Die Vorahnung

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Die Göttin benötigte für ihre Meditationen und Gesänge wirklich über eine Woche.

Bors, der Jüngste der Erwählten aus dem indigenen Volk der Mansen hatte bereits am zweiten Tage aufgehört, bohrende Fragen an Lonok und Relan zu stellen. Er hatte es akzeptiert, dass die junge Frau mit einer besonderen Gabe gesegnet war, wenngleich er keine Kenntnis über Art und Wirkung der Kräfte der Göttin hatte und auch nicht vermochte, dies abzuschätzen. Es war ihr gegeben. Und sie, die Herrin, stellte ihre Kräfte in den Dienst der Natur und seines Volkes, wofür man dankbar sein musste.

Es war in Bors Ruhezeit, dass die Herrin den Schrein des Himmels wieder verlassen hatte.

Relan begrüßte sie am Schrein und dankte ihr für ihren Segen, wie es die alten Bräuche verlangten.Dann war die Herrin mit Relan in die große Baumhütte in den inneren Baumkreis zurückgekehrt.

Auch Lonok ging auf ein Knie gestützt zu Boden und verneigte sich voll Dankbarkeit vor der Herrin.

Bors, der schlaftrunken von seinem wohligen Bett aufstand, gesellte sich neben Lonok und tat es ihm gleich. Tief verneigt und voll Dankbarkeit sprach auch er die Worte: „Herrin des Waldes, wir danken Dir für die Segnungen. Mögest Du deinen Schutz über Uns breiten für den kommenden Winter."

Von Lonok hatte Bors in Erfahrung gebracht, dass die Herrin des Waldes nach der Segnungszeremonie im Schrein des Himmels über erstarkte innere Kraft verfügte. Dies sei eine Folge der langen Meditation.

Doch sollte man erwarten, dass die junge Frau nach dieser Woche der Meditation ausgehungert oder von starkem Durst geplagt sein könnte, so war auch dies nicht der Fall. Sie stürzte sich nicht an die von Regenwasser gefüllte Schale und verlangte auch nicht nach Speisen, wenngleich die Erwählten für Sich nach den Tagen hier immer noch reichliche Vorräte übrig hatten an Trockenobst und gesalzenem Trockenfleisch.

Die Herrin war voll Tatendrang. Doch wirkte sie auch besorgt. Ihr Blick schien trauriger zu sein, als Bors ihren Blick vor der Zeremonie empfand. Auch die zwei älteren Erwählten nahmen dies wahr. Lonok war der Erfahrenste der Drei und kannte die Göttin auch am längsten. Er war es, der nun aussprach, was die drei Erwählten bedrückte.

„Herrin? Ihr wirkt sehr besorgt. Seit ihr bei Kräften? Können wir Euch in irgendeiner Art und Weise helfen?"

Die junge Frau versuchte, die Sorgen der drei Mansi hinweg zu lächeln. Doch wirkte selbst dies auf die drei Beobachter schwermütig.

„Ich hatte eine Vorahnung, ein mögliches Zerrbild auf kommendes Geschehen. Dies betrübt mich sehr. Sollte diese Vorahnung eintreten, könnte dies mein Ende sein. Es wäre das Ende meiner langen Reise, dass Ende auch der Zeremonien und auch das Ende dessen, was wir hier erschaffen haben."

„Herrin, welcher Art war die Vorahnung? Können wir etwas beitragen, um Euch Schutz zu geben, sollten Euch Gefahren drohen?", hakte Lonok nach.

„Nicht gegen diese Art von Gefahr, gute Freunde.", erklärte sich die Göttin betroffen. „Gegen das, was mir in der Vorahnung erschienen ist, könnten selbst meine Kräfte vielleicht machtlos sein."

„Was ist es, Herrin?", fragte Relan. Relans Gesicht wirkte sehr traurig und ernst.

„Eine Bedrohung nähert sich mir. Eine Bedrohung durch eine Kraft, welche ich seit vielen Hundert Jahren nicht mehr gespürt habe. Und ich kann sie nicht genau beschreiben. Sie nähert sich bereits, sucht nach mir! Eine alte Kraft ist es, die mich heimzusuchen versucht. Und ich weiß nicht, mit welchem Ziel sie nach mir verlangt und sucht. Sie hält sich und ihre Absichten verborgen- bewusst verborgen vor den Augen der Menschen und bewusst verborgen auch vor meinen Kräften. Doch droht nichts Gutes. Mir nicht- und auch vielen Menschen nicht. Ich habe den Tod gesehen."

Marica - Die Letzte der SirenenWhere stories live. Discover now