Kapitel 34

720 49 35
                                    


,,Luke kommt gleich noch vorbei."

Ich sitze gemeinsam mit meinen Eltern am Essenstisch und nehme, wie ich es seit Neustem so gerne nenne, das letzte Abendmahl zu mir, auch wenn es sich hoffentlich noch nicht um das Letzte handelt.

Mir ist klar, dass es mittlerweile jede Sekunde vorbei sein könnte. Ich könnte jede Sekunde einfach so umkippen, einschlafen und nicht mehr aufwachen oder qualvoll in den Abgrund stürzen, alles ist möglich. Mein Zustand ist bei weitem nicht super, aber ich habe das Gefühl, dass meine Sanduhr noch nicht ganz abgelaufen ist. Dass das letzte Korn noch nicht gefallen ist. Aber wie es wirklich aussieht kann niemand wissen.

,,Das freut mich, er war gestern gar nicht da."

Mama hat Luke für meinen Geschmack schon fast zu gern und hätte wahrscheinlich sogar am liebsten, dass er hier wohnt. Auf der einen Seite damit er mich babysitten könnte und auf der anderen, weil er ihr gerne Honig ums Maul schmiert und das meiner Mutter natürlich besonders gefällt. Er ist eben ein richtiger Chameur, dem man hoffnungslos ausgesetzt ist.

Picasso hat in letzter Zeit viel mit seiner Ausbildung zu tun, da er momentan im Endspurt ist und dadurch zu seinen normalen Arbeitszeiten noch einiges dazu kommt. Er versucht aber trotzdem jeden Tag vorbeizukommen und wenn er es wie gestern mal nicht schafft, ruft er meistens an.

Ich würde auch zu ihm kommen, jedoch ist es mir zu riskant den Weg alleine zurückzulegen, das traue ich mir und vor allem meinen Lungen nicht mehr zu und ich möchte auch nicht, dass mich jemand begleiten muss.

Papa steht auf um den Tisch abzuräumen, da nun alle fertig sind und meine Mutter beginnt zu spülen. Normalerweise würde ich jetzt helfen, aber meine Eltern lassen mich wirklich absolut nichts mehr erledigen, da alles zu anstrengend und kraftraubend für mich sei.

Wahrscheinlich würden sie sogar selbst wenn ich nur eine Blume pflücken würde sagen, dass es doch viel zu gefährlich sei, aber ich habe mir vorgenommen diese Logik nicht infrage zu stellen. Das macht es leichter für sie und für mich, denn ich will mich ganz bestimmt nicht beschweren, dass ich keinen Abwasch mehr machen muss. Eigentlich müsste ich drauf einen trinken, wo es mir gerade so bewusst wird. Morgen vielleicht.

,,Ich bin oben, schickt ihn einfach hoch, wenn er da ist."

Mit diesen Worten stehe auch ich auf und laufe die Treppe zu meinem Zimmer hinauf, was nun schon eine große Herausforderung darstellt. Oben angekommen fühle ich mich als hätte ich einen Marathon gelaufen und wäre danach von einer Herde Rinder überrannt worden, einfach nur erschöpft und müde. Die zusätzliche Anstrengung mindert zudem leider nicht den brennend Schmerz. Und so geht es mir fast jede einzelne Minute.

Ein kleines Nickerchen könnte jetzt nicht schaden, weswegen ich mich hinlege, jedoch hält diese Ruhe nicht lange, da Luke höchstpersönlich in mein Zimmer geplatzt kommt.

,,Ich dachte immer meine Eltern wären die Einzigen, die noch nichts von anklopfen gehört hätten, ich hätte nackt sein können."

,,Ich kann auch nochmal rausgehen und wenn ich wieder reinkomme bist du es dann ja vielleicht."

Luke Bennett, seit wann sind wir so frech geworden? Wahrscheinlich hatte Maja doch Recht bezüglich des schlechten Einflusses meinerseits.

,,Das Klappergerüst willst du nicht sehen. Falls du doch noch lieber Medizin anstelle von Kunst studieren willst, stelle ich mich freiwillig als Skelett zur Verfügung."

Er kommt letztendlich vor mir zum Stehen, beugt sich über mich und drückt mir einen sanften Kuss auf den Mund.

,,Ich denke, ich bleibe bei der Kunst, aber vielen Dank für das Angebot."

Für den Augenblick Where stories live. Discover now