13. Die Leiter

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Leise und schnell bewegten wir uns durch den Lüftungsschacht und bogen immer mal wieder ab, so wie Newt es sich eingeprägt hatte. Er schien ein gutes Gedächtnis zu haben, denn ich hätte mir diesen Weg garantiert nicht merken können.
Nach minutenlangem Schweigen hielt er abrupt an und ich stieß gegen ihn, was ein Rumpeln auslöste. Ich erstarrte und lauschte.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auch etwas sehen konnte. Einige Meter vor uns war der Schacht zu Ende und mündete in eine breitere Klappe als unsere. Ein großer Raum.
Durch die Klappe drang etwas Licht zu uns und ich konnte – jetzt wo wir völlig reglos lauschten – flüsternde Stimmen hören.
Langsam krabbelte Newt weiter und ich folgte ihm, wohl wissend, dass wir unser Ziel erreicht hatten.
Wir stoppten vor der Klappe und ich konnte mich neben ihn setzten, da jetzt genug Platz war. Vorsichtig spähte ich durch die Schlitze und sah einen großen Raum mit Stockbetten, in dem einzelne Lampen noch an waren, denn auch einige Mädchen waren noch wach.
Ich blickte zu Newt herüber und sah, wie er sich auf die Unterlippe biss und sichtlich mit sich kämpfte. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und folgte seinem Blick.
Als ich sie sah, war ich mir sicher, dass ich sie auch erkannt hätte, wenn Newt sie nicht bereits angesehen hätte.
Sie sah ihm ziemlich ähnlich, hatte ebenfalls blonde Haare, die ein wenig heller waren als seine, doch ihr Gesicht wies eine so große Ähnlichkeit zu seinem auf, dass ich wusste, dass sie es war, auch wenn noch andere Mädchen neben ihr saßen.
Keiner von uns sagte etwas, wir beobachteten einfach nur das Mädchen, dass sich mit seinen neuen Freundinnen unterhielt und offensichtlich wohl auf war.
Ich war froh, dass wir sie so vorgefunden hatten, denn ich war sicher, dass Newt alles andere sicherlich nicht gut aufgenommen hätte.
Wir saßen lange einfach da und sahen zu, wie die Mädchen sich irgendwann dazu entschieden, sich schlafen zu legen und jede sich in ihr eigenes Bett legte. Ich wusste nicht, wie spät es war, aber war mir sicher, dass sie längst schlafen sollten.
Bevor sie das Licht löschten und nur noch die Notlampen ein wenig Licht spendeten sah Lizzy einmal direkt zu uns hoch, als hätte sie etwas gehört, obwohl ich sicher war, dass wir kein Geräusch gemacht hatten. Vielleicht fühlte sie sich beobachtet oder spürte irgendwie unsere Anwesenheit.
Doch sie sah nicht genauer nach und war bald eingeschlafen, wobei sie ganz ruhig dalag und friedlich aussah.
Wieder merkte ich, dass Newt mit sich rang. Natürlich war es gut zu sehen, dass es ihr gut ging, aber trotzdem konnte ich mir vorstellen, wie schwer es war sie zwar beobachten zu können, aber nicht mit ihr reden, sie nicht in den Arm nehmen zu können.
Ich streichelte ihm den Rücken und es dauerte nicht lange und ich hatte ihn im Arm. Ich spürte, dass er weinte, denn meine Schulter wurde nass, aber es störte mich nicht. Ich hielt ihn einfach fest, wohl wissend, wie er sich fühlte.
So saßen wir da und ich hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren, als er sich irgendwann von mir löste und sich mit dem Ärmel über das Gesicht fuhr.
„Wir sollten jetzt wieder zurück gehen, es ist Zeit, dass wir auch noch etwas Schlaf bekommen."
Ich nickte und er krabbelte wieder zurück.
Als wir schon einige Abzweigungen genommen hatten hielt ich inne. Ich hatte etwas gesehen, dass mich auf eine Idee brachte.
„Newt? Sieh mal!" Ich deutete nach rechts, denn man konnte wieder etwas sehen, weil von dort Licht kam. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich einen Leiterschacht erkennen konnte.
Ohne weiter nachzudenken krabbelte ich auf den Schacht zu, dieses Mal vorne weg, sodass Newt mir folgen musste.
Ich erreichte die Leiter und sah nach oben. Ein paar schwache Lampen beleuchteten den Schacht und ich war sicher, dass schon lange niemand mehr hier gewesen war.
Vorsichtig rüttelte ich an der Leiter und stellte fest, dass sie zwar rostig aber stabil war. Ich setzte einen Fuß auf eine Sprosse, dann noch einen und begann hochzuklettern.
„Was wird das?", hörte ich Newt unter mir fragen, dann jedoch ebenfalls auf die Leiter klettern und mir folgen. Leise zählte er die Stockwerke mit, dir wir erklommen, damit wir später das richtige wieder fanden. Gut, dass er so viel mitdachte. Ich hätte sonst ein Problem gehabt.
Ich kletterte und kletterte und wusste nicht, wie hoch die Leiter uns führen würde, als ich mir fast den Kopf stieß. Da war eine Luke über mir.
„Ich weiß nicht, ob wir das machen sollten, wir wissen ja gar nicht, wo wir rauskommen...", bemerkte Newt, aber das war mir egal. Ich musste wissen, was über mir war.
Also drehte ich an dem Rad und hörte, wie das Schloss sich entriegelte. Vorsichtig drückte ich die Luke nach oben und stellte fest, dass sie ziemlich schwer war.
Als ich sie aufgestemmt hatte kam mir ein kühler Windstoß entgegen.
Wind.
Ich fiel beinahe die Leiter herunter.
Wir waren draußen - ich war seit über 10 Jahren nicht mehr draußen gewesen.
Mir war schwindelig und ich zog mich mit zitternden Armen hoch und kletterte aus der Öffnung heraus. Mit klopfendem Herzen sah ich mich um, während nun auch Newt auf dem Dach ankam.
Denn dort befanden wir uns – auf dem Dach von WICKED.
Ich sah die Sterne, spürte den Wind auf meiner Haut und roch Gerüche, die ich fast schon vergessen hatte.
All das überwältigte mich und ich brach in Tränen aus. Tränen der Freude, der Überforderung und Tränen der Trauer, dass ich all das so lange nicht haben konnte.
Newt legte seine Arme um mich und ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust, während mich die Schluchzer schüttelten.
Es dauerte, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Wir hatten uns an den Rand des Dachs gesetzt und Newt hatte einen Arm um meine Schultern gelegt, was mich in dieser kühlen Nacht wärmte. Mein Kopf lehnte an seiner Schulter und wir warteten, ohne dass einer von uns es aussprechen musste, auf den Sonnenaufgang.
Mein erster Sonnenaufgang seit über 10 Jahren. Im Prinzip der erste, den ich wirklich wahrnehmen würde.
Ich hatte die Sonne so lange nicht gesehen und es kribbelte in mir, wenn ich daran dachte, dass ich sie gleich endlich auf meiner Haut spüren würde.
Und da war er, der erste Sonnenstrahl seit so langer Zeit.
Ich schloss meine Augen und genoss die leichte Wärme, öffnete sie dann aber wieder, um alles in mich aufzusaugen, was es zu sehen gab.
Vor uns erstreckte sich eine riesige Wüste, die endlos zu sein schien, denn ich konnte bis zum Horizont, wo gerade die Sonne aufging, nur Sand sehen.
Ja, die Sonne hatte so ziemlich alles verbrannt, das hatten sie uns gesagt.
Zwischen den Dünen konnte ich weiter weg vereinzelte Menschen erkennen, die umher zu irren schienen.
Das mussten Cranks sein.
Als ich gerade meinen Blick weiter über die Wüste gleiten ließ, spürte ich plötzlich, wie Newt sich neben mir verkrampfte.
„Was...?", begann ich, doch er deutete nur nach links von uns und als ich seinem Blick folgte, erstarrte auch ich zuerst, rappelte mich dann allerdings hoch und lief in eben diese Richtung, vollkommen sprachlos.
Dort erstreckte es sich, riesig und verwinkelt.
Das Labyrinth.
Ich hatte mir schon so manches Mal vorgestellt, wie groß diese Dinger wohl sein mochten, doch dieser Anblick übertraf alles, was ich mir ausgemalt hatte.
In der Mitte, zu weit von uns entfernt, um etwas sehen zu können, konnte ich die Lichtung erkennen. Mir wurde bewusst, dass Gally und meine anderen Freunde sich in genau diesem Moment dort befanden und dieser Gedanke war schier überwältigend.
Es war so, als könnte ich einfach auf den Mauern laufen und zu ihnen gelangen, denn die Außenmauern grenzten direkt an das Dach, auf dem wir standen.
Newt trat neben mich und gemeinsam starrten wir vor uns, nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen.
Da hörte ich plötzlich ein immer lauter werdendes Geräusch und es dauerte viel zu lange, bis ich begriffen hatte, was es war.
Ein Helikopter.
Wir mussten sofort verschwinden, wenn uns jemand sah, würden wir garantiert schon heute Mittag in einer Gedächtniskammer landen.
Ich packte Newts Hand und wir sprinteten zu der Luke, kletterten so schnell wir konnten hinein und verschlossen sie.
Völlig außer Atem hielten wir uns an den Sprossen fest und brauchten etwas Zeit, bis wir uns wieder auf den Rückweg machen konnten.
Schließlich folgte ich Newt durch die Schächte zurück zu unserem Zimmer, wobei keiner von uns auch nur einen Mucks machte. Viel zu überwältigt waren wir noch.

From The WICKED Start | A Maze Runner Story Where stories live. Discover now