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Elias Perspektive

Wow, das war mutig! Ich meine, sie haben uns vor eine Wahl gestellt, sie haben uns eigentlich erklärt, dass wir nur eines haben können ... Und sie sagt einfach ‚Nein' zur Entscheidung. Für mich war eigentlich von Anfang an klar, dass ich mich für Zirkenia entscheiden würde, doch jetzt stocke ich.

Ich weiß nicht, was es ist, aber ich vertraue ihr. Ich glaube nicht, dass sie sich einfach so gegen die Entscheidung stellt. Ich kenne Emily fast nur vom Sehen, sie ist ja auch zwei Jahrgänge unter mir, aber ich habe es im Gefühl, dass sie kein Mensch ist, der Entscheidungen aufs Geratewohl fällt.
Nur weil sie still ist, heißt das nicht, dass sie nicht weiß, was sie tut.
Sie gibt sich gerne kleinlaut, schüchtern, fast schon dumm und unsichtbar, aber ich habe gesehen, zu was sie im Stande ist.
Und überhaupt, so wie ich das verstanden habe, brauchen sie uns. Und wenn zwei von uns nicht mitmachen, können sie es gleich vergessen. Ich meine, was wollen sie von drei Element-Wächtern, von denen zwei dasselbe Element 'beherrschen'. Oder auch nicht, denn es kam ja bis jetzt nur durch das Leuchten der Narben zum Vorschein.

Für mich gibt es also keinen Grund, sich wirklich zu entscheiden.

„Ich sehe das so wie Emily, ich will beides!"

Auch Zoey zögert kurz, sie denkt nach, dann sagt sie voller Entschlossenheit: „Ich wähle beide Seiten, ich möchte trotz Zirkenia noch nach Hause!"

Die Zwillinge sehen sich an, dann meint einer der beiden: „Wir schließen uns den anderen an. Wir wählen nicht!"

Wir alle stehen gemeinsam vor den Wächtern und sehen sie entschlossen an. Sie starren uns entgegen, doch ihre Blicke sind unergründbar.

„So sei es", sagt der Erdwächter nach nicht enden wollenden Sekunden. Er lächelt uns jetzt freundlich an. „Also gut, dann lasst uns jetzt mit eurem Unterricht beginnen! Ihr werdet noch früh genug wieder nach Hause kommen, die Zeit vergeht hier anders."

Die Wächter stehen auf und deuten uns an, dass wir ihnen folgen sollen. Wir folgen ihnen aus dem Raum und kommen wieder zu der Treppe. Erst jetzt fällt mir auf, dass der gesamte Eingangsbereich aus Marmor ist. Es ist einfach unglaublich. Ich verstehe zwar nicht, wozu man einen gesamten Raum aus Marmor gestalten muss, es hinterlässt aber einen pompösen Eindruck, der auf mich, der noch nie wirklich viel besessen hat, auch einfach nur herablassend wirkt. Aber wer weiß, vielleicht soll er auch genau das bezwecken.

Wir werden in den Garten geführt. Irgendwann biegen die Zwillinge mit dem Element-Wächter der Erde in einen Wald ab. Dann verschwindet Emily mit der Wasserwächterin in Richtung See. Jetzt sind nur noch Zoey und ich übrig.

Oder doch nicht?

Wo ist sie denn?

Wahrscheinlich ist sie schon vorher irgendwo abgebogen und ich habe es nicht bemerkt ...

Ich laufe mit der Luftwächterin zu einer riesigen freien Wiese, eine gigantische Fläche aus Gras. Dort angekommen dreht sie sich zu mir um.

„Wir beginnen jetzt gleich mit dem Training. Du zeigst mir, was du alles kannst und dann sage ich dir, was du alles können wirst."

„Und wie soll ich das anstellen?", frage ich verwirrt. „Als ich meine Kräfte das erste Mal benutzt habe, war ich in totaler Panik, ich weiß gar nicht mehr, wie ich das angestellt habe  geschweige den ob sie tatsächlich existieren!"

Ich hebe ab. Ich steige immer weiter in die Luft. Ich weiß gar nicht, wie es mir geschieht und schon bin, ich in einer schwindelerregenden Höhe angelangt. Gerade als ich dabei bin, mich mehr oder weniger an dieses seltsame Gefühl zu gewöhnen, stürze ich auf den Boden zu. Mich überkommt das gleiche Gefühl wie in der Hütte. Mein Blut scheint eiskalt zu werden und mein Herz pocht wie verrückt, als wollte es aus meinem Brustkorb springen.
Auf einmal höre ich auf zu fallen. Ich stehe in der Luft.
Nein, ich fliege.
Ich kann es kaum glauben. Ich versuche, mich langsam Richtung Boden zu bewegen, doch es tut sich nichts. Dann, ganz plötzlich, falle ich schon wieder, aber diesmal stoppe ich nicht, egal wie verzweifelt ich es auch versuche. Ich schließe die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie der Boden immer näherkommt. Ich spüre, wie das Adrenalin durch meinen ganzen Körper gepumpt wird, aber das wird mir nicht viel bringen. Vielleicht verhindert es ja einen schmerzhaften Tod.

War es das, mein Leben?

Ich schnappe nach Luft und erwarte einen harten Aufprall, doch der bleibt aus. Stattdessen kitzelt mich etwas an der Nasenspitze. Ich öffne die Augen und sehe... Gras?
Ich bin kurz vor dem Gras gestoppt.

Kaum sehe ich erstaunt zu meiner neuen Lehrerin, da falle ich auch schon die letzten Zentimeter ins Gras.

„Wie du siehst, ist es dir möglich, zu fliegen, allerdings ist dir das bis jetzt nicht wirklich gut gelungen, hätte ich dich nicht gestoppt, wärst du jetzt nicht mehr am Leben."

„Danke", sage ich atemlos und nicht wirklich dankbar, schließlichwar sie es die mich gast ermordet hat. Ich bin immer noch geschockt von meinem kurzen Flug und vor allem dem Fall. Hätte sie mich nicht in die Luft befördert, wäre ich nicht gefallen und müsste mich auch nicht dafür bedanken, nicht gestorben zu sein.

„Außerdem", erklärt die Wächterin weiter, ohne auf meinen unhöflichen Ton einzugehen, „bist du in der Lage, mit genügend Übung und mithilfe des Diamanten natürlich, Stürme und sogar Tornados herauf zu beschwören. Du kannst", hier macht sie eine Pause, um mir einen kritischen Blick zuzuwerfen, „die Luft so verändern, dass andere darauf laufen können, oder du dich schneller fortbewegen kannst", beendet sie ihren Vortrag.

Ich bin beeindruckt, als mir die Wächterin zeigt, wie sie einen kleinen Tornado auf ihrer Hand hält.

Ich schaffe es nicht einmal mehr, auch nur einen Windstoß zu erzeugen. Dennoch geht der Tag schnell vorbei.
Auf dem Rückweg verrät mir die Wächterin ihren Namen. Sie heißt Elara. Sie bringt mich in das Schloss und führt mich zu den anderen, in einen Raum mit einem großen langen Tisch.
Dieser Raum sieht eigentlich recht simpel aus, wäre da nicht ein gigantischer silbern funkelnder Kronleuchter, der von der Decke hängt. Während wir auf das Essen warten, unterhalten wir uns über das erste Training.

Elara und die anderen Wächter sind nicht da.

„Was habt ihr so gemacht?", fragt Emily neugierig.

„Also wir haben gelernt was wir alles können werden, wenn wir es schaffen, die Blockade zwischen uns aufzuheben", meint einer der Zwillinge wenig begeistert. „Und das wäre?", fragt Zoey.

„Na ja, Aron meinte wir können Pflanzen wachsen lassen und Erdbälle werfen, oder sogar Erdbeben erzeugen, auch wenn Joel ihm das nicht glaubt ...", antwortet Jaron etwas belustigt darüber, dass sein Bruder so pessimistisch ist.

„Also ich habe es geschafft eine Wasserkugel zu erschaffen und sie dann aus Versehen über Lyra fallen lassen, ihr hättet ihr Gesicht sehen sollen!", erzählt Emily lachend. Ihr Lachen hat etwas an sich, man muss direkt mitlachen. Sie hört aber schnell wieder auf und wird wieder ruhig, so als hätte sie für einen Augenblick vergessen, dass sie eigentlich nicht der offene Typ ist, der die anderen zum Lachen bringt.

„Dann hast du immer noch mehr hinbekommen als ich", meint Zoey ernst. „Ich habe es nicht mal geschafft eine Kerze anzuzünden und das, obwohl ich angeblich so viel Schaden anrichten kann."

„Also ich bin geflogen", berichte ich stolz.

„Ach, Herr Großkotz ist also bekehrt worden?", lacht Zoey und kassiert dafür einen meiner fiesesten Blicke.

Emily schaut mich ungläubig an „Wirklich?"

„Ich habe es zumindest versucht", sage ich lachend und erzähle dann, von meinem Fall und wie ich in letzter Sekunde von Elara aufgefangen wurde.

Nach dem Essen, reden wir weiter über unsere Fähigkeiten und was wir wohl noch lernen werden.

Wir reden solange, bis ein Mädchen, das sich als Ally vorstellt, in den Saal kommt und uns zu unseren Zimmern führt. Wir wohnen alle im selben Gang, ich glaube im fünften Stock, was mich ungemein beruhigt, da ich also nicht allein bin. Bevor ich in mein Zimmer gehe, sehe ich noch, wie Emily Ally in ihr Zimmer bittet und sie etwas Dringendes zu fragen scheint. Die anderen sind schon in ihren Zimmern verschwunden, nur ich starre noch auf Emilys Tür.

Sie weiß etwas, dass wir nicht wissen und ich werde herausfinden, was es ist.

Da kann sie sich noch so unauffällig verhalten, wenn man es auf sie abgesehen hat, funktioniert das nicht mehr.

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Ich hoffe natürlich weiterhin, dass euch das Buch gefällt, und freue mich über Votes!

~Aurelia

Zirkenia - Die Macht der ElementeOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz