Die Frau im Schnee

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Es war der 1. Februartag des Jahres 1959.

Ein Tag, den die Welt nicht vergessen würde.

Wie kleine Flimmerstreifen trug der Wind tanzende Bündel aus feinen Schneeflocken über die Ebene des Plateaus. Geleitet wurde dieses Spiel des Windes nur von einer schneidenden Kälte.

Die Waldgrenze hatte man schon am gestrigen Tage hinter sich gelassen. Schutz vor den Winden gab es auf dieser Freifläche nicht mehr. Einige Felsformationen aus hartem Gestein hatten sich über Jahrtausende gegen diese Witterung durchgesetzt und standen trotzig hier und dort auf dem Plateau- kaum dass man sie in diesem Schneetreiben zu erkennen vermochte.

Die Füße schmerzten angesichts der Kälte in den Stiefeln, wenngleich jeder Expeditionsteilnehmer gehofft hatte, so lang als möglich davor verschont zu werden. Denn diese Kälte war bedrohlich, konnte zu Erfrierungen an den Gliedmaßen führen. Die Füße waren hierbei in besonderem Maße gefährdet.

Mutig stampfte die kleine Kolonne vorwärts, angeführt von einem Juri Olbekin, der am heutigen Tag nur ein Ziel gesetzt hatte: Die Überquerung dieses dreieinhalb Kilometer langen Plateau- Passes hier am nordöstlichen Hang des Berges 'Cholat Sjachl'. Tagesziel war das dahinter liegende 'Loswa'- Tal. Die Karten, welche man zur Verfügung hatte, ließen vermuten, dass dort die Waldgrenze an der Südseite des Flusstales erreicht werden konnte und man zumindest von den treibenden Winden dadurch verschont sein würde.

Keiner redete. Jeder versuchte nur mit den Anderen der Gruppe Schritt zu halten und die Teilnehmer im Schneegestöber nicht aus den Augen zu verlieren.

Juri Olbekin war dick eingemummelt.

Die Sicht war durch die Schneebrille beeinträchtigt. Er konnte sein Herz spüren- wie es durch die Anstrengungen in der Brust heftig pochte. Seinen eigenen Atem hörte er. Die Atemgeräusche brachen sich am engen Gesichtsschutz. Was es von seinem Atem jedoch hindurch geschafft hatte, brach sich danach erneut- an dem Wolltuch.

Sein Atem waren das Einzige, war die Geräusche des Windes übertönte. Und der Atem wollte kontrolliert werden- beherrscht werden, damit ausreichend Sauerstoff in die Lungen gelangte und man den Puls gleichmäßig beruhigen konnte.

Obschon er sich auf den vor ihm liegenden Weg konzentrierte, hallten in Juri's Kopf die Ereignisse vom gestrigen Abend noch nach und brachten die Gespräche und Vorwürfe zurück.

Hatte er sich falsch verhalten gegenüber Natasha und Viktor? Was, wenn die Zwei sich einig sind, die Anderen der Gruppe nach der Rückkehr aus dieser Trostlosigkeit der Berge beim KGB anzuschwärzen? Dann würde es wohl vermutlich auch keine Rolle mehr spielen, dass man diese Tour zu Ehren des Parteitages der KPdSU widmen wollte. Fallen lassen würden ihn die anderen Genossen. Dabei wollte man sich doch in besonderem Maß durch diese Bergtour der höchsten Schwierigkeit auch linientreu zur Partei und ihrer Politik bekennen. Was aber nun?

Bis in die Nacht hatte man sich immer wieder besprochen- die Diskussionen ebbten nicht ab.

Sein Mitstreiter und Studienfreund aus der Fakultät, also Wassili Koroljow, sowie der 'Boxer' Sasha Resutkin wollten es nicht mit einfachen Entschuldigungen von Natasha und Viktor belassen. Immer wieder kochten die Emotionen der Beiden hoch. Und er selbst? Er, der Besonnene? Hatte sich ab und an verwickeln lassen, bis er letztlich dann alle zur Nachtruhe durch lauten Ruf gezwungen hatte- in Ermahnung und Respekt vor der heutigen schweren Etappe der Tour.

Julia hatte sich jedoch da schon ausgesprochen. Sie hatte ihren Standpunkt deutlich gemacht. Enttäuscht sei sie von den Beiden- in besonderer Art von Natasha, welche Julia als Freundin und Vertrauensperson ansah.

Iwan Gregorov, Georgi Warjakow und Boris Russeaux waren dem Anschein nach auch enttäuscht von den Mitstreitern. Diese Drei ließen sich jedoch in den Disput im Zelt nicht einbinden.

Marica - Die Letzte der SirenenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu