☆Light - 10☆

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Wütend stapfte Jenna die große Treppe des Sanctum Sanctorum empor. Sämtliche Tränen, die an ihrer Wange hinab liefen, wischte sie eilig in ihrem Ärmel ab.
Wieso war Stephen überhaupt dort aufgetaucht? Ja, sie hatte sich nicht bei ihm gemeldet, aber musste er wieder seine typische Show abspielen? Sie vor allen Anwesenden bloßstellen? Obwohl Jenna nicht mal etwas Schlimmes getan hatte? Es wäre egal gewesen, ihm Bescheid zu sagen. Er wäre trotzdem sauer gewesen, dafür kannte sie ihn zu gut. Dabei war sie lediglich ihrem Pflichtgefühl gefolgt, wollte Fury doch nur einen Gefallen tun. Stephen akzeptierte es einfach nicht, würde es wahrscheinlich nie verstehen. Jenna war nun ein Avenger. Es kannte sie nach der Schlacht gegen Thanos sowieso schon jeder und trotzdem verstand er es nicht, dass es ihre Pflicht war zu helfen. Ihrer Meinung nach hatte ihr Freund mal wieder maßlos übertrieben. Doch das, was Jenna am meisten verletzt hatte, dass er ihr nicht vertraute. Ihr Können infrage stellte und nicht hinter ihrer Entscheidung stand. Sondern nur der Meinung war, sie wäre zu unreif. Ja, sie war seine Freundin. Trotzdem hatte er nicht über ihr Leben zu bestimmen. Vielleicht dachte er jetzt über sein Handeln nach. Jetzt, wo sie einfach gegangen war.
Jenna würde ins Bett gehen und frühestens Morgen erst wieder mit ihm über das Thema diskutieren. Klar, vernünftig war die Entscheidung wirklich nicht. Aber sie wollte heute nicht mehr mit ihm reden. Die Bändigerin war zu aufgewühlt und dann würde der Streit nur noch mehr eskalieren. Außerdem gehörte Stephen zu diesen Männern, die am besten erst mal selber nachdachten, bevor man ihnen Vorwürfe an den Kopf warf.
Mit immer noch verheulter Sicht stieß Jenna Stephens Wohnungstür auf und lief durch den langen Flur ins Wohnzimmer. Verwirrt von ihren Gefühlen bemerkte sie nicht den Schatten, der ihr seit dem Sanctum Sanctorum gefolgt war und langsam über den Boden Richtung Schlafzimmer glitt.

Nakaa materialisierte sich in ihre menschliche Gestalt und horchte durch den kleinen Türspalt. Leise vernahm sie ein Schluchzen und spürte deutlich den erhöhten Herzschlag der Bändigerin. Sie hätte ihre besonderen dämonischen Kräfte nicht einmal gebraucht, um zu erkennen, dass die Seele traurig und aufgewühlt war. Was der Dämonin allerdings perfekt zugunsten kam. Menschen waren schwache Wesen. Leicht zu manipulieren. Der Gemütszustand entschied über die Konzentrationsfähigkeit, über die räumliche Wahrnehmung. Eigentlich über fast alle Sinne, die den schwachen Geschöpfen Gottes noch geblieben waren.

Nakaas Plan war simpel gewesen. Die Bändigerin zu beobachten und auf den passenden Moment zu warten, um sie zu töten. Doch der Druck, den ihr Vater Tag für Tag machte, wurde immer schlimmer. Aber jetzt überstürzt zu handeln wäre falsch gewesen. Ein Fehler von ihr oder eine unüberlegte Handlung und die Bändigerin würde eventuell eine Seite an sich entdecken, die den Dämonen unglaublich Schaden könnte. Etwas, was Nakaa mit aller Kraft verhindern musste. In den letzten 5 Jahren haben ihre Nachforschungen neue Türen geöffnet, aber sie hatte auch einiges beunruhigendes herausgefunden. Festgestellt, dass die Bändigerin noch gefährlicher war, als sie es selber wusste. Dämonen galten als unsterblich, doch trotzdem hatten alle Untoten Angst. Angst im Fegefeuer zu enden. Obwohl niemand so genau sagen konnte, wie man dort hineingelangte. Aber eins stand immer in unmittelbarere Verbindung. Besser gesagt eine Person. Der Besitzer der Elemente, dessen Aufgabe es war, das natürliche Gleichgewicht beizubehalten. Dieser Träger befand sich mehrere Meter im Raum neben Nakaa und verschwendete seine Energie mit lächerlichen Gefühlen. Dies war ihre Chance. Vielleicht die beste in der nächsten Zeit. Die Umgebung war zwar nicht optimal. Schließlich spürte sie die starken Schutzzauber, die auf der Wohnung lagen, doch auch Nakaa hatte in den letzten Jahren dazu gelernt. Dennoch musste sie einen Weg hier rausfinden, und zwar mit Jenna. Jedoch am besten so, dass diese ihr nicht gefährlich werden konnte.

Vorsichtig schob Nakaa die Tür auf und streckte ihren Kopf in den schmalen Flur. Ihre langen weißblonden Haare fielen über ihre Schulter und gaben einen interessanten Kontrast zu der Umgebung ab. Mit dem Rücken zu ihr erkannte die Dämonin Jenna. Angelehnt an der großen Fensterfront, während diese ihre immer noch zitternden Finger am Fenster abstützte.
Dabei sah Jenna auf das nächtliche New York und musste unfreiwillig daran zurückdenken, wie gerne Stephen und sie hier standen und hinuntersahen. Während die Bändigerin an die gemeinsame Zeit mit Stephen zurückdachte, bemerkte sie nicht, das Nakaa leise immer näher auf sie zu kam. Der Dämonin war eine Idee gekommen. Sie musste es versuchen, denn immerhin hatte sie keine andere Wahl. Ohne einen Ton zu hinterlassen, schlich Nakaa über das moderne Parkett. Sie hatte es fast geschafft, streckte bereits ihre Hand zu Jenna aus, als sie gegen ein Weinglas trat, was auf dem Boden lag. Das leise Geräusch vom Glas, was über den Boden rutschte, ließ Jenna aufschrecken.

"Bevor du etwas sagst, Stephen. Lass mich heute einfach in Ruhe!", forderte sie ihn auf. Langsam sah Jenna über ihre Schulter hinweg. Doch dort stand nicht Stephen. Ihre noch immer leicht verheulten Augen rissen weit auf und gerade als die Bändigerin es verstand, griff die Dämonin an. Mit einem kräftigen Stoß gegen Jennas Brustkorb schleuderte ihr geschwächter Körper gegen das große Fenster. Der Sauerstoff wurde aufgrund der Wucht des Aufpralls aus ihrem Körper gepresst und ein gewaltiger Riss bildete sich auf der Scheibe. Jennas Körper rang reflexartig nach Luft, während ihre Knie weich wurden. Bevor die Bändigerin jedoch auf den Boden sank, umfasste der weibliche Dämon ihren Hals und verhinderte somit, dass Jennas Lungen sich mit Sauerstoff füllen konnten. Es passierte alles so schnell, im Bruchteil einer Sekunde. Krampfhaft umklammert Jenna den Arm der Dämonin, während diese sie gegen die Scheibe presste. Knirschend breiteten sich die Risse auf der Fensterfront aus und bildeten ein charakteristisches Muster. Jennas Körper wurde immer fester gegen das Glas gedrückt, als es schließlich in tausend Teile zerbrach. Scherben bohrten sich in Jennas empfindliches Fleisch und Nakaa roch den süßlichen Duft ihres Blutes. Sofort spürte Jenna die kühle Luft auf ihrer Haut und ihr Gewicht schien der Dämonin nichts auszumachen. Spielerisch leicht hielt sie die Bändigerin über den Dächern New Yorks. Jenna wusste, dass es hier mindestens 70 Meter hinunterging. Doch auch der Griff um ihren Hals wurde immer stärker und presste ihre Lungen leer. Sie versuchte sich zu wehren und umfasste den Arm der Dämonin, doch es passierte nichts. Ihre Versuche, ein Element zu bändigen, waren hoffnungslos. Machtlos wie ein Fisch, den man an der Flosse packte und aus dem Wasser zog, hatte die Dämonin die Bändigerin im Griff. Jennas panische Bemühungen, sich zu befreien, wurden kraftloser. Verzweiflung und Angst kamen in ihr auf. Angst Stephen nie wiederzusehen. Doch dieses Gefühl sollte nicht lange anhalten. Ihrem Gehirn mangelte es an Sauerstoff, ihre Sicht wurde verschwommener und Ohnmacht überkam sie.

Ihre Augen verdrehten sich und ein gehässiges Lächeln bildete sich auf Nakaas Gesicht. Komplette Dunkelheit umhüllte Jennas Körper. Das Brechen der Fensterscheibe hatte auch in dem magischen Schutzschild ein Riss hinterlassen. Ohne weitere Zeit zu verlieren, formte die Dämonin ihre freie Hand zu Rauch und drang spielerisch leicht in den Brustkorb der Bändigerin ein. Der ohnmächtige Körper bäumte sich auf, als Nakaa Jennas Seele umfasste. Doch anders als bei anderen Menschen konnte Nakaa diese nicht so einfach vom Körper trennen. Mit aller Macht zog sie jedoch bewegte ihre Hand sich nur wenige Zentimeter. Bevor der Dämon die Seele herauszog, bäumte Jennas Körper sich erneut auf. Ihre Augen öffneten sich panisch und fingen hellblau an zu leuchten. Auch die Wunde in ihrem Brustkorb leuchtete auf und ängstlich löste Nakaa den Griff um Jennas Hals. Dadurch fiel die Bändigerin hinunter und mit letzter Kraft schaffte Nakaa es, die Seele aus dem Körper zu reißen. Eine gewaltige Energie wurde freigesetzt und erschütterte durch eine Explosion sämtliche Häuser in der Nähe. Mehrere Fenster gingen zu Bruch und auch Nakaa knallte mit dem Rücken gegen die Wand im Wohnzimmer, wodurch sie kurz die Orientierung verlor. Dabei ließ sie die Seele aus ihrer Hand fallen und das blaue Licht verschwand augenblicklich, um in Jennas Körper zurückzukehren.
Jennas lebloser Körper fiel die unzähligen Stockwerke zu Boden. Ohne jegliche Körperspannung rotierte die Frau um ihre eigene Achse. Bevor Jenna allerdings auf den Boden aufschlug, schoss ein roter Blitz an den Gebäuden vorbei und fing die Bändigerin im letzten Moment auf.

Sofort verlangsamte Tony Stark das Tempo und landete mit Jenna im Arm auf der nächtlich belebten Straße. Sämtliche Aufmerksamkeit waren nun auf die beiden gerichtet und staunend blieben einige Menschen stehen, als sie Iron Man erkannten. "F.R.I.D.A.Y Statusbericht!", forderte Tony sein Programm energisch auf. Doch an den Anzeigen in seinem Helm sah er bereits, dass Jennas Herz stillstand. Ein Funken sprühendes Portal öffnete sich mehrere Meter von Tony entfernt. Sofort erkannte er den Doktor eilig auf die beiden zu rennen.

Light (Dr.Strange FF - Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt