Kapitel 27 | meltdown

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Den Rest des Tages haben Zayn und ich kaum miteinander gesprochen.

Nein, das stimmt nicht ganz. Während er immer wieder versucht hat ein Gespräch zwischen uns entstehen zu lassen, habe ich höchstens mit einem Nicken oder Kopfschütteln Ja oder Nein-Fragen beantwortet, bis er es schlussendlich irgendwann aufgegeben hat. Den Rest des Tages haben wir damit verbracht, dass er Suppe kocht und ich ihm dabei zusehe, er mich wiederum beobachtet hat, wie ich die Suppe esse, und wir anschließend auf dem kleinen Röhrenfernseher mit Antenne und immer wieder abbrechendem Empfang einen Kanal nach dem anderen uns angesehen haben.

Auch wenn er es versucht hat zu kaschieren, während er durch die Kanäle gezappt ist konnte ich bemerken, wie er bei jeder Nachrichtenshow schnell weitergeschaltet hat. Noch immer habe ich keine Ahnung was in der Welt um mich gerade passiert, wodurch ich mich noch mehr in meine eigene, kleine Blase katapultiert fühle.

Alles erscheint so surreal, als blicke auf die Welt durch einen Filter.

Ich verliere immer mehr den Hang zur Wirklichkeit und fühle mich mehr und mehr wie ein bloßer Beobachter. Ein Beobachter meines eigenen Lebens. Womöglich die beste Horrorshow, die Zayns kleiner Röhrenfernseher zu bieten hat.

Ich bin froh gewesen, als er vorgeschlagen hat den Fernseher anzuschalten, sodass ich wenigstens einige Zeit von meinen Gedanken abgelenkt werde, doch die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen.

Und das tut sie auch jetzt noch.

Den Rücken Zayn zugewandt starre ich aus dem Fenster neben dem Bett, durch dessen Kunststoffgläser das Mondlicht auf mich herabfällt. Man sollte denken, so schwach und erschöpft wie ich mich fühle, so ausgelaugt wie mein Körper ist, müsste ich sofort in einen tiefen Schlaf fallen, doch das ist nicht der Fall. Seit Stunden lassen meine Gedanken mich nicht zur Ruhe kommen, während Zayn auf der anderen Seite des Bettes vermutlich bereits vor Stunden in einen tiefen Schlaf gefallen ist.

Zwischen uns befinden sich einige Zentimeter Abstand, sodass wir uns nicht berühren und einzig und allein die Bewegung des Bettes, die entsteht wenn er sich im Schlaf zu wälzt, erinnert mich an seine Gegenwart.

Immer wieder kreuzt meine Gedanken die Frage, wieso ich überhaupt noch hier bin. Ich hätte gedacht, dass er mich längst auf Anweisung des Clowns oder wem auch immer zurück in den Wohnwagen hätte bringen müssen. Oder gar zurück ins Zelt.

Ich schlucke schwer und versuche die Erinnerungen an die Geschehnisse im Zelt schnell in die hinterste Ecke meines Kopfes zu verdrängen, so wie die meisten meiner Gedanken.

Es ist mir auch immer noch ein Rätsel, wieso mit mir diese Tests durchgeführt wurden und noch nicht mehr, außer den vielen blauen und teils roten Flecken kann ich keine äußerlichen Veränderungen an meinem Körper feststellen. Zumindest keine, die auf eine Operation oder etwas derartiges hätten hindeuten können.

Tage zuvor wäre ich vermutlich glücklich über diese Erkenntnis gewesen, doch mittlerweile bin ich erschöpft von dem Unwissen, was ich hier überhaupt zu suchen habe. Es gibt nichts, das sie von mir wollen könnten. Meine Eltern sind nicht reich und sie scheinen auch gar nicht auf Lösegeld für mich aus zu sein, doch um ein Teil ihres Zirkus zu werden bin ich auch nicht geeignet, schließlich besitze ich weder ein wirkliches Talent noch bin ich in jeglicher Hinsicht interessant. So gesehen bin ich tatsächlich einfach nur schrecklich langweilig. Langsam fange ich sogar an zu zweifeln, was meine Familie und Freunde je in mir gesehen haben. Ich beginne mein ganzes bisheriges Leben, meine ganze Existenz anzuzweifeln, da ich keinen Sinn mehr in ihr finde.

Meine Gedanken geben mir keine ruhige Sekunde, und obwohl ich es schaffe, einen Großteil von ihnen zu verdrängen, sind es noch genug, die mich selbst jetzt noch terrorisieren.

captured | ✓Where stories live. Discover now