Kapitel 27

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Schmerz. Ich spüre schreckliche Schmerzen.

Es ist als würde ich in einem schwarzen Meer schwimmen. Nur, dass ich eben nicht weiß wie man schwimmt. Meine Lungen füllen sich qualvoll langsam mit Wasser, während ich immer tiefer und tiefer sinke. Wie ein lebloser Stein, der nichts, rein gar nichts, tun kann.

Warum jetzt? Warum ausgerechnet nach diesem Tag?

Ich sinke immer weiter. Ich bekomme immer weniger Luft. Es muss etwas passieren.

Ich versuche meinen Eltern zu rufen, die wahrscheinlich tief und fest schlafen, doch es ist schwer einen ordentlichen Ton unter Wasser herauszubekommen.

Es ist schwer einen Ton herauszubekommen, wenn nicht mehr genug Sauerstoff in deine Lungen fließt und du dein eigenes warmes Blut schmeckst. Wenn du den Tod schmeckst.

Ich falle immer tiefer und mir ist klar, dass mich niemand auffangen kann. Ist es etwa schon Zeit loszulassen? Den freien Fall zu genießen und sich auf den Aufprall vorzubereiten, der hoffentlich kurz und schmerzfrei wird?

Ein erstickter Schrei verlässt meine Kehle. Wann hören diese Schmerzen endlich auf?

Das Wasser um mich herum dämpft alles, doch ich höre mehrere schnelle Schritte. Schritte die sich auf mich zubewegen. Schritte die mir helfen wollen.

Die Tür wird aufgerissen und ich erblickte durch einen Schleier von Tränen meine Eltern. Meine wunderbaren Eltern.

„Kate! Kate mein Schatz!"

Ich bemerke stumpf wie sie zu mir gerannt kommt und sich über mich beugt. Ihre Augen sind glasig. Ihre Augen sind mit mehr Schmerz erfüllt als die meinen.

„Tobias, ruf den Notarzt! Sofort!"

Papas gedämpfte, panische Stimme ertönt leise, bis ich auch seine Anwesenheit direkt bei mir spüre.

„Alles wird gut, mein Liebling! Du schaffst das, ja? Wir lieben dich, mehr als alles andere, denk daran! Bitte bleib uns, Kate, bitte!"

„Es ist okay. Es ist alles okay. Wir schaffen das. Der Notarzt kommt gleich!"

Beide reden gleichzeitig auf mich ein, doch ich bin nicht in der Lage zu antworten. Ich bekomme gerade so ein leichtes Nicken zustande, auch wenn ich tief im Inneren weiß, dass nicht alles gut sein wird. Wenn ich weiß, dass auch sie loslassen müssen. Aber es ist okay. Es ist wirklich okay.

Ich versuche all meine Kraft zu sammeln, um die Hände meiner Eltern für ein, vielleicht letztes Mal, zu drücken und ihnen die Worte zu sagen, die den Schmerz dämpfen sollen.

Doch ich schaffe es nicht. Schaffe es nicht ein einziges Wort über meine Lippen zu bringen.

Das markerschütternde, herzzerreißende Schluchzen meiner Mutter ertönt, während sie sich an mir festkrallt, als wäre ich ein Anker. Ein Anker, der gerade untergeht.

„Halte noch etwas durch! Du schaffst das, mein Liebling!"

Ich liebe meine Eltern so sehr. Ich liebe sie für alles, was sie getan haben und für alles, was sie noch tun werden. Und dasselbe gilt für meine Oma, Maja und Finn.

Und Luke. Er hat meine Päckchen getragen, das Monster unter meinem Bett fern gehalten und mir meinen Frieden geschenkt. Er hat mir gezeigt was es bedeutet zu leben und was es bedeutet zu lieben, was ich nur leider viel zu spät bemerkt habe.

Mein ganzer Körper verkrampft immer wieder unter diesen zerreißenden Schmerzen und jeder Atemzug, den ich versuche zu nehmen, lässt meine Lunge weiter voller Wasser laufen. Jeder Atemzug ist eine Qual. Ein einziger Kampf. Ein Kampf, den ich schon länger kämpfe, aber anscheinend verliere.

Aber das ist okay. Im Leben kann man nicht immer gewinnen. Im Leben gehört verlieren dazu und letztendlich verlieren wir alle irgendwann, nur um daraufhin alles zu gewinnen. Es wird nicht ganz vorbei sein, das weiß ich. Und vielleicht ist es auch jetzt noch nicht vorbei.

Mama und Papa reden weiter auf mich ein, doch mittlerweile verstehe ich gar nichts mehr.

Das Einzige, was zu hören ist, ist das Rauschen. Das Rauschen des Meers des Lebens. Und es ist ein beruhigender Klang. Ein Klang, der mir Frieden und Zuversicht schenkt. Der mich in den Schlaf wiegt.

Ich spüre die Schmerzen immer weniger, das Wasser und alles andere um mich herum wird still und das einzige, das ich noch sehe ist der Sternenhimmel. Lukes und mein Sternenhimmel. Die Unendlichkeit. Die Schwerelosigkeit. Die Liebe.

Alles in mir wird taub. Irgendwann hat man ein Level an Schmerzen erreicht, die nicht mehr auszuhalten sind und meines ist beinahe voll. Ich brauche Hilfe. Dringend.

Gerade als die Schmerzen wieder stärker werden, stürmen Menschen in mein Zimmer.

An mir wird gerüttelt, gedämpfte Stimmen dringen zu mir und alles erscheint hektisch, aber irgendwie auch nicht. Es kommt mir beinahe so vor, als wäre ich stiller Zuschauer eines Schauspiels.

Mein Körper bewegt sich, ohne dass ich etwas tue. Ich kann nicht mal etwas tun, denn das Meer verschlingt mich immer mehr. Was passiert jetzt mit mir? Ist das hier das große Finale?

Ich werde immer weiter hinunter in die Tiefen gerissen, bis alles um mich herum schwarz wird und ich eine wunderbare Traumwelt treibe. Eine Welt ohne Schmerzen und Sorgen, aber auch eine Welt ohne Bewusstsein.

 Eine Welt ohne Schmerzen und Sorgen, aber auch eine Welt ohne Bewusstsein

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