Kapitel 15 | anonymous

3.4K 277 42
                                    

Stöhnend lege ich meinen Kopf in den Nacken, den Rücken noch dichter gegen die harte Wand hinter mir gepresst. Mein Kopf schmerzt vor Gedanken, die gerade Karussell fahren.

Er hat mich geküsst.

Und ich habe den Kuss erwidert. Ich habe einen meiner Entführer geküsst.

Ich habe Niall betrogen.

Niall!

Ich habe meinen Freund mit einem meiner Entführer betrogen. Oh mein Gott.

Verzweifelt fahre ich mit den Händen durch meine Haare und beiße mir auf die Unterlippe. Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße. Wie konnte das nur passieren?

Wieso habe ich den Kuss erwidert? Fuck.

Völlig aufgelöst vergrabe ich meine Hände tiefer in meinen Haaren, schluchze leise auf. Nach dem Kuss hat einige Minuten keiner ein Wort gesagt, es herrschte Totenstille zwischen uns. Bis wir draußen Schritte hören konnten. Binnen Sekunden hatte Zayn die Arme von mir gelöst und ist aufgesprungen, ist ohne ein weiteres Wort zur Türe hinaus und hat mich wieder alleine hier zurückgelassen.

Mit einer Schuld, die ich nie wieder gut machen kann. Verdammt, ich habe meinen Freund betrogen. Meinen liebevollen, fürsorglichen Niall, den ich seit Jahren kenne, mit dem ich seit über einem Jahr zusammen bin. Ich habe diese liebenswerte Person, die mich niemals betrügen würde, die immer für mich da war, mit einem meiner Entführer betrogen. Was ist nur in mich gefahren?!

Wahrscheinlich drehe ich jetzt endgültig durch. Ja, so muss es sein. Aber das ist doch wohl auch nachvollziehbar - wer würde nicht an meiner Stelle durchdrehen? Gefangen in einem Wohnwagen auf einem Jahrmarkt, entführt von einem Clown und seinem scheinbar Handlanger. Ich drehe ich auf jeden Fall gerade durch, eine andere Erklärung gibt es für mein Verhalten nicht.

Oh Gott. Ich habe den Kuss erwidert.

Und noch viel schlimmer; ich habe es genossen.

Der Kuss hat mir gefallen, heilige Scheiße. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe. Er hat mich lebendiger als je zuvor fühlen lassen, er hat mich gut fühlen lassen. Das erste Mal seit Tagen habe ich all meine Ängste vergessen, für einen Moment habe ich mich so sicher wie schon lange nicht mehr gefühlt. Geborgen. Bei einem meiner Entführer. Lächerlich.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich völlig durchdrehe und Wahnvorstellungen bekomme.

Der Kuss hat mir nur gefallen, weil ich einsam bin. Er hat mir nur gefallen, weil Zayn der einzige war, der mir seit einer gefühlten Ewigkeit Zärtlichkeit und Zuwendung gegeben hat, zwei der Grundbedürfnisse eines jeden. Es ist nur menschlich, dass ich mich danach sehne.

Fuck, ich habe Niall betrogen. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gut machen soll. Wird er mir das je verzeihen? Meinen Entführer, verdammt. Was ist nur in mich gefahren?

Immer wieder drehen sich dieselben Gedanken in meinem Kopf und ich verzweifle an ihnen, da ich keine Antwort finde. Und je länger ich nachdenke, desto mehr wird mir meine Lage wieder bewusst.

Ich habe Niall mit einem meiner Entführer betrogen und ich weiß nicht, ob er mir das jemals verzeihen wird. Doch wer sagt, dass ich hier jemals herauskommen werde? Was, wenn das hier meinen Tod bedeutet? Ich werde hier sterben. Ich werde verdursten, oder verhungern, oder der Clown wird mich töten. Ich weiß nicht auf welche Art und Weise es sein wird, aber ich bin mir sicher, dass ich hier nicht lebendig herauskommen werde.

Meine Lage ist aussichtlos. Das einzige, was mir hier bleibt, ist Zayn.

Zayn. Er ist einer meiner Entführer, und eigentlich sollte ich mich vor ihm fürchten. Ich sollte mich vor ihm ekeln, ihn hassen. Aber aus irgendeinem Grund tue ich das nicht. Vermutlich halte ich mich an dem letzten Stück Seil, das mir bleibt, gerade fest, aber es ist besser als nichts.

captured | ✓Where stories live. Discover now