Kapitel 29

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Mama. Papa. Oma. Maja. Finn. Fawkes.

Luke.

Sieben Gründe warum ich es nicht tun sollte. Sieben Gründe warum es sich zu leben lohnt, warum mein Leben überhaupt irgendeinen Sinn hat. Und diese Gründe sind überzeugend.

Ich bin nicht hier um mich umzubringen. Nicht hier um zu springen. Das war ich von Anfang an nicht.

Ich bin hier, weil es ich nochmal spüren wollte. Die Freiheit, ein Anzeichen von Lebendigkeit und nicht die ständige Konfrontation mit dem Tod. Unendlichkeit.

Kommt erst mit dem Tod die wirkliche Unendlichkeit oder nimmt dort unsere kleine Unendlichkeit ein Ende?

Wenn ich Luke fragen würde, wäre seine Antwort eindeutig. Sie beginnt dort und es wird fantastisch sein. Gott ist fantastisch, würde er mir sagen.

Ich weiß nicht, ob es besser ist keine Schmerzen zu spüren, nichts zu spüren, aber dafür auch nichts zu sein oder auf dieser Erde zu weilen und von Gefühlen zerrissen zu werden. Jedoch ist die Antwort irrelevant, denn ich habe keine Wahl. Wir müssen uns mit dem zufrieden geben, was wir bekommen. Und genauso mit dem, was wir nicht bekommen können.

Der kalte Wind peitscht mir durchs Gesicht und haucht meinem Körper Leben ein. Er macht mich lebendiger. Er zwingt meine kaputten Lungen dazu Luft aufzunehmen.

Wenn mir Luke eines gezeigt hat, dann ist es, dass wir das schätzen sollten, was wir haben. Jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde und jede einzelne Sekunde. Jeden noch so winzigen und vielleicht im ersten Moment unbedeutend scheinenden Augenblick. Er hat mir beigebracht zu lieben, mit dem ganzen Herzen dabei zu sein und aus jeder noch so beschissenen Situation das Beste zu machen.

Und genau das sollte ich mit meiner restlichen Zeit tun. Ich sollte das beste daraus machen, sie in vollen Zügen genießen und Picasso so sehr auf die Nerven gehen, dass er die nächsten Jahre genug von mir hat. Naja, wohl eher die nächsten Monate. Wenn überhaupt.

Ich frage mich, was er gerade tut. Schläft er? Weiß er, dass ich wach bin? Ist es ihm egal? Haben Mama und Papa ihm Bescheid gegeben?

Die Krankenschwester hat zumindest sicherlich mittlerweile gemerkt, dass ich nicht im Bett liege und höchstwahrscheinlich meine Eltern kontaktiert. Sicherlich dauert es nicht mehr lange, bis das Sondereinsatzkommando der Polizei nach mir sucht und dann bin ich am Arsch.

Außerdem lassen die Unmengen an Schmerzmitteln allmählich nach, sodass meinen Körper immer wieder starke Schmerzen durchzucken und Zweifel entstehen, ob ich es zurück zum Krankenhaus schaffe. Es wäre schon ziemlich mies, wenn ich nicht gesprungen wäre, aber dann wenige Meter später abnipple.

Ich steige vorsichtig von dem Geländer, woraufhin meine zittrigen Beine mehr Halt bekommen und laufe zur nächsten Bushaltestelle, von der jedoch um diese Uhrzeit keine Busse mehr fahren.

Das sind Momente in denen ich mich frage, warum ich nicht einfach gesprungen bin.

Also begebe ich mich auf den Weg zu der nächsten, doch mich überkommt eine Welle von Übelkeit und Schwindelgefühlen, weswegen ich mich am Straßenrand niederlasse und den Kopf auf meinen Händen abstütze. Wie komme ich bloß immer auf solch bescheuerte Ideen?!

Ich höre wie mehrere Autos viel zu schnell an mir vorbei fahren, bis plötzlich eines direkt vor mir hält und der Klang des Motors verstummt.

Hoffentlich handelt es sich um keinen Kidnapper, wenn doch habe ich aber schon einen netten Monolog geplant. Wunderschönen guten Abend, an Ihrer Stelle würde ich mich lieber nicht mitnehmen, da ich Ihr ganzes Quartier voll kotzen werde. Also überlegen Sie es sich besser zwei Mal, jetzt können Sie noch abhauen. Und dazu das süßeste Lächeln, das ich auf Lager habe. Super Plan.

Für den Augenblick Where stories live. Discover now