14. Namen an der Wand

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Als wir unser Zimmer erreicht hatten, war Newt aus dem Lüftungsschacht gesprungen und auf meinem Bett gelandet, bevor er seine Arme ausgestreckt hatte, um mir herunter zu helfen. Er hatte mich auf dem Bett abgesetzt und wir hatten uns lange angesehen, wobei niemand etwas gesagt hatte.
Mittlerweile saßen wir zusammen auf meinem Bett und lehnten an der Wand, über uns war die Klappe wieder zu und der Plan dahinter versteckt. Es war bereits 6 Uhr und natürlich lohnte es sich nicht mehr, noch zu schlafen. Ich war mir allerdings auch sicher, dass wir beide nach dieser Nacht sowieso kein Auge zu bekommen hätten.
Zuerst hatten wir Newts Schwester gefunden, dann hatten wir einen Weg aufs Dach entdeckt und dort das schönste gesehen, was ich mir ausmalen konnte – den Sonnenaufgang. Das Labyrinth hatte uns beide so beeindruckt und gleichzeitig auch eingeschüchtert, dass wir es erst einmal stumm verarbeiten mussten. Dass wir um ein Haar auch noch gesehen worden wären einmal hinten angestellt.
Irgendwann durchbrach Newt dann doch die Stille, als ich schon darüber nachgedacht hatte, ob wir nicht langsam schon einmal zum Frühstück gehen sollten, um uns abzulenken.
„Es war sehr schön mit dir da oben. Das war mit Abstand der wunderbarste Sonnenaufgang, den ich gesehen habe und ich bin sicher das lag an dir." Jetzt sah er mich von der Seite an und ich spürte, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Ich fand es auch sehr schön. Aber ich bin auch ziemlich geschockt von dem, was wir gesehen haben. Und... Ich bin froh, dass es deiner Schwester gut geht."
Ich nahm seine Hand. Er verschränkte seine Finger mit meinen und küsste meinen Handrücken.
„Und ich bin froh, dass du bei mir warst. Das bedeutet mir wirklich sehr viel."
Wir schwiegen wieder und ich lehnte mich an ihn, den Kopf an seiner Schulter.
„Newt?", fragte ich dann. „Gehen wir nochmal da hoch? Bald?"
Er nickte. „Sehr gerne."
Ich schloss meine Augen für einen Moment und spürte wieder diese tiefe Zuneigung ihm gegenüber. Dieser Sonnenaufgang hatte mehr für mich bedeutet, als er sich vorstellen konnte. Es war, als verband uns dieses Erlebnis so sehr, zumindest für mich, dass ich mir in dieser Sekunde sicher war, dass ich das niemals vergessen würde. Ganz egal, wie oft sie mich in diese Gedächtniskammer stecken würden, das würden sie niemals löschen können. Ich wusste es einfach.
Als dachten wir das gleiche, flüsterte er: „Das werde ich nie vergessen. Du und ich auf dem Dach, daran werde ich mich immer erinnern."
Ich hob meinen Kopf und sah ihn direkt an. Als sich unsere Blicke trafen und seine Augen mich wieder völlig in ihren Bann zogen schloss ich meine und küsste ihn sanft.
„Ich liebe dich", flüsterte ich zwischen zwei Küssen.
„Und ich liebe dich."

Nachdem wir uns beide frisch gemacht hatten, machten wir uns auf den Weg zum Frühstück. Ich hatte zwar nicht mehr auf die Uhr geschaut, aber ich wusste, dass wir spät dran waren, denn der Saal war bis auf ein paar vereinzelte Jugendliche leer. Auch an unserem Tisch saß nur noch Zart, der sein Essen in sich hereinschlang.
„Na, auch verschlafen?", fragte er, als wir uns zu ihm setzten.
„So ähnlich", entgegnete Newt und grinste ihn an.
Zart meinte zu verstehen und lachte dreckig, wobei er uns zuzwinkerte und dann aufstand und immer noch lachend ging. Ich sah Newt vorwurfsvoll an, musste dann aber selber lachen, als er, unschuldig wie ein Welpe, zurückblickte.
„Na komm, wir sollten uns auch beeilen, die anderen beiden warten garantiert schon auf uns."
Newt nickte und wir aßen schnell auf, bevor wir uns auf den Weg zu den Laboren machten. Doch noch bevor wir den Aufzug erreichten blieb ich stehen. Mir war gerade ein Gedanke gekommen, der irgendwie schon die ganze Zeit durch meinen Kopf gegeistert war, eigentlich seit ich vor drei Jahren angefangen hatte, mit den Kindern zu arbeiten.
Es war nicht richtig, was wir hier machten. Und damit meinte ich nicht nur die Tests an den älteren Probanden im Labyrinth, sondern alles. WICKED hielt Kinder hier fest, von denen die meisten nicht einmal wussten, wie der Himmel aussah und dass es eine Welt außerhalb dieses Gebäudes gab, die einmal wunderschön gewesen war. Ja, wir beschützten sie davor, einem Crank zum Opfer zu fallen und ja, es war natürlich wichtig, ein Heilmittel für die zu finden, die nicht immun waren, falls sie sich mit dem Brand infizierten – ich dachte dabei vor allem an Newt. Trotzdem war das hier nicht richtig. Und in diesem Augenblick wusste ich das genauer als jemals zuvor. Und ich wusste auch, dass ich nicht gehen konnte, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Ich wusste, dass es Menschen da draußen gab, die für die Freiheit dieser Kinder und auch von uns kämpften. Und auch wenn ich wusste, dass es nicht möglich wäre alle zu retten, zumindest noch nicht, so war ich mir doch sicher, dass es möglich wäre 24 Kinder hier heraus zu holen. Ich wusste nicht, warum ich mir dessen in diesem Moment so sicher war, schließlich wusste ich nur durch das ein oder andere Gespräch, das Gally und ich belauscht hatten, von diesen Menschen, aber ich wusste, dass ich einen Weg finden musste, um sie zu kontaktieren und die Kinder zu retten. Denn wenn ich es nicht tat, dann würde es niemand tun. Ich wusste auch, dass ich nicht mehr allzu lange hier sein würde. Schließlich hatten Teresa und ich einen Plan. Das bedeutete, dass ich nicht viel Zeit hatte.
Aber hieß das nicht irgendwie auch, dass ich eh nichts zu verlieren hatte?
„Anna? Hey, was ist los? Lebst du noch?!"
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und sah in Newts Augen.
„Ja... Ja, alles gut. Mir geht es gut."
„Du hast einfach so da gestanden und ins Leere gestarrt, als wärst du irgendwie paralysiert oder so", sagte er und sah mich misstrauisch an. „Irgendetwas hast du doch."
„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur fast nicht geschlafen, schon vergessen?"
Er nickte und beließ es dabei, auch wenn ich merkte, dass er mir nicht glaubte. Aber ich würde ihm nichts von meinen Gedanken erzählen. Da würde ich ihn nicht mit reinziehen. Schließlich würde ich so an die 20 Regeln brechen, um alleine irgendetwas über diese Menschen herauszufinden und sie dann auch noch zu kontaktieren, wenn ich es schaffte, nicht vorher erwischt zu werden. Teresa hätte mir ganz bestimmt jede Regel, die ich brechen würde genau aufzählen und erklären können.
Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln.

Wir erreichten Überwachungslabor 1 im Laufschritt, da mein kurzer Aussetzer natürlich auch Zeit in Anspruch genommen hatte. Newt war noch immer misstrauisch, aber er hatte nichts mehr gesagt, worüber ich sehr glücklich war und was mich hoffen ließ, dass er auch später nicht mehr nachfragen würde.
Teresa und Thomas drehten sich beide um, als wir herein kamen und Teresa nahm ihr Headset ab und zog eine Augenbraue hoch.
„Wo habt ihr gesteckt?", fragte sie streng. „Ihr seid zu spät."
„Entschuldigt, wir... haben verschlafen."
Newt war ein wenig aus der Puste, weshalb niemandem außer mir auffiel, dass er bei unserem Alibi gezögert hatte.
Wir setzten uns schnell auf unsere Stühle und nahmen unsere Headsets. Meine Aufgabe war es geworden, Gally, Fry Pan und Alby genau zu beobachten, ohne dass wir wirklich darüber gesprochen hatten. Ich hatte meine Augen konzentriert auf die Bildschirme vor mir gerichtet und sah zu, wie Gally eine zweite Hütte baute, Fry Pan gerade bereits das Mittagessen vorbereitete und Alby gemeinsam mit Nick und George an einer etwas abgelegenen Stelle der Mauer des Labyrinths stand. Zuerst wusste ich nicht, was sie dort machten, aber relativ schnell erkannte ich, dass sie ein Messer und einen Stein bei sich hatten und etwas in die Wand zu ritzen schienen.
„Hey, ich hab hier was", bemerkte ich und warf das vergrößerte Bild der Mauer auf den großen Bildschirm über uns.
„Was machen sie da?", fragte Newt und nahm sein Headset ab.
„Sie ritzen irgendetwas in die Mauer."
Auch Thomas hatte seine Kopfhörer abgenommen. Auf seinem Bildschirm konnte ich zwei Jungs bei der Gartenarbeit sehen, die er beobachtete.
„Aber was?", fragte Teresa und ich zoomte noch näher heran.
Jetzt konnte man lesen, was sie schrieben.

Alby. George. Nick.

Sie hatten ihre Namen in die Mauer geritzt, als wollten sie sich dort verewigen. Wow.
Ich war irgendwie ergriffen von dieser Idee. Als sich die drei Jungen aufteilten, um die Anderen zu holen, wurde mir ganz warm ums Herz, als sie alle, einer nach dem anderen ihre Namen in den Stein ritzten. Gally war nach einem der Gärtner dran und ritzte seinen Namen etwas grob, aber trotzdem ordentlich in die Mauer, wobei ich seine Schrift sofort wieder erkannte.
Nachdem alle fertig waren, standen sie im Halbkreis um die Mauer herum und schwiegen, als wüsste keiner von ihnen, nicht einmal Nick, was er sagen sollte. In diesem Moment war es, als würde sie ein unsichtbares Band verbinden und alle zusammen schweißen. Jeden einzelnen, auch Gally. Und irgendwie wusste ich, dass dies der Augenblick war, in dem er ein fester Bestandteil der Gruppe geworden war. Die Anderen hatten ihn akzeptiert und es würde keinen dieser komischen Momente mehr geben, wo er der Außenseiter war.
„Wir haben euch zusammen gerufen, damit wir uns alle gemeinsam hier verewigen können. Denn wir sind eine Familie und müssen zusammen halten", begann Alby. „Gleichzeitig möchten wir aber auch etwas mit euch besprechen. Wir haben einen Endschluss gefasst, was das Labyrinth angeht. Wir müssen beginnen, nach einem Ausgang zu suchen. Wir müssen versuchen, hier irgendwie heraus zukommen. Deshalb haben wir uns Gedanken gemacht, wer von uns am geeignetsten wäre, um lange genug durchzuhalten und das Labyrinth zu erkunden. Und wir haben uns entschieden, dass George rein gehen wird."
„Ich bin der Schnellste von uns und ich traue mir zu, da raus zu gehen. Wir haben keine Ahnung, was genau da draußen ist und wie groß es ist, aber es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden."
Die Umstehenden nickten stumm und keiner wusste etwas einzuwenden. Ich war mir sicher, dass sie wussten, dass es garantiert gefährlich sein würde und das George wohlmöglich etwas passieren konnte, aber gleichzeitig war der Wunsch nach einem Ausweg so groß, dass sie es riskieren wollten.
„Okay, also dann ist es damit also beschlossen, George wird morgen das erste Mal ins Labyrinth gehen. Pan, bereite ihm doch bitte etwas zu Essen für unterwegs vor, falls er länger als bis zum Mittag dort drinnen bleibt."
Nick sah nun Fry Pan an. Der nickte nur. Auch er, der sonst immer einen Spaß auf Lager hatte, wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
Als sich die Gruppe aus Jungen auflöste und jeder wieder an seine Arbeit ging, löste ich erstmals wieder meinen Blick von dem Bildschirm über uns und sah mich im Raum um.
Newt hatte genau wie ich bis eben auf den Bildschirm geschaut, sah jetzt aber mich an und lächelte leicht. Thomas blickte noch immer nach oben und sah nachdenklich aus, als machte er sich Sorgen. Teresa saß kerzengerade auf ihrem Stuhl und schien unbeeindruckt von dem Spektakel und der Entscheidung, die eben direkt vor ihren Augen gefällt worden war. Sie war schon wieder dabei, Nick und George zu beobachten, wie sie sich unterhielten.
Ich schüttelte den Kopf. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr, in einem Moment half sie mir und ich hatte das Gefühl, sie könnte auf meiner Seite sein, doch dann reagierte sie wieder so und ich war entsetzt, wie empathielos sie sich den Jungen im Labyrinth gegenüber verhielt, obwohl sie wusste, dass George sich in große Gefahr brachte, wenn er hinein ging, ohne zu wissen, dass es dort Griever gab, die auf ihn warteten.

From The WICKED Start | A Maze Runner Story Where stories live. Discover now