Kapitel 31 | tick-tock

2K 221 199
                                    

Es ist still. 

Zu still. 

Einen Schritt nach dem anderen setzen wir leise auf die Mischung aus plattgetretenem Rasen und festgetretenem Erdboden. Die kalte Abendluft peitscht mir ins Gesicht und wirbelt meine Haare durcheinander, sodass sich Haarsträhnen in mein Sichtfeld schieben. 

Bei jeder Bewegung passen wir akribisch auf, ja keinen Mucks von uns zu geben, bei jedem noch so kleinsten Geräusch zucken wir vor Paranoia zusammen. Die Atmosphäre ist angespannt und die uns umgebende Stille alles andere als beruhigend; vielmehr treibt dieses quälende Nichts einen geradewegs in den Wahnsinn. 

Zayns warme Hand, welche noch immer fest meine umschließt, leitet mich durch das Labyrinth von Wohnwagen. Während ich nicht einmal den Weg zu seinem Wohnwagen zurückfinden würde, scheint er ganz genau zu wissen, wo er uns lang führt, dabei streichelt sein Daumen besänftigend über meinen Handrücken. 

Je länger wir laufen, desto schneller schlägt mein Herz und desto nervöser werde ich. Den Gedanken Zayn in kurzer Zeit hinter mir lassen zu müssen verdränge ich, um den damit verbundenen Schmerz so weit wie möglich hinauszuzögern. 

Weit entfernt hallt die Musik aus dem Hauptzelt, ansonsten ist es nur das Heulen des Windes, welches die Nacht durchdringt. 

Meine Paranoia lässt mich nicht los, immer wieder drehe ich mich hektisch um, doch kann keine Verfolger erkennen. 

Knacken. 

Erschrocken zucke ich zusammen, blicke mich verängstigt zu allen Seiten um. Doch nichts. 

Weiteres Knacken. 

„Hast du das gehört?", flüstere ich panisch. Zayn blickt sich kurz um, doch schüttelt dann den Kopf und drückt meine Hand kurz. 

„Alles wird gut", raunt er mir besänftigend zu und ein weiteres Mal streichelt seine Hand beruhigend meinen Handrücken, doch noch immer pocht mein Herz wie verrückt. 

Immer wieder drehe ich mich um, werde das Gefühl nicht los, dass wir nicht alleine sind. Jede noch so kleinste Bewegung, jedes noch so kleinste Geräusch, lassen mich zusammenzucken - die Angst schärft meine Sinne aufs Maximum. 

Vor meinem geistigen Auge entstehen Bilder von den Grausamkeiten, die der Clown mir antun wird, wenn er uns schnappt, doch vermutlich kommen sie nicht annähernd an das heran, was er wirklich mit mir tun wird. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. 

„Wir sind fast da-", beginnt Zayn, doch wird von einem dumpfen Geräusch unterbrochen. Kurz danach folgt ein weiteres, welches an einen zu Boden fallenden Kartoffelsack erinnert. 

Nur, dass es sich um keinen Kartoffelsack handelt, sondern um einen Körper. 

Zayns Körper. 

Kurz zieht seine Hand mich noch herunter, lässt mich dann aber abrupt los. Ich taumle zurück, die Augen weit aufgerissen, den Schock bis ins Knochenmark spürend. 

Die Fratze des Clowns vor mir, das aufgemalte Grinsen noch breiter als ohnehin schon. 

Applaus. 

Hinter ihm das kleine Mädchen, welches laut lachend in die Hände klatscht. 

Ich stolpere weiter zurück, gelähmt vor Schock, nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Um mich geschieht alles wie in Zeitlupe - Zayns am Boden zusammengesackter Körper, der mich nach Luft schnappen lässt. 

Gerade als ich denke er sei bewusstlos, oder gar tot, regt sein Kopf sich ein kleines Stück, sodass er zu mir hinaufblickt. Sein Gesicht ist stark gerötet, aus einem seiner Nasenlöcher tropft dunkles Blut auf seine Lippen hinab. 

captured | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt