karten glaubte, würde es erst mit dem Fluss 'Auspija' ein ansteigendes Geländeprofil geben.

Auch beim Ziehen der zwei Lastenschlitten wechselte man häufig. Auch Natasha und Julia waren sich nicht zu schade, die schweren Schlitten mit der Ausrüstung zwischen den Bäumen entlang zu ziehen.

Juri Olbekin hielt sich zumeist in der Spitze der Gruppe und noch vor den zwei Schlitten auf. In regelmäßigen Abständen sah er auf seinen Karten nach, wo man sich derzeit befand. Er machte der Rolle und den Erwartungen an einen Expeditionsleiter alle Ehre.

Erst in den kleinen Momenten der gemeinsamen Rast bemerkten die Wanderer die eigene Erschöpfung in besonderem Maß. Sie spürten die erhitzten Muskeln, das vom Schneegrund aufsteigende Gefühl der Kälte, die beißende Helligkeit des Schnees sobald man die Brillen abnahm.

Die wenigsten Ermüdenden der Gruppe waren Juri, Wassili, Georgi Warjakow als ältester Teilnehmer und der 'Boxer' Sasha Resutkin. Gerade Georgi war von überraschender Stärke und Durchhaltewillen. Ihm schien nichts etwas auszumachen. Gut hielten sich auch die beiden Frauen. Natasha und Julia zeigten bemerkenswerte Ausdauer, trotz der Strapazen. Julia behauptete behaarlich, schon Schlimmeres erlebt zu haben. Beide Frauen dankten jedoch den Männern dafür, nicht zu lange vor den Schlitten stehen zu müssen.Auch der wandererfahrene Iwan Gregorow schlug sich tapfer. Er hatte sich wohl gut vorbereitet.Der 'Franzmann' Boris Russeaux und Viktor Oribatow schienen hingegen schon leidend- und dies, da das Pensum des zweiten Tages auf Skiern noch nicht geschafft und das Profil der Tour- Route einfach war. Viktor vertröstete und motivierte sich in den kleinen Gesprächen der Pause selbst damit, dass seine Kondition mit jedem Meter wohl besser wird und er sich methodisch analysiere, um mehr Kräfte zu sparen. Boris Russeaux schien sich in sein Schicksal zu ergeben- jetzt, da man doch so weit gekommen war.

Und dennoch- Die Wandergruppe hatte sich stetig neu zu motivieren, das nächste Wegstück anzugehen.

Auch fragte man sich, ob Ranjuk den gesundheitlich angeschlagenen Wadim schon zum Waldarbeiterlager gebracht haben konnte.

Das 'Aussteigen' eines Teammitgliedes schien besonders Juri Olbekin zu belasten. Er hätte es wohl gern gesehen, wenn er als Leiter alle über die Berge des Ural auf dieser Wanderung mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad gebracht hätte. Jedenfalls gab es keine weiteren Notfälle- und dies schien ihn zu trösten.

Dann kam sie- die Stelle, wo der Fluss 'Auspija' in die größere 'Loswa' einmündete. Doch hier gab es kein großes Delta oder dergleichen. Nur ein aus Schnee und Felsbrocken übersätes breites und sehr flaches Areal mit einem sehr groben Untergrund aus feinerem Geröll und die Wasserrinnen zeigten den Zusammenfluss an. An dieser Stelle der Einmündung lagen auch auf dem Geröllbett verschiedene Baumreste- wohl als Anzeichen der Schneeschmelzen der letzten Jahre.

Die Schlitten mussten auch hier gezogen werden, allerdings verzichtete man auf das Nutzen der Skier. Jedwede Berührung mit dem Untergrund ließ ein Kratzen vom Geröll unter den Skiern spüren. Deshalb war man sich einig, die Skier ein Stück zu tragen, bis besserer Untergrund gegeben ist.

Wieder eine Pause- dann folgte man nunmehr der 'Auspija' an deren Südufer nach Westen. Zwei Tage konnte von nun an der Aufstieg in die Berge andauern.

Gegen sechszehn Uhr suchte man sich einen Platz für ein Lager.Der Aufbau des Zeltes und das Verstauen der empfindlicheren Ausrüstungsteile benötigte Zeit. Mit abgefallenen Ästen schuf man sich zudem einen kleinen Verschlag zwischen zwei Bäumen, wo die Schlitten abgedeckt untergestellt werden konnten und so vor der erwartbaren Nässe und Schnee geschützt standen.

Nach diesen erfolgreichen Arbeiten blieb nicht mehr viel Zeit, bevor die lange sibirische Nacht aufzog.

So vergrub man sich in der Enge des kleinen Zeltes.

Es war die Zeit der Gespräche.

Und auch die Zeit für Spekulationen. Spekulationen über den weiteren Verlauf der Expedition und über die Geheimnisse, welche der Wald bot. Insbesondere das 'Auspija'- Tal verlockte geradezu, sich darüber Gedanken zu machen, worin die indigenen Bewohner dieses Landstriches wie die Mansen hier draußen heilige Orte und Stätten sahen.

Die häufigste Vermutung lag darin, dass es hier Opferstätten oder Kultobjekte wie Bäume oder Felsen geben könnte.

Die zwei Frauen, Natasha und Julia, waren sich darin einig, dass es sicherlich derlei Orte hier zu finden gab, welche jedoch sicherlich nicht durch die Mansen im Winter besucht würden.

Wassili vermutete, dass den Mansen hier vielleicht größeres Jagdglück winkt, wenn sie andere 'Besucher' aus dem Waldgebiet ausschließen mit derlei Geschichten.

Sasha Resutkin stellte sogar die phantastische Theorie auf, dass den Eingeborenen hier einmal Bewohner eines anderen Planeten begegnet sein könnten und sie deswegen aus Angst diese Wälder meiden.

Diese waghalsigen Aussagen entlockten Juri Olbekin und manch anderem im Zelt jedoch nur ein leichtes Schmunzeln.

Man empfahl dem 'Boxer', doch vielleicht Geschichten über solch Ereignisse zu verfassen- er könnte damit berühmt werden, sollte man ihn vorher nicht in eine psychiatrische, geschlossene Einrichtung gebracht haben. Sasha kränkte dies.

Als letzte Handlungen im Zelt wurden noch einmal die Fotoapparate überprüft und sich dann eine gute Übernachtung ohne 'außerterrestrische Besucher oder Bären gewünscht.

Dann wurde es ruhiger im Zelt.Man hatte die Energie der Batterien zu schonen, denn es würden noch viele weitere Nächte folgen.

Man war sich im Ergebnis jedoch einig, dass es wohl richtig war, diesen kürzeren Weg eingeschlagen zu haben.

Marica - Die Letzte der SirenenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora