16. Eine ganz besondere Nacht

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In Gedanken versunken erreichte ich unser Zimmer und öffnete die Tür. Newt war tatsächlich nicht da und auch im Badezimmer war niemand.
Er ist wirklich wieder in die Schächte gegangen.
Ich nahm mir frische Sachen und ging unter die Dusche, wobei ich meinen Plan noch einmal durchging.
Morgen würde ich mit Rachel reden und Thomas würde ich erst einweihen, wenn wir bereits genug Informationen gesammelt hatten, damit er mir nichts mehr ausreden konnte. Und gleich nachdem Newt abgeholt worden war, würde ich mich mit Minho in Jansons Büro schleichen und nach Hinweisen suchen.
Es tat weh, so über Newt zu denken. Aber ich wusste, dass das, was wir vorhatten wichtig und vor allem richtig war. Außerdem würde es nicht lange dauern und auch ich würde in die Gedächtniskammer gebracht und alles vergessen – vorausgesetzt Teresa hielt ihr Versprechen. Und bis dahin musste ich diese Kinder einfach retten.
Während ich meine Haare bürstete und dann wieder zu einem Zopf flocht, betrachtete ich mich im Spiegel und fragte mich, wer ich eigentlich war, dass ich so entschlossen war alles zu riskieren, um ein paar Kinder zu retten.
Doch was war 'alles'? Wenn Newt weg war, gäbe es da eh nichts mehr, was ich riskieren konnte, außer vielleicht mein eigenes Leben. Und um das machte ich mir ehrlich gesagt nicht allzu große Sorgen.
Ich verließ das Badezimmer und stellte fest, dass Newt noch immer weg war, obwohl ich mir wirklich Zeit beim Duschen gelassen hatte.
Gedankenverloren holte ich die Karte aus dem Lüftungsschacht und rollte sie auf dem Boden aus. Ich suchte nach den Büros und fand sie bald, ziemlich weit von unseren Zimmern entfernt, aber mit dem System verbunden, mit dem auch unser Zimmer verbunden war. Jetzt galt es nur noch herauszufinden, auf welcher Ebene sich Jansons Büro befand und dann, wann er in einer Woche außerhäusig sein würde.
Nachdem ich die Karte wieder versteckt hatte legte ich mich auf mein Bett und starrte zur Decke. Wie lange war Newt wohl schon weg? Würde er bald wieder kommen?
Ich spürte, wie ich mich nach seiner Wärme sehnte und wie ich ihn vermisste. Wie sollte das erst in einer Woche werden?
Irgendwann sah ich auf die Uhr, denn langsam hatte ich das Gefühl, dass Newt zu lange weg war. Ja, er vermisste seine Schwester und wollte sicherlich gerne bei ihr sein, aber ich begann mir trotzdem Sorgen zu machen. Ich richtete mich auf und entschloss mich, nach ihm zu schauen. Zwar war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich den richtigen Weg finden würde, aber ich musste einfach nach ihm suchen und sehen, ob alles okay war.
Also öffnete ich die Klappe, kletterte hinein und schloss sie wieder hinter mir. Ich konzentrierte mich so sehr, dass mein Kopf schmerzte, aber tatsächlich – ich fand den Schlafraum seiner Schwester. Doch der Platz, an dem wir zusammen gesessen hatten, war leer und ich setzte mich resigniert hin und spähte durch die Schlitze. Alles schlief dort unten und ich konnte Lizzy sehen, wie sie mit dem Rücken zu mir ruhig atmete.
Wo war Newt?
Ich machte mich auf den Rückweg, während ich mich fragte, ob es sein konnte, dass er einen anderen Weg genommen hatte und wir uns womöglich verpasst hatten.
Als ich gerade um eine Ecke bog, hielt ich allerdings inne, denn ich hatte etwas entdeckt. Den Leiterschacht zum Dach.
Konnte es sein, dass Newt da oben war?
Ich musste einfach nachschauen und kletterte die Leiter hoch. Und tatsächlich – kurz bevor ich oben ankam konnte ich die frische Luft riechen und als ich nach oben sah, konnte ich die Sterne erkennen. Die Klappe war also offen. Jemand war da oben.
Vorsichtig kletterte ich die letzten Sprossen hoch und lugte heraus. Newt saß mit dem Rücken zu mir am Rand des Dachs und schaute in die Ferne.
Die Nacht war hell, es musste bald Vollmond sein, weshalb ich ihn gut erkennen konnte. Als ich leise aus dem Schacht stieg, sah ich mich zuerst um und konnte das Labyrinth sehen, das sich zu meiner Rechten erstreckte. Weit entfernt konnte ich die Lichtung erkennen, denn dort mussten viele Lichter brennen.
Ich wandte meinen Blick wieder zu Newt und ging langsam zu ihm herüber. Er musste mich schon bemerkt haben, oder er hatte erwartet, dass ich irgendwann nach ihm suchen würde, denn er sah nicht auf, als ich mich leise neben ihn setzte und meine Augen ebenfalls über die Wüste schweifen ließ.
Wieder konnte ich Cranks sehen, die durch den Sand rannten, taumelten oder einfach herum standen. Und dieses Mal konnte ich sie sogar hören, denn einige waren in unserer Nähe. Sie machten eigenartige Geräusche, die mich ziemlich erschreckten. Ich fragte mich, inwieweit noch Menschlichkeit in ihnen war und ob es uns irgendwann möglich sein würde, ihnen zu helfen. Wollten sie überhaupt, dass man ihnen half? Wussten sie, dass sie krank waren? Oder setzte dieses Bewusstsein irgendwann vollkommen aus?
Ich wusste, dass ich mich nicht mit dem Brand anstecken konnte und trotzdem zog sich in mir alles zusammen, wenn ich mir vorstellte, wie es sich wohl anfühlen musste.
Ich sah zu Newt herüber und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Er könnte sich anstecken. Er ist nicht immun.
Das durfte niemals passieren. In keinem Fall.
Er hatte es verdient zu leben, bis er alt war und ein langes und glückliches Leben hinter sich hatte.
In diesem Moment wollte ich nichts mehr als das. Und ich wusste, dass das nicht in meiner Hand lag, dass ich nichts dagegen tun konnte, dass ihm etwas passierte. Dieser Gedanke schmerzte so sehr, dass sich mein Herz in meiner Brust zusammenzog.
Ich versuchte, die Gedanken wegzuwischen und stattdessen an das Hier und Jetzt zu denken.
„Wie lange bist du schon hier?", fragte ich, wobei ich weiter in die Ferne schaute.
Auch Newt bewegte seinen Kopf nicht. „Eine Stunde oder so? Ich weiß es nicht. Vielleicht auch zwei. Die Zeit vergeht so schnell, wenn man nachdenkt."
„Du denkst nach?"
„Ja." Er klang bedrückt.
„Über was denn?"
„Über mich. Über meine Vergangenheit und was mich nächste Woche erwartet. Und über dich."
Jetzt sah ich ihn an. „Über mich?"
„Ja." Damit machte er eine längere Pause.
„Ich denke daran, was passiert, wenn ich nicht mehr hier bin. Wenn du in diesem Labor sitzt und mir zuguckst, wie ich vollkommen verwirrt im Labyrinth ankomme. Ich denke darüber nach, wie es sich andersrum für mich anfühlen würde, wenn ich dich beobachten müsste. Und ich bin sicher, es würde mich zerbrechen."
Ich wollte ihm sagen, dass es nicht für lange sein würde, wollte ihm von meinem Plan mit Teresa erzählen und ihm sagen, dass wir uns wieder sehen würden. Wollte ihm erklären, was genau ich in die Nachricht an Gally geschrieben hatte und dass das nicht nur leere Versprechungen waren.
Aber er kam mir zuvor.
„Du musst mir versprechen, dass du auf dich aufpasst. Und dass du hier bleibst, so lange du kannst. Du darfst auf keinen Fall meinet wegen versuchen ins Labyrinth zu kommen. Du darfst dich niemals in Gefahr bringen. Versprichst du mir das?"
Jetzt sah er mir in die Augen und ich konnte Tränen in seinen sehen, die mich sofort wieder den Atem anhalten ließen. Er war so wunderschön. Und so... kaputt. Ihm war so vieles passiert und er hatte so viel gesehen, Dinge, die ich mir gar nicht vorstellen konnte. Und jetzt saß er hier mit dem Wissen, dass er in einer Woche ins Labyrinth gebracht werden und all seine Erinnerungen verlieren würde.
Und trotzdem sah er mir gerade in die Augen und alles was er wollte war, dass ICH in Sicherheit war.
Ich konnte einfach nicht anders, als zu nicken. Ich konnte ihn nicht noch mehr belasten, also log ich.
Für mich war nichts klarer, als die Tatsache, dass ich hier nicht bleiben würde ohne ihn, denn es gab dann nichts mehr, was mich hier hielt. Und ich würde niemals mein Leben damit verbringen zu beobachten, wie er und Gally und all die anderen litten.
Mit Newt neben mir hatte ich es irgendwie ausgehalten. Aber wenn er nicht mehr bei mir wäre, würde es mich zerbrechen, zu sehen, wie sie litten, da war ich sicher.
Trotzdem nickte ich und flüsterte: „Ich verspreche es."
Das reichte ihm. Er schlang seine Arme um mich, zog mich ganz nah an sich heran und küsste mich. Es war anders als die anderen Male zuvor. Intensiver und so voller Emotionen, dass ich völlig überwältigt war. Ich hielt mich mit einer Hand an seinem Rücken fest und strich mit der anderen durch seine weichen Haare. Wir hielten uns so fest, dass ich beinahe das Gefühl hatte, dass wir miteinander verschmolzen, so natürlich fühlte sich seine Wärme an mir an.
Während wir so da saßen und uns küssten veränderte sich etwas zwischen uns. Seine Lippen auf meinen wurden irgendwie drängender, fordernder, aber niemals so, dass es sich komisch anfühlte. Es war einfach anders.
Ich erwiderte den Kuss genauso und spürte zum ersten Mal ein Verlangen in mir, das ich so noch nie gespürt hatte. Noch nie vorher und auch nicht bei einem Kuss mit ihm zuvor. Als wollte ich weiter machen, auch wenn ich mir noch nicht sicher war, was das bedeutete. Und ich konnte spüren, dass es Newt gerade genauso ging.
Er schien aber ein Stück weit mehr zu wissen, was er tat, auch wenn ich sicher war, dass er so noch nie mit jemandem zusammen gewesen war. Er verlagerte sein Gewicht etwas und drückte mich dadurch runter, bis ich sanft auf dem Stein aufkam. Noch immer hatten wir uns nicht einen Zentimeter voneinander gelöst und ich konnte jetzt sein Herz spüren, das schneller schlug als normal. Ich war sicher, dass auch mein Puls erhöht war, denn ich merkte, dass mein Atem schneller ging und mich wieder dieses unglaubliche Kribbeln durchströmte.
Irgendwie und ohne, dass ich es wirklich wahrgenommen hatte, hatte ich Newt sein T-Shirt ausgezogen und trug selbst nur noch meinen BH. Jetzt konnte ich auch mein Herz ganz genau spüren, dass mir mittlerweile bis zum Hals schlug.
Was passierte hier gerade? Mitten auf dem Dach von WICKED, auf dem wir uns nicht einmal aufhalten durften?
Ich entschied, dass es mir egal war. Ich wollte einfach meine Gedanken an all das abschalten und den Moment genießen.
Ich war völlig sicher, dass es das Richtige war, was wir hier taten und wollte nirgendwo anders sein als hier. Mit Newt. Genau jetzt.
Als er meine Hose öffnete, hielt er kurz inne und sah mich prüfend an.
„Ist das in Ordnung für dich? Ich will nicht -"
Doch ich unterbrach ihn. „Bitte, mach weiter." Und als er mir die Hose ausgezogen hatte und mich wieder küsste flüsterte ich zwischen zwei Küssen: „Ich will genau das hier, genau jetzt, nur mit dir."
Ich spürte, dass er nickte, während er sanft meinen Hals küsste. Schnell setzte ich mich etwas auf, um an seine Hose heranzukommen und auch sie zu öffnen. Er musste mir helfen, weil meine Hände ein wenig zitterten und warf sie dann zur Seite, wie unsere übrigen Sachen.
Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass wir aufpassen mussten, dass nichts vom Dach fiel, wobei ich schmunzeln musste, doch ich vergaß ihn schnell wieder, weil Newt seine Lippen jetzt wieder auf meine legte.
Dieses Mal verlor ich mich so in diesem Moment, dass alles, was folgte mir vorkam wie ein wunderschöner Traum.
Ich konnte mich später erinnern, dass ich kurz einen brennenden Schmerz spürte, der aber rasend schnell verflog, weil er einfach so unglaublich vorsichtig war. Und nachdem dieser Punkt überwunden war, fühlte sich einfach alles an und in mir nur noch gut an, als befände ich mich in einer anderen Welt, ganz alleine mit Newt und als führten wir ein vollkommen sorgenloses und wunderbares Leben, ganz ohne WICKED, den Brand und eine Erde, die von der Sonne verbrannt wurde. Ich vergaß, dass wir nur noch knapp eine Woche zusammen hatten und auch, dass ich versuchen wollte, die Kinder zu retten. Ich dachte nicht mehr an das Labyrinth, an meine Zukunft an irgendetwas.
All meine Gedanken waren auf genau diesen Moment konzentriert.
Und auch als es vorbei war und ich in Newts Armen lag, legte ich einfach meinen Kopf auf seine Brust und hielt ihn fest umschlungen, ganz ohne an etwas anderes als ihn zu denken.
Nachdem wir schweigend in den Sternenhimmel geschaut hatten war Newt irgendwann der erste, der etwas sagte.
„Ich liebe dich. Und das wird sich auch in 100 Gedächtniskammern nicht ändern."
„Ich liebe dich auch. Und das wird sich auch niemals ändern."
Wir küssten uns wieder und dieses Mal war der Kuss nochmal anders als vorher. Es fühlte sich irgendwie noch vollkommener an und so, als hätten wir jetzt alle Grenzen zueinander überschritten.
„Wir sollten zurückgehen", meinte Newt, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten.
Ich nickte. Er hatte Recht, wir sollten wirklich versuchen, noch ein wenig zu schlafen.
Wir suchten unsere Sachen zusammen und zogen uns wieder an. Dann machten wir uns auf den Weg zurück in den Schacht und dann durch die Luftschächte in unser Zimmer. Dort angekommen legten wir uns ins Bett und schliefen tatsächlich noch einmal ein, eng aneinander gekuschelt.
Als ich langsam weg dämmerte und Newts ruhigem Atem lauschte, war ich mir sicher, dass ich mich noch nie so wohl und geborgen gefühlt hatte, wie gerade.

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